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11.09.2025 09:00

Die Burg vor dem Schloss. Erste Ergebnisse aktueller archäologischer Ausgrabungen auf der Neuenburg

Dr. Tomoko Emmerling Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt - Landesmuseum für Vorgeschichte

    Im Zusammenhang mit dem Ausbau und der Weiterentwicklung des Komplexes Schloss Neuenburg im Rahmen des Sonderinvestitionsprogramms (SIP) 1 des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt finden auf dessen Gelände derzeit bauvorbereitende archäologische Untersuchungen statt. Sie werden durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt in enger Abstimmung mit der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt als Bauherrin und Eigentümerin der Neuenburg durchgeführt und widmen sich vorerst dem Bereich unterhalb des Bergfrieds ›Dicker Wilhelm‹. Die Ergebnisse ermöglichen vollkommen neue Einblicke in die Geschichte des Areals, in dem zahlreiche Spuren einer dichten Bebauung angetroffen wurden.

    Schloss Neuenburg bei Freyburg: ein national wertvolles Kulturdenkmal mit mehrhundertjähriger Baugeschichte

    Über Freyburg an der Unstrut (Burgenlandkreis) erhebt sich mit der Neuenburg eindrucksvoll und malerisch ein national wertvolles Kulturdenkmal, das auf eine vielhundertjährige Baugeschichte zurückblicken kann. Ihren Ursprung hatte die Anlage um 1090, als der sagenumwobene thüringische Graf Ludwig der Springer, auch bekannt als Begründer der Wartburg, an strategisch günstiger Stelle oberhalb der Unstrut ein ›novum castrum‹ (›neue Burg‹) zur Sicherung seiner Herrschaftsansprüche gründete. Während der ersten Bauphase zwischen 1090 und ungefähr 1150 entstand auf dem Areal der heutigen Kernburg eine Anlage, die sich durch ungewöhnliche Größe und markante fortifikatorische Bauwerke auszeichnete. Zu diesen zählten ein großer Rundturm und zwei exklusive, möglicherweise von byzantinischen Vorbildern inspirierte Achtecktürme, die eine Schutzmauer an der Angriffs- und gleichzeitig Schauseite der Burg flankierten. Die überraschend gut bis in eine Höhe von 2,20 Metern erhaltenen Mauerreste eines dieser imposanten Türme konnten 2023 bei bauvorbereitenden archäologischen Untersuchungen im Bereich der Kernburg dokumentiert werden (Pressemitteilung der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt und des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt vom 29. August 2023). Um 1180 wurde diese Burg mit repräsentativen Wohnbauten ausgestattet. Neben dem Palas entstand in dieser Zeit auch die berühmte romanische Doppelkapelle, die mit ihrer qualitätvollen Bauornamentik die Neuenburg zu einem herausragenden Denkmal auf der Straße der Romanik macht. Auch in den darauffolgenden Jahrhunderten fanden sowohl in der Kern- als auch der Vorburg beständig Baumaßnahmen und Umgestaltungen statt, beginnend zu Anfang des 13. Jahrhunderts unter Landgraf Ludwig IV. und seiner Gemahlin, der Heiligen Elisabeth von Thüringen, bis ins 19. Jahrhundert.

