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17.10.2025 09:30

Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen bringt kaum Entlastung

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Stiftung

    Koalitionspläne zur Ausweitung der Mehrarbeit

    Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen bringt kaum Entlastung – Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen gehen weitgehend leer aus

    Nach den Plänen der schwarz-roten Koalition sollen Überstundenzuschläge künftig unter bestimmten Bedingungen steuerfrei bleiben. Doch wie viele Menschen von der neuen Regelung profitieren würden und wie hoch die Steuerersparnis ausfällt, war bisher unklar.

    Eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt jetzt: Nur eine verschwindend kleine Minderheit von 1,4 Prozent aller Beschäftigten könnte sich künftig auf einen Steuerbonus freuen, der Rest geht leer aus.* Im Durchschnitt aller Beschäftigten in Deutschland blieben deshalb nur 0,87 Euro pro Monat steuerfrei, die mittlere Steuerersparnis fällt mit monatlich 0,31 Euro noch einmal dürftiger aus. Gleichzeitig entfällt die Entlastung ganz überwiegend auf Beschäftigte aus der oberen Hälfte der Entgeltverteilung. Die Berechnungen des WSI beruhen auf der Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes vom April 2024, die detaillierte Gehaltsdaten von rund 9,6 Millionen Beschäftigten enthält.

    „In den Betrieben haben sich Arbeitszeitkonten durchgesetzt und Mehrarbeit kann später durch Freizeit ausgeglichen werden“, so Studienautor Dr. Malte Lübker. Nach den Ergebnissen der IAB-Arbeitszeitrechnung verfällt zudem die Mehrheit der Überstunden im engeren Sinne. „Bezahlte Überstunden sind inzwischen eher ein Randphänomen“, so Lübker. Laut Verdiensterhebung bekamen im April 2024 nur 5,1 Prozent der Beschäftigten Überstunden ausbezahlt, darunter waren 1,8 Prozent mit einem Überstundenzuschlag (siehe auch Tabelle 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Nach den Koalitionsplänen sollen Überstunden jedoch nur berücksichtigt werden, wenn diese über die normale Vollzeit hinausgehen, sodass sich mit 1,4 Prozent ein noch kleinerer Kreis von Begünstigten abzeichnet. Beschäftigte in Teilzeit erreichen die Vollzeitschwelle auch inklusive Überstunden nur in Ausnahmefällen, sodass von ihnen nur 0,2 Prozent einen Steuervorteil erwarten können. Geringfügig Beschäftigte gehen leer aus. Deutlich häufiger profitieren hingegen Vollzeitbeschäftigte (2,4 %). Für Beschäftigte mit Tarifvertrag (1,7 %) sind die Aussichten auf einen Steuerbonus etwas besser, als wenn der Tarifvertrag fehlt (1,1 %).

    Da Frauen in Deutschland häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer, würden unter ihnen nur 0,5 Prozent von der Steuerbefreiung profitieren. Bei Männern ergibt sich ein höherer Anteil von 2,2 Prozent. Deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen sich auch bei der Höhe der freigestellten Beträge: Während Männer künftig pro Monat durchschnittlich 1,46 Euro steuerfrei mit nach Hause nehmen würden, sind es bei Frauen nur 0,23 Euro pro Monat. Dies liegt nur zum Teil daran, dass Frauen aufgrund der ungleichen Verteilung der Sorgearbeit weniger Überstunden machen als Männer. Entscheidend ist vielmehr, dass bei Frauen aufgrund des Vollzeit-Erfordernisses nur rund die Hälfte (54 %) der Überstunden mit Zuschlag unter das neue Steuerprivileg fallen würde. Bei Männern sind es neun von zehn Überstunden mit Zuschlag (88 %). Entgeltexperte Lübker sieht darin einen Beleg für die mittelbare Diskriminierung von Frauen.

