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16.09.2004 14:26

Reproduktionsmediziner könnten die Schwangerschaftsrate erhöhen, dürfen es aber nicht

Dipl. Biol. Barbara Ritzert Pressearbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Auf dem 55. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Hamburg blicken die Reproduktionsmediziner voller Neid ins Ausland. Dort machen ihnen die Kollegen vor, wie man bei Befruchtungen im Reagenzglas die Schwangerschaftsraten erhöht und Mehrlingsschwangerschaften vermeidet.

    In Deutschland leben rund 100000 Menschen, deren Leben im Reagenzglas begann. Etwa ein bis zwei Prozent aller Kinder, die hier zu Lande geboren werden (etwa 10000 von 700000), sind das Ergebnis einer Reagenzglasbefruchtung (in vitro Fertilisation = IVF) oder verdanken ihr Leben jenem kurz ICSI (intrazytoplasmatischer Spermieninjektion) genannten Verfahren, bei dem ein Spermium in die Eizelle gespritzt wird. Weltweit kamen seit der Geburt von Louise Brown im Jahr 1978 über 1,8 Millionen Menschen nach "assistierter Reproduktion", wie es im Fachjargon heißt, auf die Welt.

    Im Jahr 2002 erfasste das Deutsche IVF - Register 88218 Behandlungszyklen. Im Jahr 2003 waren es bereits über 100.000 Behandlungen. "Für das laufende Jahr erwarten wir einen deutlichen Rückgang der Behandlungszahlen aufgrund der restriktiveren Regelungen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes", prophezeit Professor Ricardo Felberbaum, Stellvertretender Direktor der Frauenklinik des Universitätsklinikum Schleswig - Holstein, Campus Lübeck und Vorstandsvorsitzender des Deutschen IVF - Registers.

    Insgesamt lag die Schwangerschaftsrate pro durchgeführtem Embryotransfer im Jahr 2002 bei 26,8 % nach IVF und 27,2 % nach ICSI. Das belegt die Auswertung von über 80.000 Behandlungen des Registers. Die Reproduktionsmediziner konnten auch hierzulande in den letzten Jahren durch die Weiterentwicklung medikamentöser und technischer Strategien die Schwangerschaftsraten verbessern.

    Doch die Hürden des Embryonenschutz-Gesetzes

    verhindern, dass die deutschen Mediziner mit ihren Kollegen in anderen europäischen Staaten wie Frankreich, Belgien oder Schweden gleichziehen. Die Ärzte dort erzielen Schwangerschaftsraten bis zu 50 Prozent. Sie praktizieren nämlich schon seit einigen Jahren, was ihren deutschen Kollegen verboten ist: Sie befruchten mehrere Eizellen und wählen nach Beobachtung der Entwicklung nur einen "Top-Embryo" aus, den sie der Frau übertragen. Die Ärzte beurteilen das Aussehen (Morphologie) in den verschiedenen Entwicklungsstufen nach einem Punktesystem. Übertragen wird nur der Embryo mit dem höchsten Punktwert, denn dieser hat die besten Einnistungschancen. Die übrigen Embryonen werden für eine mögliche Anschluss-Behandlung eingefroren.

    Dass dieses Vorgehen erfolgreich ist und auch für Deutschland ein erstrebenswerter Weg wäre, davon ist Felberbaum überzeugt. "Werden zwei Embryonen übertragen, die sich optimal entwickelt haben, liegt die Schwangerschaftsrate im Durchschnitt bei 33 Prozent. Werden zwei Embryonen eingesetzt, die sich nicht gut entwickeln, liegt die Rate hingegen bei nur 12 Prozent. Wird in Deutschland nur ein Embryo zurückgesetzt - die geschieht nur, wenn nur ein Embryo vorhanden ist und nicht, weil die Ärzte einen Embryo ausgewählt haben - dann liegt die Schwangerschaftsrate pro Transfer bei 11,7 Prozent. "Hat das Schicksal es gut gemeint", sagt Felberbaum "und handelt es sich bei diesem einen Embryo um einen Embryo guter Qualität, dann steigt die Schwangerschaftsrate immerhin auch in Deutschland bei Frauen unter 36 Jahren auf 16,6 Prozent. Das Bedauerliche ist aber, dass dies alles hier zu Lande nur dem Zufall unterworfen ist."

