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15.10.2025 11:35

Ein Funke Evolution: Wenn Unterschiede im Zusammenleben neue Arten schaffen

Nathalie Matter Media Relations, Universität Bern
Universität Bern

    Schon minimale Unterschiede in der Artenzusammensetzung können den Lauf der Evolution verändern: Ein Forschungsteam der Universität Bern und der University of British Columbia in Kanada zeigt, dass das Vorkommen einer einzigen anderen Fischart ausreicht, um bei Stichlingen die Entstehung neuer Arten anzutreiben.

    Seit Langem wird vermutet, dass die Anpassung an unterschiedliche Lebensräume eine wichtige Rolle für die Entstehung neuer Arten spielt. Wie gross dieser Einfluss aber tatsächlich ist – insbesondere für den Beginn des Artbildungsprozesses – und welche ökologischen Unterschiede dabei eine entscheidende Rolle spielen, gehört bis heute zu den grossen offenen Fragen der Evolutionsforschung.

    Für die aktuelle Studie untersuchte das Forschungsteam Populationen von Stichlingen aus kleinen Seen Westkanadas, die nach dem Abschmelzen der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit, also vor weniger als 12’000 Jahren, entstanden sind. Vom Meer aus eroberte der Dreistachlige Stichling – ein nur etwa fingergrosser Fisch – diese jungen Gewässer. Obwohl sich die meisten dieser Seen in ihren Umweltbedingungen stark ähneln, gibt es einen entscheidenden Unterschied: In manchen lebt neben dem Stichling eine weitere Fischart, die Stachlige Groppe, in anderen nicht.

    Dieses scheinbar kleine ökologische Detail hat grosse Folgen: In Seen mit Groppen haben sich Stichlingspopulationen in evolutiv kürzester Zeit zu schlanken, im Freiwasser lebenden Formen entwickelt, in Seen ohne Groppen dagegen zu gedrungeneren, bodenorientierten Formen. «Unsere Studie liefert neue Einblicke, wie neue Arten entstehen und welche Bedeutung solche ökologischen Unterschiede dabei haben», sagt Dr. Marius Rösti vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. Rösti ist Erstautor der Studie, die soeben in der Fachzeitschrift PNAS erschienen ist. Er initiierte das Forschungsprojekt während seines mehrjährigen Postdoktorats an der University of British Columbia in Kanada, das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt wurde, und schloss die Arbeiten an der Universität Bern ab.

    Paarungsverhalten als entscheidender Schritt auf dem Weg zu neuen Arten

    Um herauszufinden, ob unterschiedliche Anpassung von Stichlingen aus Seen mit und ohne Groppen tatsächlich zur Entstehung neuer Arten führt, setzten die Forschenden Hunderte Fische aus mehreren Seen beider Typen in grosse Versuchsteiche. Eine genetische Analyse von über 400 Nachkommen brachte Überraschendes zutage: Stichlinge paarten sich bevorzugt mit Partnern aus demselben Seentyp. In manchen Fällen war diese Partnerwahl so ausgeprägt, dass sich Populationen aus unterschiedlichen Seentypen vollständig voneinander trennten.

    Rösti erklärt: «Dieser direkte Nachweis der Entstehung neuer Arten gelang nur dank des experimentellen Ansatzes. Indem wir evolutiv sehr junge Populationen unter kontrollierten Bedingungen zusammenbrachten, konnten wir zeigen, dass sie trotz vorhandener Paarungsmöglichkeiten weitgehend reproduktiv getrennt blieben – und damit den entscheidenden Schritt auf dem Weg hin zu neuen Arten vollzogen haben.»

    Interaktion mit einer einzigen, ökologisch ähnlichen Art entscheidend

    Wie die Studie zudem belegen konnte, hing der Grad der Isolation von der Stärke der Anpassung an die Groppe ab. Kurz gesagt, Populationen aus unterschiedlichen Seentypen, die sich in Körperform und Erbgut besonders stark unterschieden, paarten sich kaum noch miteinander. «Bemerkenswert ist, dass die Groppe kaum in direkter Wechselwirkung mit dem Stichling steht: Sie frisst ähnliche Beutetiere und hat dieselben Fressfeinde. Die beiden Arten beeinflussen sich also vor allem indirekt», erklärt Rösti. Bislang galt vor allem der Einfluss enger, direkter Beziehungen – etwa zwischen Wirt und Parasit oder Pflanze und Bestäuber – als Motor schneller Artbildung. «Unsere Studie zeigt, dass auch indirekte ökologische Interaktionen ausreichen können, um den Artbildungsprozess in Gang zu setzen», so Rösti.

