05.09.2025/Kiel. Der Klimawandel gefährdet die Meeres- und Küstenökosysteme im Mittelmeerraum. Erwärmung, Meeresspiegelanstieg und Versauerung treten dort intensiver und schneller auf, als im globalen Durchschnitt. Eine aktuelle Studie unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat untersucht, wie stark das Meeres- und Küstenökosysteme im Mittelmeer schon bei weiterer, vergleichsweise geringer, Erwärmung gefährdet sind. Dafür wurden 131 wissenschaftliche Studien im Rahmen einer Meta-Analyse ausgewertet. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen.
Im Mittelmeer steigen die Temperaturen derzeit auf Rekordwerte. Statt einer Erfrischung erwarten Urlauber:innen etwa in Griechenland, Italien und Spanien Wassertemperaturen bis zu 28 Grad und mehr. Mit einer durchschnittlichen Wassertemperatur von 26,9°C war der Juli 2025, laut dem Erdbeobachtungsdienst Copernicus, der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen für das Mittelmeer. Die Erwärmung durch den Klimawandel gilt – neben Stressoren wie Überfischung, Verschmutzung oder Habitatzerstörung – als Hauptfaktor für die Gefährdung von Lebensräumen im Meer und an den Küsten. „Die Folgen sind nicht nur Zukunftsszenarien, sondern sehr reale Risiken, die wir bereits heute beobachten können. Der anhaltende Anstieg der Temperaturen und des Meeresspiegels sowie die Ozeanversauerung bergen erhebliche Risiken für die Umwelt am und im Mittelmeer“, sagt Dr. Abed El Rahman Hassoun, Chemischer Ozeanograph am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Metastudie zu Klimawandelszenarien
Gemeinsam mit Prof. Dr. Meryem Mojtahid, Professorin für Paläo-Ozeanographie an der Universität Angers und am Laboratoire de Planétologie et des Sciences de la Terre (Frankreich), hat er die Auswirkungen des Klimawandels auf Meeres- und Küstenökosysteme im Mittelmeerraum untersucht. Die Prognosen dieser Metastudie basieren auf anerkannten Klimaszenarien des IPCC (Intergovernmental Panal on Climate Change). Dafür analysierte das Forschungsteam 131 wissenschaftliche Studien die bis August 2023 veröffentlicht wurden. Erstmals entstand daraus ein sogenanntes „Burning-Ember“-Diagramm für die Ökosysteme des Mittelmeers – ein ursprünglich vom Weltklimarat IPCC entwickeltes Instrument zur Risikobewertung. „Das Diagramm macht deutlich sichtbar, wie stark der Klimawandel wichtige Ökosysteme bedroht. Ich hoffe, dass unsere Ergebnisse dazu beitragen, das Bewusstsein dafür zu schärfen und konkrete Maßnahmen zum Schutz dieser einzigartigen Lebensräume umzusetzen“, sagt Meryem Mojtahid. Die Studie stützt sich zudem auf die Forschungsinitiative zum Klimawandel und zu Umweltschädigungen im Mittelmeerraum (MedECC). Die Initiative veröffentlichte 2020 den ersten Mittelmeer-Bewertungsbericht unter dem Namen MAR1 und nimmt damit eine zentrale Rolle bei der Bündelung des Wissens über Klima- und Umweltveränderungen in der Mittelmeerregion ein.
Mittelmeer als „Klimawandel-Hotspot“: Jedes Zehntelgrad zählt
Das Mittelmeer ist – ähnlich wie die Ostsee oder das Schwarze Meer – ein Binnenmeer und nur durch die Straße von Gibraltar mit dem globalen Ozean verbunden. Der Austausch von Wassermassen ist daher stark begrenzt. Infolgedessen erwärmt sich das Mittelmeer schneller und versauert stärker als der offene Ozean. Zwischen 1982 und 2019 stieg die Oberflächenwassertemperatur hier bereits um 1,3 Grad, während es global nur 0,6 Grad waren. Der Weltklimarat IPCC bezeichnet das Mittelmeer deshalb auch als „Hotspot des Klimawandels“. Forschende betrachten es zudem als „natürliches Labor“, da das Mittelmeer schneller und stärker auf Klimabelastungen reagiert als der offene Ozean und es mehrere Treiber und Stressfaktoren gleichzeitig in einem relativ kleinen, gut beobachteten System konzentriert. „Was im Mittelmeer passiert, ist oft ein Vorbote für Veränderungen, die anderswo zu erwarten sind, sodass das Mittelmeer wie ein Frühwarnsystem für Prozesse wirkt, die später den globalen Ozean beeinflussen werden“, sagt Abed El Rahman Hassoun.