    Die aktuellen archäologischen Ausgrabungen: erste Ergebnisse und offene Fragen

    Auch gegenwärtig ist die Neuenburg Gegenstand von Maßnahmen zu Ausbau und Weiterentwicklung. Die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt als Eigentümerin der Neuenburg und Bauherrin plant auf dem Gelände der Vorburg ein neues Besucherinformationszentrum und eine Umgestaltung der Freiflächen. Finanziert mit Mitteln des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt aus dem gemeinsamen Sonderinvestitionsprogramm für ausgewählte Burgen und Schlösser der Kulturstiftung sollen Kern- und Vorburg ganzheitlich und denkmalgerecht als kulturtouristischer ›Erlebnisort Schloss Neuenburg‹ ausgebaut werden.
    In Vorbereitung der entsprechenden Baumaßnahmen führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt seit dem 19. Mai 2025 im Bereich der Vorburg unterhalb des Bergfrieds ›Dicker Wilhelm‹ archäologische Untersuchungen durch. Die bauvorbereitenden Ausgrabungen ermöglichen es erstmals, diesen Bereich großflächig zu untersuchen und Erkenntnisse zu seiner Bau- und Nutzungsgeschichte zu gewinnen. Vom 17. bis ins 20. Jahrhundert wurde das Areal als Domäne genutzt und war mit Stallungen und Scheunen bebaut, die zum Teil mehrfach erneuert wurden. Sie wurden auf massiven Planierschichten errichtet, unter denen sich, wie die aktuellen Untersuchungen zeigen, in großer Zahl aussagekräftige Spuren mittelalterlicher Bebauung erhalten haben. Vor Einbringung der Planierungsschichten waren die hier befindlichen hochmittelalterlichen Befestigungen und Gebäude teils abgetragen worden. Nur der Bergfried ›Dicker Wilhelm‹ zeugt heute noch eindrucksvoll von der Existenz dieser Anlagen, auch haben sich wenige Reste romanischer Substanz in der ehemaligen ›langen Scheune‹ der neuzeitlichen Domäne erhalten. Zu dieser Befestigung gehörte zudem ein rechteckiger Turm, dessen Überreste bei archäologischen Voruntersuchungen im Jahr 2023 lokalisiert werden konnten. Möglicherweise steht er in Verbindung mit einer ihm vorgelagerten Toranlage.
    Die aktuellen Untersuchungen im Bereich der einstigen ›langen Scheune‹ eröffnen Zugang zu bislang völlig unbekannten Strukturen unterhalb des Bergfrieds ›Dicker Wilhelm‹. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt zeichnet sich ab, dass von ihren Ergebnissen neue Informationen und Datierungsgrundlagen zur Rekonstruktion von Baugeschichte und Ausstattung dieses Bereiches und der Bewertung der Vorburg zu erwarten sind. Es zeigte sich, dass der östlich der Burg vorgelagerte, sich im Gelände stellenweise noch abzeichnende Abschnittsgraben nicht nur partiell in den Bergkamm des Sporns einschnitt, sondern weiter nach Norden verlief und sich bis unter den Bestand der ehemaligen ›langen Scheune‹ erstreckte. Es ist möglich, dass er den Bergrücken ganz durchschnitt und damit die Burgareale von Schloss und ›Dickem Wilhelm‹ gegeneinander abgrenzte und separat verteidigungsfähig machte.
    Innerhalb der zu Füßen des ›Dicken Wilhelm‹ festgestellten, äußerst dichten Bebauung ragt ein Wohnbau auf einem Gewölbekeller mit komfortabler Heizanlage samt Resten eines Napfkachelofens hervor. Auch der Palas der Kernburg war bereits um 1180 mit einer Warmluftheizung ausgestattet. Das nun entdeckte Bauwerk nahm den Standort einer vorherigen Belegung ein, von der sich nicht nur ein Grubenkomplex, sondern auch ein massiver Fußboden erhalten hat. Die erhaltenen Überreste lassen auf eine qualitätvolle und repräsentative Bebauung schließen. Da bisher noch keine Anhaltspunkte für deren absolute Datierung vorliegen, muss ihre genaue Zeitstellung vorerst als unbestimmt gelten. Bis die Ergebnisse datierender naturwissenschaftlicher Analysen vorliegen, ist daher die Frage nicht zu klären, ob hier ein Wohnbau der Burggrafen aus der Errichtungszeit des ›Dicken Wilhelm‹ oder sogar Reste einer älteren Anlage aus dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts vorliegen. Neben Antworten auf die Frage nach Rolle und Nutzung dieses Burgbereiches lassen die Grabungsbefunde und kommenden naturwissenschaftlichen Datierungen auch auf Informationen zur historischen Rolle und gesellschaftlichen Anbindung dieses Burgbereiches hoffen.
    Art und Qualität der bisher geborgenen Funde vervollständigen das Bild einer hochwertigen mehrphasigen Wohnbebauung über mehrere Jahrhunderte. Besonders zu erwähnen sind ein tönernes Spielzeugpferdchen des 14. Jahrhunderts, ein typischer Fund aus ritterlichem Kontext, sowie Scherben von Trinkgläsern und ein beinernes Besteck-Grifffragment, die eine gehobene Tafelausstattung belegen.

    Führungen am Tag des offenen Denkmals

    Die archäologischen Ausgrabungen in der Vorburg von Schloss Neuenburg werden noch bis ins kommende Jahr fortgesetzt. Anlässlich des diesjährigen Tags des offenen Denkmals am Sonntag, den 14. September 2025, bieten die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt und das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gemeinsame Führungen zu den laufenden Untersuchungen an. Die Führungen finden um 11.00 Uhr und um 14.00 Uhr statt, die Teilnahme ist kostenfrei und ohne Anmeldung möglich. Festes Schuhwerk und der Witterung angemessene Kleidung ist notwendig. Das Betreten des Grabungsgeländes erfolgt auf eigene Gefahr.


    Bilder

    Blick über die Grabungsfläche auf dem Gelände der Vorburg von Schloss Neuenburg mit freigelegten Resten mittelalterlicher Baustrukturen in der ehemaligen ›langen Scheune‹.
    Blick über die Grabungsfläche auf dem Gelände der Vorburg von Schloss Neuenburg mit freigelegten Res ...
    Quelle: Holger Grönwald
    Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

    Formschön und dynamisch: ein Spielzeugpferdchen des 14. Jahrhunderts als typischer Fund aus Burgenkontext.
    Formschön und dynamisch: ein Spielzeugpferdchen des 14. Jahrhunderts als typischer Fund aus Burgenko ...
    Quelle: Holger Grönwald
    Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Felix Biermann


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Blick über die Grabungsfläche auf dem Gelände der Vorburg von Schloss Neuenburg mit freigelegten Resten mittelalterlicher Baustrukturen in der ehemaligen ›langen Scheune‹.


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    Formschön und dynamisch: ein Spielzeugpferdchen des 14. Jahrhunderts als typischer Fund aus Burgenkontext.


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