Chordome sind seltene Knochentumoren, gegen die es bislang keine wirksamen Medikamente gibt. Ein Forschungsteam vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg hat nun einen vielversprechenden Ansatz entwickelt: Maßgeschneiderte Mini-Proteine blockieren gezielt den zentralen Treiber der Tumorentstehung. Dadurch bremsten sie das Wachstum von Chordomzellen im Labor und in einem Mausmodell und legten zugleich weitere molekulare Schwachstellen des Tumors offen, die sich mit bereits zugelassenen Medikamenten adressieren ließen.
Chordome sind seltene Knochentumoren, die meist an der Schädelbasis oder an der Wirbelsäule entstehen. Sie wachsen lokal aggressiv, kehren häufig zurück und sprechen schlecht auf Chemotherapie an. Standardbehandlung sind Operation und Bestrahlung, es fehlt an wirksamen Medikamenten.
Als zentraler Krebstreiber bei Chordomen gilt der Transkriptionsfaktor TBXT, der bei der Gestaltentwicklung im Embryo eine zentrale Rolle spielt. TBXT kommt beim Erwachsenen normalerweise nicht vor, ist aber in über 90 Prozent der Chordome überexprimiert.
Transkriptionsfaktoren wie TBXT, die innerhalb des Zellkerns wirken, gelten als nur sehr schlecht durch normale Medikamente zu beeinflussen. Doch das Team um Claudia Scholl (DKFZ) und Stefan Fröhling (NCT Heidelberg und DKFZ) hat dafür eine Lösung gefunden: Sie hemmten TBXT mit maßgeschneiderten kleinen Bindungsproteinen, so genannten DARPins. Das Akronym steht für „Designed Ankyrin Repeat Proteins“. DARPins wirken ähnlich wie Antikörper, lassen sich aber leicht z.B. in Bakterien produzieren und können, anders als Antikörper, auch innerhalb von Zellen an Zielmoleküle binden.
Mit einer Technik, die es ermöglicht, Interaktionen von Proteinen im Hochdurchsatz zu screenen, gelang es den Forschenden in Kooperation mit Andreas Plückthun von der Universität Zürich, DARPins zu identifizieren, die gezielt an die DNA-Bindedomäne von TBXT andocken und dadurch die Bindung des Transkriptionsfaktors an die DNA verhindern.
In Chordom-Zellkulturen bestätigte sich, dass die ausgewählten DARPins selektiv die Bindung von TBXT an seine Ziel-DNA blockierten. Das verlangsamte die Zellteilung, hemmte das Tumorwachstum in der Maus und löste Zeichen von Seneszenz und Differenzierung der Tumorzellen aus.
Bislang wurden DARPins gegen Proteine der Zelloberfläche oder des Zytoplasmas entwickelt, und einige dieser Wirkstoffe werden bereits in klinischen Studien untersucht. „Wir haben hier nun erstmals demonstriert, dass DARPins auch gegen Zielproteine im Zellkern wirksam sein können – das ist ein Machbarkeitsnachweis mit Signalwirkung über das Chordom hinaus“, sagt Studienleiterin Claudia Scholl.
Was genau passiert in den Chordomzellen, wenn die TBXT-Wirkung durch DARPins blockiert ist? Das ist wichtig zu wissen, denn neben TBXT selbst könnten auch die durch den Transkriptionsfaktor angeschalteten Gene therapeutische Ziele darstellen, die allein oder in Kombination mit zukünftigen TBXT-gerichteten Medikamenten angegangen werden könnten.
Durch systematische Kartierung aller TBXT-abhängiger Gene identifizierte das Heidelberger Team ganze Netzwerke von Genen, die durch TBXT gesteuert werden und deren Störung als Wachstumsbremse für die Krebszellen wirkt. Dabei traten auch Signalwege zutage, die sich mit bereits zugelassenen Medikamenten angreifen lassen. Als therapeutische Achillesferse entpuppte sich z.B. die Abhängigkeit der Chordomzellen von der Aktivität des JAK-STAT-Signalwegs, der von TBXT mitangetrieben wird. Das macht die Krebszellen empfindlich gegenüber Wirkstoffen, die das Enzym JAK2 blockieren, eine zentrale Schaltstelle dieses Signalwegs.
„Die Abhängigkeit von der JAK-STAT-Signalübertragung zeigt uns eine neue therapeutische Strategie auf, die wir relativ zeitnah prüfen können, denn es sind bereits mehrere etablierte JAK2-Inhibitoren verfügbar – Medikamente also, die schon für andere Erkrankungen zugelassen sind“, erklärt Erstautor Sam Umbaugh. Ko-Studienleiter Stefan Fröhling, Direktor am NCT Heidelberg, ergänzt: „Unsere Ergebnisse eröffnen gleich zwei Perspektiven: Zum einen liefern die TBXT-blockierenden DARPins Werkzeuge für die weitere Forschung an diesem schwierigen Tumor. Zum anderen zeigen sie konkrete Ansatzpunkte für Therapien auf, die in zukünftigen klinischen Studien untersucht werden könnten.“
Charles S. Umbaugh, Marie Groth, Cihan Erkut, Kwang-Seok Lee, Joana Marinho, Simon Linder, Florian Iser, Jonas N. Kapp, Petra Schroeter, Simay Dolaner, Asli Kayserili, Dominic Helm, Martin Schneider, Julia Hartmann, Philipp Walch, Thomas F.E. Barth, Kevin Mellert, Birgit Dreier, Jonas V. Schaefer, Andreas Plückthun, Stefan Fröhling, and Claudia Scholl:
Selective targeting of TBXT with DARPins identifies regulatory networks and therapeutic vulnerabilities in chordoma. Science Advances 2025, DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adu2796
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Ansprechpartner für die Presse:
Dr. Sibylle Kohlstädt
Pressesprecherin
Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2843
E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
E-Mail: presse@dkfz.de
www.dkfz.de
Charles S. Umbaugh, Marie Groth, Cihan Erkut, Kwang-Seok Lee, Joana Marinho, Simon Linder, Florian Iser, Jonas N. Kapp, Petra Schroeter, Simay Dolaner, Asli Kayserili, Dominic Helm, Martin Schneider, Julia Hartmann, Philipp Walch, Thomas F.E. Barth, Kevin Mellert, Birgit Dreier, Jonas V. Schaefer, Andreas Plückthun, Stefan Fröhling, and Claudia Scholl:
Selective targeting of TBXT with DARPins identifies regulatory networks and therapeutic vulnerabilities in chordoma. Science Advances 2025, DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adu2796
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).