Eine Würzburger Studie zeigt: Pockenviren haben eine besondere Technik entwickelt, um sich nach der Infektion einer Wirtszelle schnell zu vermehren. Die Erkenntnisse offenbaren eine bislang unbekannte Rolle für ein altbekanntes Molekül und eignen sich als Ansatz für die Entwicklung neuer Wirkstoffe.
Anstandsdame, Aufpasser, Betreuerin: So lässt sich das englische "Chaperone" übersetzen. Aufpassen müssen sogenannte "Chaperone" in der Welt der Biochemie auch. Schließlich ist es eine ihrer wesentlichen Aufgaben, neu synthetisierten Proteinen bei der Faltung zu helfen und das Verklumpen fehlgefalteter Proteinketten zu verhindern. Andere Chaperone, sog. „Assembly Chaperone“ kümmern sich darum, im dicht gepackten Zellinneren unterschiedliche Bausteine an einem Ort zu konzentrieren und diese dann geordnet zu großen Proteinkomplexen zusammenzufügen. Ohne diese wichtigen Funktionen der Chaperone wäre das Leben in seiner jetzigen Form unmöglich.
Eine bislang unbekannte Variante eines Assembly-Chaperones haben jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Würzburg bei der Analyse von Pockenviren aufgespürt und in all ihren Details entschlüsselt. Das Besondere daran: Es ist das erste bislang bekannte Chaperone, das nicht von einem Protein gestaltet wird, sondern von einer Nukleinsäure, konkret: von RNA, und noch konkreter: von einer tRNA oder, ausgeschrieben, einer transfer-RNA.
Publikation in „Nature Structural and Molecular Biology”
Verantwortlich für diese Studie war ein Forscherteam von Professor Utz Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und assoziiertes Mitglied des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI). Weitere beteiligte waren die Professorinnen Claudia Höbartner und Bettina Warscheid aus der Fakultät für Chemie und Pharmazie der JMU sowie Forscher aus Innsbruck, Hannover und Chicago.
Die Ergebnisse seiner Arbeit hat das Forschungsteam jetzt in der Fachzeitschrift Nature Structural and Molecular Biology veröffentlicht. Sie können als Grundlage für die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen Pockenviren dienen.
Wichtige Rolle bei der Genexpression
„Wir haben uns in unserer Studie mit einem großen Proteinkomplex beschäftigt: dem sogenannten complete (oder deutsch: kompletten) vRNAP, einer RNA-Polymerase die man bei Vaccinia, dem prototypischen Pockenvirus findet“, schildert Fischer die Arbeit im Labor. Dieses Enzym ist aus insgesamt 15 Proteinen und einer RNA zusammengesetzt und übernimmt eine wichtige Rolle bei der Genexpression – also der Übersetzung von Erbinformation in Proteine.
In diesem Prozess sind seine zahlreichen Bausteine für unterschiedliche Aufgaben zuständig. So sorgt beispielsweise ein Faktor für das Andocken an Startstellen (Promotoren) der viralen Gene, ein anderer ermöglicht das Loslösen von diesen Promotoren und ein dritter modifiziert die neu-gebildete messenger-RNA. „Alles in allem handelt es sich bei diesem Proteinkomplex also um eine Art ‚All-in-One-Unit‘“, erklärt Dr. Julia Bartuli, die den biochemischen Anteil der Studie leitete.
Was sie daran vor allem interessiert hat, war die Frage, wie so viele Proteine in eine derart hochgeordnete Struktur integriert werden können. Oder mit anderen Worten: Wer der Baumeister dieses Komplexes ist. „Um das herauszufinden, haben wir einen biochemischen mit einem strukturbiologischen Ansatz kombiniert, um die einzelnen Schritte identifizieren zu können“, so die Biochemikerin.
Entdeckung eines überraschenden Akteurs
Das Wissenschaftler-Team konnte nachweisen, dass es sich bei diesem Baumeister um ein Assembly Chaperone handelt – also um ein Molekül, das seine Struktur verändert, während es eine bestimmte Aufgabe erfüllt, um danach wieder in seine ursprüngliche Form zurückzukehren. Zu ihrer Überraschung entdeckte es dabei, dass das Chaperone nicht von einem Protein gestaltet wird, sondern von RNA. „Normalerweise hat RNA an solchen Stellen nichts zu suchen. Hier sitzt aber eine tRNA zentral zwischen der Polymerase und den assoziierten Faktoren und sorgt für deren Zusammenhalt und Bereitstellung für den Start der Genexpression“, erklärt Dr. Clemens Grimm, der für die Strukturanalyse der Studie verantwortlich war.
