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20.09.2004 12:05

Die subjektiven und zeitlichen Dimensionen psychischer Erkrankungen ergründen

Dr. Annette Tuffs Unternehmenskommunikation
Universitätsklinikum Heidelberg

    Die 7. Internationale Konferenz über Philosophie, Psychiatrie und Psychologie in Heidelberg schlägt eine Brücke zwischen Geistes- und Naturwissenschaften

    Vom 23. bis 26. September 2004 richtet die Psychiatrische Klinik an der Universität Heidelberg die 7. Internationale Konferenz über Philosophie, Psychiatrie und Psychologie aus. Sie ist in diesem Jahr dem Thema "Time, Memory and History" gewidmet. Zu der Veranstaltung werden 300 Psychiater, Psychologen und Philosophen aus aller Welt erwartet.

    Veranstalter sind die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg und das "International Network for Philosophy and Psychiatry", ein Zusammenschluss von Forschergruppen und Netzwerken aus England, USA, Frankreich, Italien, Deutschland und einer Reihe weiterer Länder, die seit Mitte der 90er Jahre jährlich eine gemeinsame internationale Konferenz veranstalten.

    Gemeinsames Ziel dieser Initiativen ist es vor allem, die subjektive Erfahrung psychischer Krankheit zu erforschen und ins Bewusstsein zu rufen. Dabei geht etwa um die Erfahrung, über einen freien Willen zu verfügen, Herr über meine Bewegungen und Handlungen zu sein, den natürlichen Zeitfluss zu erleben und mich selbst als Einheit wahrzunehmen. All dies erscheint selbstverständlich, ist es aber nicht, denn es kann in psychischen Erkrankungen gestört sein. Die moderne neurobiologische Forschung hat dazu faszinierende, aber auch kontrovers diskutierte Befunde erbracht. Dazu gehört etwa die Beobachtung, dass das subjektive Gefühl der Willensentscheidung erst auftritt, wenn die Vorbereitung einer Bewegung schon eingeleitet ist. Und dennoch beruht unser Rechtssystem, aber auch Psychotherapie auf der Unterstellung freien Willens und der Verantwortbarkeit unseres Handelns.

    "Daher tun sich immer häufiger interessierte Geistes- und Naturwissenschaftler innerhalb und außerhalb der Medizin interdisziplinär zusammen, um die Chancen eines vertieften Verstehens unseres Selbsterlebens zu nutzen. Es entsteht dadurch eine neue wechselseitige Ergänzung zwischen Forschungsrichtungen wie Psychotherapie, Neuropsychologie und Psychopharmakotherapie, wie es sie früher nicht gegeben hat", erklärt Professor Dr. Christoph Mundt, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. Die Erlebnisdimension psychischen Leidens brauche das hermeneutisch orientierte Verstehen und das therapeutische Gespräch. Es stehe im Zentrum psychiatrischen Handelns. Neue Erkenntnisse über bewusste und unbewusste Lernprozesse und die Mechanismen des sich ständig wandelnden Gedächtnisses könnten helfen, die Gesprächsführung zu verbessern.

    Psychische Erkrankungen brauchen in ihrer Vielschichtigkeit biologische und geisteswissenschaftliche Methoden

    Die neuere Hirnforschung zeigt, dass sich all unsere Erfahrungen in Veränderungen der Hirnstruktur niederschlagen, dass das Gehirn also wie unsere Seele selbst ein hochgradig veränderliches, plastisches Organ darstellt, das lebensgeschichtlich gebildet und fortwährend umgeprägt wird. "Gerade die Prozesse des Lernens, der Gedächtnisentwicklung und der von Kindheit an prägenden interpersonellen Erfahrungen haben sich als hochbedeutsam für die Entstehung und Auslösung psychischer Störungen erwiesen," sagt Privatdozent Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs, Oberarzt an der Heidelberger Klinik und Leiter der Sektion "Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie", der die Konferenz leitet. Ihre Erforschung und Behandlung erfordere ein interdisziplinäres Vorgehen, das sich auf objektivierende Verfahren ebenso stützt wie auf die geisteswissenschaftliche Tradition des Beschreibens und Verstehens subjektiver Erfahrung. Der Dialog von Natur- und Geisteswissenschaften bedürfe selbst schon der hermeneutischen oder Übersetzungsarbeit, für die der Philosophie eine besondere Bedeutung zukomme.

