In einer im Fachjournal Nature veröffentlichten Studie stellen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart eine Methode vor, mit der sie einen Stapel kleiner, biegsamer und magnetischer Röhren in Echtzeit und an Ort und Stelle umprogrammieren können. Durch die Neuanordnung und Neukombination der Magneteinheiten jedes Röhrchens kann der Matroschka-ähnliche Roboter beispiellose Formveränderungsfähigkeiten erreichen, was neue Möglichkeiten für weiche Roboter eröffnet. Solche Soft-Roboter könnten für eine Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden, darunter auch in der Medizin.
Stuttgart, den 15. September 2025
Bislang waren die Magnetisierungsprofile magnetischer Roboter in der Regel fest vorgegeben. Einem externen Magnetfeld ausgesetzt, ließen sie sich nur schwer in Echtzeit und an Ort und Stelle verändern. Forscher des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) stellen in einer Forschungsarbeit eine neue Methode vor, wie sie die Magnetisierung der kleinen Roboter neu ausrichten können. Die Wissenschaftler können so die Form schnell an die jeweilige Gegebenheit anpassen, was die Komplexität solcher Roboter drastisch erweitert. Die Ergebnisse des Teams wurden am 11. September 2025 im Fachjournal Nature veröffentlicht.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Metin Sitti, ehemals Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS und nun Präsident der Koç-Universität in Istanbul, stapelte das Team mehrere Röhrchen wie Matroschka-Puppen ineinander. Wie in Abbildung 1A zu sehen, ist Röhrchen C in Röhrchen B und dieses wiederum in Röhrchen A eingebettet. Jedes enthält eine oder mehrere magnetische Einheiten, und das Magnetisierungsprofil jeder magnetischen Einheit kann nach Bedarf vorprogrammiert werden (Abbildung 1B). Wenn die Art und Weise, wie die Röhrchen gestapelt sind, verändert wird – sie werden auseinandergezogen oder näher zusammengerückt –, ändert sich die relative Position der magnetischen Einheiten und damit das gesamte Magnetisierungsprofil des gesamten Schlauchstapels Abbildung 1C).
Eine solche Echtzeit-Formgebung und -umwandlung an Ort und Stelle war bei bisherigen magnetischen Soft-Robotern nicht möglich. Jetzt jedoch kann bei konstantem Magnetfeld ein eben noch gerades Röhrchen zum Beispiel in eine Helix (Abbildung 1D) oder in die entgegengesetzte Richtung verformt werden (Abbildung 1E). Darüber hinaus lässt sich dieser Ansatz auf zwei- und dreidimensionale Konstruktionen ausweiten, sodass ein Wechsel von einer Form in die andere in Echtzeit ohne Änderung des Magnetfelds möglich wird (Abbildungen 1F und 1G).
Da der Schwerpunkt an Max-Planck-Instituten in erster Linie auf Neugier getriebener Grundlagenforschung liegt, hat das Team auch untersucht, wie diese Methode in verschiedenen Szenarien angewendet werden könnte, beispielsweise beim Umfahren von Objekten ohne Kontakt, die Neuprogrammierung von Flimmerhärchen- oder Zilien-ähnlichen Kleinstrobotern, oder die koordinierte Zusammenarbeit mehrerer Instrumente unter demselben Magnetfeld.
Die Forschung der Wissenschaftler könnte eines Tages jedoch auch praktische Anwendung finden. Beispielsweise in der Medizin – insbesondere bei der minimalinvasiven, bildgesteuerten Behandlung von Gefäßerkrankungen. Bei diesem Eingriff führen Ärzte einen Katheter und einen Führungsdraht durch die Blutgefäße zur Zielstelle, um dort eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie durchzuführen. Da der Katheter durch gekrümmte Gefäße navigiert, sind Reibung und Kontakt mit der Gefäßwand unvermeidlich. Dies kann zu Schäden führen, die Genesung verzögern und in schweren Fällen medizinische Komplikationen zur Folge haben. Insbesondere ältere Patientinnen und Patienten entscheiden sich oft gegen solche Eingriffe und bevorzugen stattdessen Medikamente.
Die neue Technologie, die nun in Nature veröffentlicht wurde, bietet eine überzeugende Alternative: Durch die Anpassung des Magnetisierungsprofils des Katheters in Echtzeit an den vor ihm liegenden Weg könnten Reibung und Kontakt erheblich reduziert oder sogar ganz vermieden werden. Dies würde Schäden an empfindlichem Gewebe minimieren, eine schnellere Genesung fördern und vaskuläre Eingriffe zu einer praktikablen Option für Menschen machen, die aufgrund ihres Alters oder der Fragilität ihrer Gefäße sonst von diesen Verfahren absehen würden.
„Der Schlauchstapel könnte der Anstoß zu einer neuen Katheter-Technologie sein. Obwohl es sich hierbei um Grundlagenforschung handelt, sehen wir großes Potenzial, dass unsere Forschung in naher Zukunft in die Praxis umgesetzt werden kann“, sagt Sitti.
„Unser ursprüngliches Ziel war es, eine Methode zu entwickeln, mit der sich ein Magnetisierungsprofil umgehend und in situ verändern lässt“, sagt Xianqiang Bao, Erstautor der Publikation. „Während der Forschung entdeckten wir unerwartete Fähigkeiten wie Formbeständigkeit und magnetische Neutralisierung, die neue Möglichkeiten für Technologien wie Katheterdesign und die Neuprogrammierung von Zilienarrays eröffnen.“
„Diese grundlegende Arbeit bietet viele potenzielle Anwendungsszenarien. In unserer zukünftigen Forschung wollen wir diese Methode in spezifische Anwendungen integrieren und ihre Machbarkeit in anderen Bereichen untersuchen“, sagen Fan Wang und Jianhua Zhang, die beiden anderen Co-Erstautoren der Veröffentlichung.
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Figure 1: Illustration of the real-time in-situ magnetisation reprogramming method. (A) nesting of multiple tubes containing magnetic units into an integrated tube; (B) expansion of the number of magnetic units in a single tube; (C) magnetisation profile varying with multi-tube reconfigurations. (D–G) Deformation under a constant magnetic field: (D, E) one-dimensional; (F) two-dimensional; (G) three-dimensional. The tube diameter is 1.9 mm in Fig. 1D and 2.6 mm in Fig. 1E.
Xianqiang Bao
xianqiang@is.mpg.de
https://www.nature.com/articles/s41586-025-09459-0
Figure 1
Quelle: MPI-IS
Copyright: MPI-IS
Prof. Metin Sitti
Quelle: W. Scheible
Copyright: MPI-IS / W. Scheible
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Informationstechnik, Medizin, Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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