Würden die internationalen Klimaschutzziele in den nächsten Jahren eingehalten, könnten einige Umweltveränderungen noch abgebremst werden. Hierzu können zwei Szenarien des IPCC – so genannte RCPs, Representative Concentration Pathways, repräsentative Konzentrationspfade – herangezogen werden: Bei einem mittleren Emissionsszenario (RCP 4.5) stabilisieren sich die Emissionen in den nächsten Jahren durch moderate Klimapolitik. In diesem Fall wird sich das Mittelmeer im Zeitraum von 2050 bis 2100 voraussichtlich zusätzlich um 0,6° bis 1,3°C gegenüber den aktuellen Werten erwärmen. Das hohe Emissionsszenario (RCP 8.5) hingegen beschreibt den Kurs „weiter wie bisher“ mit weiterhin steigenden Emissionen. Dann läge die zusätzliche Erwärmung im gleichen Zeitraum voraussichtlich zwischen 2,7°C und 3,8°C. Eine solche Erwärmung hätte, zusammen mit dem Meeresspiegelanstieg und der Ozeanversauerung, erhebliche Störungen der Ökosysteme zur Folge: Seegraswiesen gingen verloren, Korallenriffe könnten erhebliche Schäden davontragen und es käme zu folgenschweren Kettenreaktionen in den Nahrungsnetzen.
„Diese Szenarien zeigen: Wir können noch etwas bewirken! Jedes Zehntelgrad zählt!“, sagt Abed El Rahman Hassoun. „Politische Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, entscheiden darüber, ob die Ökosysteme im Mittelmeer teilweise oder vollständig zusammenbrechen oder funktionsfähig bleiben und weiterhin ihre Ökosystemleistungen bereitstellen. Unsere Studie zeigt aber auch, dass wir sogar bei moderatem Klimaschutz und einer zusätzlichen Erwärmung von 0,8 Grad mit einigen Folgen rechnen müssen. Es geht darum, die Folgen so gering wie möglich zu halten.“
Folgen für Meeresökosysteme
Die Forschenden haben eine Vielzahl von Meeresökosystemen in den Blick genommen: von Seegraswiesen über Fische und Makroalgen bis zu Meeressäugern und Schildkröten. Die Erwärmung und Versauerung des Mittelmeers verändert ganze Lebensgemeinschaften. Planktonarten verschieben sich, giftige Algenblüten und Bakterien treten häufiger auf. Bei einer zusätzlichen Erwärmung von 0,8°C würden Seegraspflanzen wie Posidonia oceanica massiv zurückgehen und bis 2100 ganz verschwinden. Auch Seetangarten wie Cystoseira würden zurückgehen, während die Populationen wärmeliebender invasiver Algen zunehmen könnte. Auch Fischbestände geraten ab +0,8°C unter Druck: Sie könnten um 30 bis 40 Prozent schrumpfen, sich nach Norden verlagern und invasiven Arten wie dem Rotfeuerfisch Platz machen, der die Biodiversität gefährdet. Korallen sind, wahrscheinlich aufgrund ihrer langen Evolutionsgeschichte, verhältnismäßig widerstandfähiger als andere Ökosysteme und erst ab +3,1°C in moderater bis hoher Gefahr. Für Meeressäuger und Meeresschildkröten sind die Daten lückenhaft, doch Veränderungen in Nahrungsräumen, Wanderverhalten und Energiehaushalt sind wahrscheinlich.