    Die Konferenz "Time, Memory and History" wird sich vor allem der zeitlichen Dimension psychischer Krankheiten zuwenden: der subjektiven Zeiterfahrung, der Lebens- und Krankengeschichte, dem Gedächtnis und der Identität als zeitüberdauernder Einheit des Selbsterlebens. In 16 Plenarvorträgen werden namhafte Experten Themen wie Zeit und Selbsterfahrung, soziales Gedächtnis, postmoderne Identität, Zukunft oder Empathie aus philosophischer wie psychiatrischer Sicht beleuchten.

    Psychische Krisen als "Geschichten" verstehen und behandeln

    Über 30 Einzelsymposien und Workshops widmen sich Themen wie der Zeiterfahrung in Emotionen und in der Depression, dem Selbst aus phänomenologischer und neurowissenschaftlicher Sicht, der Kreativität in psychischer Krankheit, der subjektiven Dimension der Schizophrenie, Borderline-Störung und Demenz, sowie der Ethik und Geschichte der Psychiatrie. Gemeinsam ist diesen Beiträgen die Intention: Psychische Erkrankungen bedeuten Krisen und Brüche in der Lebensgeschichte, die letztlich nur heilen können, wenn sie auch in ihrer subjektiven und geschichtlichen Dimension erfasst, d.h. als "Geschichten" verstanden und behandelt werden.

    Heidelberg als Austragungsort der Konferenz kann zweifellos auf eine besondere Tradition der Verbindung von Medizin und Philosophie zurückblicken. Zu nennen ist in erster Linie Karl Jaspers, Psychiater und Philosoph, mit seiner "Allgemeinen Psychopathologie" (1913) ein Pionier der verstehenden Psychopathologie, der zeit seines Lebens die disziplinären Grenzen zwischen Philosophie, Psychologie und Psychiatrie zu überwinden suchte. Die auf ihn folgende Heidelberger Psychopathologie genießt mit Vertretern wie Kurt Schneider, Hans Gruhle oder Willi Mayer-Gross bis heute weltweite Anerkennung; die "Phänomenologische Psychopathologie" stellt auch heute wieder einen Schwerpunkt der Psychiatrischen Universitätsklinik dar. Die Heidelberger medizinische und psychiatrische Anthropologie hat in Victor von Weizsäcker (dem ein Symposium des Kongresses gewidmet ist), Paul Christian, Hubertus Tellenbach, Wolfgang Blankenburg und anderen maßgebliche Begründer und Repräsentanten gefunden, deren Werke bis heute tradiert und erforscht werden. Mit Hans-Georg Gadamer oder Michael Theunissen haben in Heidelberg Philosophen von Weltruhm gelehrt, die dem hermeneutischen Verstehen und der geschichtlichen Erfahrung besondere Geltung verliehen und immer wieder Brücken zu Medizin und Psychiatrie geschlagen haben. Daneben zeigt die weltweit einzigartige Sammlung Prinzhorn in ihrem Museum an der Heidelberger Klinik Werke psychiatrischer Patienten und Künstler und gibt damit ein eindrucksvolles Zeugnis von der subjektiven und kreativen Dimension psychischer Krankheit.

    Programm und weitere Angaben zum Kongress unter:
    http://psychiatrie.uni-hd.de/kongress/ppp2004/ppp2004.html

    Journalisten sind herzlich eingeladen, nach Anmeldung (kostenfrei) an dem Kongress teilzunehmen!

    Anmeldung und Rückfragen bitte bei:
    PD Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs
    Oberarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg
    Leiter der Sektion "Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie"
    E-Mail: Thomas_Fuchs@med.uni-heidelberg.de
    Tel: 06221 / 56 27 44 (Sekretariat) oder 0171-9247555 (Mobilfunk)

    Diese Pressemitteilung ist auch online verfügbar unter
    http://www.med.uni-heidelberg.de/aktuelles/


    Weitere Informationen:

    http://psychiatrie.uni-hd.de/kongress/ppp2004/ppp2004.html
    http://www.med.uni-heidelberg.de/aktuelles/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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