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10.10.2025 09:44

Wenn der Tumor sauer wird: saure Tumorumgebung fördert Überleben und Wachstum von Krebszelle

Dr. Sibylle Kohlstädt Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Tumoren sind kein komfortabler Lebensraum: Sauerstoffmangel, Nährstoffknappheit und die Anreicherung teils schädlicher Stoffwechselprodukte setzen Krebszellen ständig unter Stress. Ein Forschungsteam vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien hat nun entdeckt, dass vor allem der saure pH-Wert im Tumorgewebe – die sogenannte Azidose – entscheidend dafür ist, wie Bauchspeicheldrüsenkrebszellen ihren Energiestoffwechsel anpassen, um unter diesen widrigen Bedingungen zu überleben. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

    Mangelnde Durchblutung und gesteigerte Stoffwechselaktivität sorgen in Tumoren häufig für unwirtliche Bedingungen: Typisch sind ein Mangel an Sauerstoff sowie Glukose und anderen Nährstoffen, die Anreicherung teils schädlicher Stoffwechselprodukte und eine Ansäuerung des Tumormilieus. Experten sprechen von einer Azidose.

    Wie Krebszellen sich an diese unwirtlichen Bedingungen anpassen, untersuchte das Team unter der Leitung von Wilhelm Palm vom DKFZ und Johannes Zuber vom IMP. Zunächst schalteten die Forscher dazu in Bauchspeicheldrüsenkrebszellen mithilfe der Genschere CRIPR-Cas9 systematisch jedes Gen einzeln aus und verfolgten dann, wie sich dessen Verlust unter definierten Stressbedingungen auf Überleben und Wachstum der Zellen auswirkte. Diese Experimente fanden zunächst in der Kulturschale statt. Anschließend wurden die mit diesem Ansatz identifizierten Gene gezielt in Mäusen mit Pankreaskrebs ausgeschaltet und die Auswirkungen mit den Ergebnissen aus der Zellkultur verglichen.

    Die vergleichende Analyse von Hunderten solcher Gene, die für das Krebszellwachstum unter Stressbedingungen relevant sind, zeigte überraschend, dass der Stoffwechsel von Krebszellen im Mausmodell stark durch Anpassungen ihres Energiehaushalts an die Tumorazidose geprägt war. Der Stoffwechsel von Krebszellen innerhalb eines Tumors unterscheidet sich deutlich von dem in herkömmlicher Zellkultur und lässt sich am ehesten durch eine saure Umgebung nachbilden.

    „Es ist nicht allein der Sauerstoffmangel oder die Nährstoffarmut, die den Stoffwechsel im Tumor verändern – es ist vor allem die Ansäuerung des Tumormilieus“, erklärt Wilhelm Palm. Die Azidose hilft den Krebszellen, von einer zuckerbasierten Energiegewinnung (Glykolyse) umzuschalten auf eine effizientere Energieproduktion durch Atmung in den Mitochondrien. Diese Zellstrukturen, so genannte Organellen, werden auch als „Kraftwerke der Zelle“ bezeichnet.

    Die Forscher konnten zeigen, dass der saure pH-Wert tiefgreifende Veränderungen in den Mitochondrien auslöst. Normalerweise liegen sie in Krebszellen als kleine, fragmentierte Strukturen vor. Unter sauren Bedingungen verschmelzen sie jedoch zu ausgedehnten Netzwerken, die deutlich leistungsfähiger sind.

    Möglich wird dies, weil Azidose die Aktivität des Signalproteins ERK hemmt. Eine Überaktivierung dieses Signalwegs sorgt in Krebszellen normalerweise dafür, dass Mitochondrien immer wieder in viele kleine Fragmente geteilt werden. Bleibt diese Fragmentierung in Folge der Tumorazidose aus, können Mitochondrien verschiedene Nährstoffe effizienter zur Energieproduktion nutzen. Wird durch einen genetischen Eingriff unterbunden, dass die Mitochondrien verschmelzen, so verlieren Krebszellen ihre Stoffwechselflexibilität und wachsen im saurem Milieu eines Tumors deutlich schlechter.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Azidose nicht einfach ein Nebenprodukt des Tumorstoffwechsels ist, sondern ein wichtiger Schalter, der die Energieversorgung und Überlebensstrategien der Krebszellen steuert“, erklärt Ko-Studienleiter Johannes Zuber. Langfristig könnten diese Erkenntnisse neue Ansatzpunkte für Therapien eröffnen, die gezielt in den Energiestoffwechsel von Tumoren eingreifen.

    Publikation:
    Groessl S, Kalis R, Snaebjornsson MT, Wambach L, Haider J, Andersch F, Schulze A, Palm W, Zuber J. Acidosis orchestrates adaptations of energy metabolism in tumors. Science 2025, DOI: 10.1126/science.adp7603

    Krebsforschung zum Hören – die Pressemitteilung als Mini-Podcast:
    https://www.dkfz.de/fileadmin/user_upload/Skoe/Audio/Wenn_der_Tumor_sauer_wird__...
    (KI-generiert)

    Ein Bild zur Pressemitteilung steht zur Verfügung unter:
    https://www.dkfz.de/fileadmin/user_upload/Skoe/Pressemitteilungen/2025/Picture_P...

    BU: Krebszellen verändern die Form ihrer Mitochondrien (gelb), in saurer Umgebung. Das zusammengesetzte Bild zeigt zwei Zellen unter neutralem pH-Wert (links) im Vergleich zu einer sauren Umgebung (rechts), in der die Mitochondrien längliche Netzwerke bilden.

    Nutzungshinweis für Bildmaterial zu Pressemitteilungen
    Die Nutzung ist kostenlos. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) gestattet die einmalige Verwendung in Zusammenhang mit der Berichterstattung über das Thema der Pressemitteilung bzw. über das DKFZ allgemein. Bitte geben Sie als Bildnachweis an: „Quelle: Groessl / DKFZ“.
    Eine Weitergabe des Bildmaterials an Dritte ist nur nach vorheriger Rücksprache mit der DKFZ-Pressestelle (Tel. 06221 42 2854, E-Mail: presse@dkfz.de) gestattet. Eine Nutzung zu kommerziellen Zwecken ist untersagt.

    Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

    Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

    Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
    Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
    Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
    Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
    DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
    Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

    Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

    Ansprechpartner für die Presse:

    Dr. Sibylle Kohlstädt
    Pressesprecherin
    Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
    Deutsches Krebsforschungszentrum
    Im Neuenheimer Feld 280
    69120 Heidelberg
    T: +49 6221 42 2843
    E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
    E-Mail: presse@dkfz.de
    www.dkfz.de


    Originalpublikation:

    Groessl S, Kalis R, Snaebjornsson MT, Wambach L, Haider J, Andersch F, Schulze A, Palm W, Zuber J. Acidosis orchestrates adaptations of energy metabolism in tumors. Science 2025, DOI: 10.1126/science.adp7603


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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