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18.09.2025 09:10

Das Geschlecht des Körpers: Warum unsere Organe kein einfaches männlich oder weiblich kennen

Michael Hesse Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie

    Neue Studie des Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön und dem Biomedical Pioneering Innovation Center der Peking University in Beijing, China zeigt: Unsere Organe bilden ein Mosaik geschlechtsspezifischer Merkmale – fernab der strikten Einteilung in „männlich“ und „weiblich“.

    Auf den Punkt gebracht

    • Nur Sexualorgane trennen klar: In allen anderen Organen zeigen sich überlappende Muster männlicher und weiblicher Genaktivität.
    • Unterschiede beim Menschen schwächer: Im Vergleich zu Mäusen sind die Unterschiede geringer und stark überlappend.
    • Geschlecht als Spektrum: Organe können bei einem Individuum teils männlich, teils weiblich geprägt sein – ein mosaikartiges Muster.

    Geschlecht im Körper: Viel komplexer als gedacht
    Biologisches Geschlecht wird meist in einfachen binären Begriffen beschrieben: männlich oder weiblich. Diese Sichtweise passt gut, wenn es um Keimzellen (Spermien versus Eizellen) geht – für die übrigen Körperorgane ist sie jedoch wenig hilfreich.
    Eine jetzt in eLife veröffentlichte Studie* zeigt: In vielen Organen überlappen die geschlechtsspezifischen Muster stark. Nur Hoden und Eierstöcke sind klar unterscheidbar. In allen anderen Organen finden sich mosaikartige Kombinationen von weiblichen und männlichen Eigenschaften.

    Besonders deutlich treten geschlechtsspezifische Gene in den Sexualorganen hervor. Doch in den übrigen Organen ist das Bild komplexer. Bei Mäusen zeigen vor allem Niere und Leber große Unterschiede, beim Menschen das Fettgewebe. Das Gehirn dagegen weist bei beiden Arten nur minimale Unterschiede auf – was sich auch mit früheren Untersuchungen zur Hirnstruktur beim Menschen deckt.

    Um diese Vielfalt messbar zu machen, entwickelten die Forschenden einen Sex-Bias-Index (SBI). Dieser fasst die Aktivität aller männlich- und weiblich-spezifischen Gene in einem Organ zu einem einzigen Wert zusammen. Während der Index in den Sexualorganen eine klare Trennung zeigt, liegen die Werte anderer Organe oft so dicht beieinander, dass Männer und Frauen nicht eindeutig zu unterscheiden sind. So kann das Herz eines Mannes stärker „weiblich“ geprägt sein als das mancher Frauen. Und sogar innerhalb eines Individuums können sich Organe unterschiedlich ausprägen – das Herz eher weiblich, die Leber eher männlich. Es entsteht ein mosaikartiges Muster von Geschlechtsmerkmalen, das dem Bild einer klaren Trennung widerspricht.

    Evolutionäre Dynamik: Warum Unterschiede so schnell wechseln
    Die Studie zeigt außerdem, dass geschlechtsspezifische Genaktivität in Körperorganen sehr schnell evolviert – viel schneller als Gene, die bei beiden Geschlechtern gleich aktiv sind. Schon zwischen Mausarten, die sich erst seit weniger als zwei Millionen Jahren getrennt haben, hat der Großteil der Gene seine geschlechtsspezifische Rolle verloren oder sogar gewechselt.

    Im Vergleich zwischen Mensch und Maus finden sich deshalb nur sehr wenige Gene mit dauerhaft konservierter geschlechtsspezifischer Aktivität. Das bedeutet auch: Mausmodelle sind nur sehr eingeschränkt geeignet, um als Modelle für geschlechtsspezifische Medizin beim Menschen verwendet zu werden.

    Die Forschenden fanden zudem, dass geschlechtsspezifische Gene häufig in „Modulen“ vorkommen, die gemeinsam reguliert werden. Evolution verändert Geschlechtsunterschiede also oft nicht an einzelnen Genen, sondern indem ganze Netzwerke neu angeordnet werden. Der treibende Faktor dafür ist die sexuelle Selektion – also der ständige evolutionäre Konflikt zwischen den Interessen von Männchen und Weibchen. Dieser Konflikt kann nie vollständig aufgelöst werden, da jede Anpassung wiederum neue Gegensätze schafft.

    Überträgt man die Methode auf menschliche Gewebe, zeigt sich ein klares Muster: Deutlich weniger geschlechtsspezifische Gene als bei Mäusen und noch stärkere Überlappungen zwischen Männern und Frauen. In unserer Spezies sind die Unterschiede also schwächer ausgeprägt, was die Vorstellung einer strikten binären Einteilung zusätzlich in Frage stellt.

    Fazit: Geschlecht als Spektrum, nicht als Schublade
    Die Studie kommt zu dem Schluss: Während die Sexualorgane ein klares binäres Muster zeigen, weisen die meisten anderen Gewebe ein Kontinuum geschlechtsspezifischer Genaktivität auf – ein dynamisches Spektrum, das sich zwischen Arten wie auch zwischen Individuen unterscheidet.
    Geschlecht ist also nicht starr und eindeutig, sondern geprägt durch Evolution, Überschneidungen und individuelle Unterschiede. Statt den Körper anhand molekularer Merkmale streng als männlich oder weiblich einzuordnen, sollte er als ein komplexes Mosaik verstanden werden.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Diethard Tautz
    Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie


    Originalpublikation:

    Chen Xie, Sven Künzel, Diethard Tautz (2025) Fast evolutionary turnover and overlapping variances of sex-biased gene expression patterns defy a simple binary sex classification of somatic tissues eLife 13:RP99602
    https://doi.org/10.7554/eLife.99602.4


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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