Weitere Experimente zur Rolle der tRNA zeigten: Ohne sie haben die anderen Komponenten des Komplexes keine Affinität zueinander und würden sich nicht von selbst so anordnen. Erst mit Hilfe der tRNA kommen sie in einer bestimmten Abfolge zusammen, in deren Verlauf die tRNA ihre Struktur ändert. Dadurch rastet das System ein und ist stabil.
Blieb nur noch die Frage: Wofür gibt es diesen Komplex? Für die eigentliche Transkription hat er nämlich keine konkrete Bedeutung. Um das herauszufinden, ist ein vertieftes Wissen über Pockenviren notwendig: „Pockenviren sind DNA-Viren, die niemals in den Zellkern der von ihnen befallenen Zellen gehen. Ihre Vermehrung läuft vielmehr im Zellplasma ab. Das heißt aber auch: Das Virus muss alles dabeihaben, was es benötigt, um die Transkription und damit die eigene Vermehrung zu starten“, erklärt Utz Fischer. Und genau dafür ist complet vRNAP verantwortlich.
Kickstart der Transkription
Der Komplex wird in einem späten Stadium der Infektion gebildet und dann in ein neues Virus integriert. Die Einheit sorgt dort für einen „Kickstart der Transkription“. Dafür werden alle notwendigen Einheiten zusammengepackt, um gut durch den initialen Bereich der Infektion durchzukommen. Wenn man so will, handelt es bei dem Komplex also um eine Art „Survival Kit“ der Pockenviren, das es ihnen ermöglicht, sich schnell in den von ihnen infizierten Zellen zu vermehren.
Auch wenn es sich bei dieser Studie um Grundlagenforschung am Vacciniavirus handelt, kommt den Ergebnissen angesichts der aktuellen Entwicklung in Afrika möglicherweise besondere Bedeutung zu. Dort treten seit gut drei Jahren in mehreren Staaten Mpox-Viren auf und sorgen immer wieder für regional begrenzte Infektionsgeschehen. Ihre Verwandtschaft zu Vaccinia machte ihr früherer Name deutlicher sichtbar: Bis vor wenigen Jahren liefen sie noch unter „Affenpocken“.
Gefährliche Mutationen in Mpox-Viren
Da Mpox-Viren bislang nur bei engem Körperkontakt übertragen wurden, blieb die Zahl der Infizierten klein – kein Vergleich zu Viren wie SARS-CoV-2, die für die Corona-Pandemie verantwortlich waren. Das scheint sich aktuell allerdings zu verändern: „In Afrika lässt sich beobachten, dass das Virus mutiert und neue Übertragungswege findet“, sagt Utz Fischer.
Die „klassischen“ Pocken -ausgelöst durch das Variolovirus- zählten jahrhundertelang zu den gefährlichsten Krankheiten – von dem „Killer schlechthin“ spricht Fischer. Erst die Entwicklung von Vaccinia-basierten Impfstoffen, verbunden mit weltweiten Impfkampagnen, brachte die Wendung, seit 1980 gilt die Welt als pockenfrei. Weil seitdem nicht mehr geimpft wird, träfe ein mutiertes Mpox-Virus auf mehrere Generationen ohne jeglichen Schutz. Dann könnte es erforderlich sein, schnell Wirkstoffe zu entwickeln, die die Krankheit bekämpfen – zumal die Sterblichkeit unter Kindern und Schwangeren vergleichsweise hoch ist.
„Bei der Suche nach neuen Wirkstoffen, können unsere Erkenntnisse helfen“, sind sich Utz Fischer und Clemens Grimm einig. Schließlich verfüge der Komplex über zahlreiche Andockstellen für potenzielle Inhibitoren und eigne sich gut für ein sogenanntes Drug Screening – also der systematischen Suche nach neuen Wirkstoffen.
Prof. Dr. Utz Fischer, Lehrstuhl für Biochemie, T: +49 931 31-84029, utz.fischer@biozentrum.uni-wuerzburg.de
tRNA as an assembly chaperone for a macromolecular transcription-processing complex. Julia Bartuli, Stefan Jungwirth, Manisha Dixit, Takumi Okuda, Johannes Patrick Zimmermann, Matthias Erlacher, Tao Pan, Asisa Volz, Alexander Hüttenhofer, Bettina Warscheid, Claudia Höbartner, Clemens Grimm and Utz Fischer. Nature Structural and Molecular Biology, DOI: 10.1038/s41594-025-01653-y, https://www.nature.com/articles/s41594-025-01653-y
Die tRNA sorgt für den Zusammenhalt der Polymerase und den assoziierten Faktoren; ohne sie würden di ...
Quelle: Clemens Grimm
Copyright: Universität Würzburg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Die tRNA sorgt für den Zusammenhalt der Polymerase und den assoziierten Faktoren; ohne sie würden di ...
Quelle: Clemens Grimm
Copyright: Universität Würzburg
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).