Küstenökosysteme besonders anfällig
Aufgrund der kombinierten Auswirkungen von Erwärmung und Anstieg des Meeresspiegels sind die Küstenökosysteme im Mittelmeer besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels. Sie umfassen den Bereich bis zehn Meter über dem Meeresspiegel, darunter zum Beispiel Dünen und Felsküsten. Ein steigender Meeresspiegel verstärkt die Küstenerosion und bedroht damit auch die Nistplätze von Meeresschildkröten – mehr als 60 Prozent könnten verloren gehen. Bereits ab einer zusätzlichen Erwärmung von 0,8°C steigt das Risiko deutlich: Sandstrände und Dünen sind besonders gefährdet, und auch Felsküsten verlieren zunehmend Lebensraum und Artenvielfalt, obwohl sie etwas widerstandsfähiger sind.
Betroffen sind auch Feuchtgebiete, Lagunen, Deltas, Salzwiesen und Küsten-Grundwasserleiter, die schon ab +0,8° bis +1,0°C erhebliche Schäden aufweisen können. Hier sind der Verlust wichtiger Pflanzenarten, die Ausbreitung invasiver Arten und großflächige Vegetationsveränderungen sehr wahrscheinlich. Gleichzeitig kann der Meeresspiegelanstieg zu weniger Niederschlägen und damit zu Wasserknappheit führen. Ab +1,0°C verschärfen sich die Risiken voraussichtlich zusätzlich durch Überschwemmungen und erhöhte Nährstoffeinträge.
„Wir haben festgestellt, dass die Ökosysteme im Mittelmeerraum sehr unterschiedlich auf klimabedingte Belastungen reagieren. Einige sind widerstandsfähiger als andere, aber keines ist unverwundbar“, sagt Meryem Mojtahid. „Nur durch strenge Klimaschutzmaßnahmen können die Risiken auf einem Niveau gehalten werden, an das sich die Ökosysteme noch anpassen können. Durch die Studie konnten wir sichtbar machen, dass schon ein vergleichsweise geringer Temperaturanstieg und weitere klimawandelbedingte Stressfaktoren deutliche Auswirkungen haben. Jetzt ist es an der Zeit, dass aus Wissen Handeln wird“, so Abed El Rahman Hassoun.
Forschungslücken
Für mehrere Ökosysteme sind wissenschaftliche Studien zur Risikobewertung noch begrenzt. So gibt es nur wenige Prognosen für Tiefsee-Lebensräume, Salzwiesen, Makroalgen und Megafauna. Auch geografisch bestehen erhebliche Lücken, insbesondere im südlichen und östlichen Mittelmeer. Das kann zu einer möglichen Unterschätzung der Risiken in den unterrepräsentierten Ländern führen. Zudem fehlen Langzeitbeobachtungen, die mehrere Stressfaktoren wie Verschmutzung und invasive Arten gleichzeitig berücksichtigen. Um diese Lücken zu schließen, sind verstärkte interdisziplinäre Forschungen und ein erweitertes Monitoring notwendig, insbesondere in unterrepräsentierten Regionen.
Hintergrund:
Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), auch Weltklimarat genannt, ist das internationale Expertengremium der Vereinten Nationen, das den aktuellen Stand der Klimaforschung bewertet. Seine Berichte fassen wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen, zeigen Risiken auf und liefern Entscheidungsgrundlagen für Politik und Gesellschaft. Ein bekanntes Werkzeug aus den IPCC-Berichten ist das sogenannte „Burning Ember-Diagramm“. Es visualisiert die Wahrscheinlichkeit von Schäden für Mensch und Natur in Abhängigkeit von der globalen Erwärmung. Dabei zeigen orange und rote Bereiche, wo Risiken hoch und sehr hoch werden – ähnlich wie ein „glühender Kohlenrest“, daher der Name.
Hassoun, A.E.R., Mojtahid, M., Merheb, M. et al. Climate change risks on key open marine and coastal mediterranean ecosystems. Sci Rep 15, 24907 (2025).
https://doi.org/10.1038/s41598-025-07858-x
https://www.medecc.org/medecc-reports/climate-and-environmental-change-in-the-me... First Mediterranean Assessment Report (MAR1)
https://www.geomar.de/news/article/was-der-klimawandel-fuer-das-mittelmeer-bedeu... Bildermaterial zum Download
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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