    Auch wenn die individuelle Entlastung insgesamt sehr klein ist: Das Koalitionsvorhaben hat zudem problematische Auswirkungen auf die Einkommensverteilung. Rund 95 Prozent des Entlastungsvolumens käme Beschäftigten aus der oberen Hälfte der Entgeltverteilung zugute, während auf die untere Hälfte nur 5 Prozent der Gesamtsumme entfallen. Für Arbeitnehmer*innen mit einem Bruttomonatsverdienst von bis zu 3.041 Euro beträgt die durchschnittliche Steuerersparnis gerade einmal 3 Cent pro Monat, für das Zehntel mit den höchsten Gehältern hingegen 1,18 Euro (siehe auch Tabelle 2 in der pdf-Version). „Die neue Studie zeigt, wie sozial unausgewogen das Vorhaben ist“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Statt eine breite Entlastung zu bewirken, würde von dem Steuerprivileg in erster Linie eine kleine Gruppe von Beschäftigten profitieren, die auch so ein auskömmliches Gehalt haben. Das trägt weiter zur Ungleichheit in der Gesellschaft bei und setzt ein falsches Signal.“

    Das Vorhaben, das auf das Wahlprogramm der CDU/CSU zurückgeht, war zuletzt auch vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen scharf kritisiert worden. Die Ökonom*innen hatten argumentiert, dass die neue Regelung das Steuerrecht noch komplexer macht und erhebliche Bürokratiekosten bei Arbeitgebern und in der Finanzverwaltung verursachen würde. Außerdem bezweifelten sie, dass die Steuerersparnis aufgrund ihrer geringen Höhe einen wirksamen Anreiz für Mehrarbeit setzt. Der Beirat war dabei unter großzügigen Annahmen von einer Steuerersparnis von 3,50 Euro pro Überstunde ausgegangen. Die neue WSI-Analyse zeigt, dass der Steuerbonus in der Realität mit 1,35 Euro pro Überstunde deutlich geringer ausfallen dürfte. Für Beschäftigte mit einem Bruttoverdienst von bis zu 3.041 Euro beläuft sich das durchschnittliche Plus beim Netto-Gehalt sogar nur auf 0,39 Euro pro steuerbegünstigter Überstunde mit Zuschlag. Grund dafür ist unter anderem, dass für Beschäftigte mit geringerem Einkommen auch der Steuersatz geringer ist und Überstundenzuschläge geringer ausfallen als bei Beschäftigten mit höherem Einkommen.

    Handlungsbedarf besteht laut der neuen WSI-Studie in anderen Bereichen. So verfällt derzeit nach der IAB-Arbeitszeitrechnung mehr als die Hälfte aller geleisteten Überstunden ohne Bezahlung und ohne Freizeitausgleich. Um dies zu verhindern, sollten laut Studie verbleibende Lücken in der Arbeitszeiterfassung geschlossen werden. Zudem gibt es bei einigen Arbeitgebern – beispielsweise im Polizeidienst des Landes Nordrhein-Westfalen – die fragwürdige Praxis, auch bereits erfasste Überstunden unter bestimmten Bedingungen wieder aus den Arbeitszeitkonten zu löschen.

    Trotzdem hat sich auf den Arbeitszeitkonten in Deutschland inzwischen ein Berg von fast 500 Millionen bereits geleisteter Stunden im Wert von rund 9,5 Milliarden Euro angesammelt. „Wenn Beschäftigte in Bereichen mit besonders hoher Arbeitsbelastung keine realistische Perspektive auf Freizeitausgleich haben, kann es sinnvoll sein, die Zeitguthaben auszuzahlen“, so Lübker. „Ob ein etwaiger Überstundenzuschlag dabei steuerfrei bleibt oder nicht, ist für die Beschäftigten eher zweitrangig.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Malte Lübker
    Entgelt-Experte am WSI
    Tel.: 0211-7778-574
    E-Mail: Malte-Luebker@boeckler.de

    Rainer Jung
    Leiter Pressestelle
    Tel.: 0211-7778-150
    E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de


    Originalpublikation:

    *Malte Lübker: Steuerliche Freistellung von Überstundenzuschlägen. Geringe Entlastung und problematische Verteilungswirkungen. WSI Policy Brief Nr. 93, Oktober 2025. Download: https://www.boeckler.de/data/p_wsi_pb_93_2025.pdf

    Die PM mit Tabellen (pdf): https://www.boeckler.de/data/pm_wsi_2025_10_17.pdf


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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