    In einer jüngst veröffentlichten Studie

    berichten belgische Mediziner über ihre Ergebnisse nach "elektivem Embryotransfer", wie die Embryonenauswahl im Fachjargon genannt wird. Die Ärzte hatten die Schwangerschaftsraten nach 370 Übertragungen eines einzigen "Top-Embryos" in Frauen verfolgt, die jünger waren als 38 Jahre. Die Schwangerschaftsrate betrug 51 Prozent - unabhängig vom Alter der Frau. Allerdings spielt das Alter bei dem Erhalt der Schwangerschaft jenseits des dritten Monats eine Rolle: Neun Prozent der Frauen unter 30 Jahren, aber 19 Prozent der Frauen über 30 verloren ihr Kind im ersten Trimenon. Dieselben Ärzte berichten in einer Übersichtsarbeit , dass sie in 39 Prozent der Fälle nur noch einen einzigen Embryo übertragen und stabile Schwangerschaftsraten von 30 Prozent erzielen. "Es ist schon bedrückend, die große Zahl der Publikationen zu diesem Thema zu sehen, und keine kommt aus Deutschland", klagt Ricardo Felberbaum.

    In Deutschland müssen hingegen alle Embryonen - maximal drei, die pro Zyklus befruchtet werden dürfen - der Frau übertragen werden. Eine Auswahl ist verboten. Dies erhöht einerseits die Chance für eine Schwangerschaft, andererseits aber auch das Risiko einer Mehrlingsgeburt. Und je mehr vergebliche Behandlungsversuche eine Frau hinter sich hat, desto eher ist sie bereit, das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft einzugehen. Diesen Zusammenhang belegt erstmals die Umfrage eines Ärzte-Teams um PD Dr. Ingrid Kowalcek von der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig Holstein, Campus Lübeck, die auf der Tagung präsentiert wird.

    Mehrlinge sind kein Erfolg.

    38,6 Prozent aller im Reagenzglas gezeugten und zwischen 1998 und 2002 geborenen Babys in Deutschland sind Mehrlinge. "Die Tendenz ist erfreulicherweise fallend", sagt Felberbaum. Von den insgesamt 51539 Kindern, die zwischen 1998 und 2002 nach ART geboren wurden, sind 17477 Zwillinge, 2401 Drillinge und 20 Vierlinge. Während bei Einlingen 10 Prozent zu früh, das heißt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, kommt bei Zwillingen über die Hälfte zu früh auf die Welt. Bei den Drillingen werden sogar 97 Prozent zu früh geboren, mit allen dadurch bedingten nachteiligen Folgen.

    Vor allem bei den Drillingen ist es gelungen, die Häufigkeit von 7,7 Prozent im Jahre 1998 auf 2,8 Prozent im Jahr 2002 zu senken. "Diese sehr erfreuliche Entwicklung, die das verantwortungsbewusste Handeln von Ärzten und Kinderwunschpaaren widerspiegelt", klagt Felberbaum, "wird jedoch durch das neue Gesundheitsmodernisierungsgesetz in Frage gestellt." Aus internationalen Studien wissen die Forscher, dass in Ländern, wo die Patienten selbst die Kosten der Behandlung tragen müssen, die Rate der Mehrlinge besonders hoch ist. Die Paare gehen lieber das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft als das Risiko eines Fehlschlages ein, der einen erneuten Versuch nach sich zieht.

    Auch das Lebensalter der Frauen

    beeinflusst den Behandlungserfolg. Beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft pro Behandlungszyklus bei Frauen bis zum 31. Lebensjahr noch über 30 Prozent, fällt diese bei den über 40-Jährigen auf 16 Prozent bei der IVF-Methode. Ein Grund ist der hohe Prozentsatz von Chromosomen-Fehlverteilungen in den Eizellen, die sich nach der Befruchtung in der frühen Embryonalphase darum nicht weiterentwickeln. Diese Fehlverteilungen lassen sich beispielsweise durch eine Polkörperbiopsie (siehe Pressemitteilung Nr. 13) feststellen. "Wichtig ist aber auch", so Felberbaum, "eine Unfruchtbarkeit frühzeitig abzuklären und zu behandeln. Denn je länger die Paare warten, desto mehr sinkt die Chance, ohne viele Versuche zum erhofften Nachwuchs zu kommen."


    Weitere Informationen:

    http://www.dggg.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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