    Die Ergebnisse machen deutlich, dass ökologische Unterschiede auch zwischen geografisch isolierten Populationen ein wichtiger Motor der Artbildung sein können. Zwar gilt geografische Isolation häufig als Voraussetzung für den Beginn der Artbildung, doch ist umstritten, welche Bedeutung Unterschiede in der ökologischen Anpassung dabei tatsächlich haben. «Unsere Studie zeigt, dass neue Arten nicht zwingend durch lange geografische Trennung und zufällige Veränderungen entstehen – manchmal genügt schon die Anpassung an scheinbar kleine ökologische Unterschiede, um den Artbildungsprozess in erstaunlich kurzer Zeit anzustossen», sagt Rösti.

    Empfindliches Zusammenspiel von Arten

    Die Studie verdeutlicht, dass selbst kleine ökologische Unterschiede das Potenzial haben, die biologische Vielfalt langfristig zu prägen. Sie macht dadurch auch deutlich, wie empfindlich das Zusammenspiel von Arten für deren Evolution und biologische Vielfalt ganz allgemein ist: Je nach Veränderung können neue Arten entstehen oder bestehende Arten verschwinden. «Vor Kurzem haben wir erfahren, dass eine der untersuchten Stichlingspopulationen inzwischen ausgestorben ist, nachdem eine räuberische, fremde Fischart in ihren See eingeführt wurde. Ein trauriges Beispiel, das zeigt, wie stark auch menschliche Eingriffe, die das Zusammenleben von Arten verändern, natürliche Evolutionsprozesse tiefgreifend und dauerhaft beeinflussen können», sagt Rösti.

    Die Forschenden führen ihre Untersuchungen zur Artbildung fort – auch in heimischen Gewässern wie im Bodenseeraum, wo sich der Stichling ebenfalls an unterschiedliche Lebensräume angepasst hat. Im Mittelpunkt steht dabei das Ziel, die Mechanismen der Artbildung unter naturnahen Bedingungen mit Feldexperimenten besser zu verstehen. Durch die Kombination solcher Experimente mit hochauflösenden Laboranalysen wollen die Forschenden weitere Einblicke in die Entstehung biologischer Vielfalt gewinnen.

    Das Institut für Ökologie und Evolution / Departement für Biologie

    Das Institut für Ökologie und Evolution an der Universität Bern widmet sich der Forschung und Lehre in allen Aspekten von Ökologie und Evolution und versucht eine wissenschaftliche Basis für das Verständnis und die Erhaltung der lebenden Umwelt zu bieten. Es werden die Mechanismen untersucht, durch die Organismen auf ihre Umwelt reagieren und mit ihr interagieren, einschliesslich phänotypischer Reaktionen auf individueller Ebene, Veränderungen in Häufigkeiten von Genen und Allelen auf Populationsebene, wie auch Veränderungen in der Artenzusammensetzung von Gemeinschaften bis hin zur Funktionsweise von ganzen Ökosystemen.
    Mehr Informationen


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Marius Rösti
    Universität Bern, Institut für Ökologie und Evolution (IEE)
    Telefon +41 31 684 30 20
    E-Mail-Adresse: marius.roesti@unibe.ch


    Originalpublikation:

    Roesti, M., J. S. Groh, F. C. Jones, C. L. Peichel and D. Schluter. 2025. A species interaction kick-starts ecological speciation in allopatry. Proceedings of the National Academy of Sciences (USA): in press.
    DOI: 10.1073/pnas.2506625122
    https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2506625122


    Weitere Informationen:

    https://mediarelations.unibe.ch/medienmitteilungen/2025/medienmitteilungen_2025/...


    Bilder

    Ein männlicher Dreistachliger Stichling sorgt sich um die Eier in seinem Nest.
    Ein männlicher Dreistachliger Stichling sorgt sich um die Eier in seinem Nest.

    Copyright: Marius Rösti

    Dr. Marius Rösti Universität Bern, Institut für Ökologie und Evolution
    Dr. Marius Rösti Universität Bern, Institut für Ökologie und Evolution

    Copyright: zvg


    Anhang
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Ein männlicher Dreistachliger Stichling sorgt sich um die Eier in seinem Nest.


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    Dr. Marius Rösti Universität Bern, Institut für Ökologie und Evolution


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