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21.09.2004 14:53

Fliegen mit dem "sechsten Sinn"? - Forschergruppe charakterisiert Orientierungssinn der Zugvögel

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Veröffentlichung am 28. September in "PNAS": Von der VolkswagenStiftung geförderte Nachwuchsforscher an der Universität Oldenburg wissen jetzt noch genauer, wie Vögel sich über lange Flugstrecken orientieren.

    Ein typisches Herbstbild: Riesige Vogelschwärme ziehen über das Land. Die einen sind auf dem Weg in wärmere Gefilde, die anderen kommen, um bei uns zu überwintern. Je mehr Wissenschaftler über das Geheimnis des Vogelzugs herausfinden, desto faszinierender erscheint das alljährliche Phänomen: Orientierung und Navigation bei Tag und Nacht, bei bedecktem Himmel oder Sonnenschein; Non-Stop-Flüge über Wüsten, Ozeane und Gebirge. Pünktliche Ankunft an den Brutplätzen, oft auf den Tag genau, und dies nach Reisen, die ganze Kontinente umspannen.

    Damit die Vögel auch nach Tausenden von Kilometern punktgenau an ihrem Ziel ankommen, benötigen sie eine Art Feinjustierung zur präzisionsgenauen Umsetzung des Zugbefehls. Seit kurzem ist bekannt, dass den Vögeln hier als eine Art "sechster Sinn" ein Magnetsinn hilft, der wie ein biologischer Kompass funktioniert. Man vermutete zudem, dass dieser Magnetsinn angeboren sein muss. Wo genau jedoch dieses Sinnesorgan liegt und welche biochemischen Prozesse dort ablaufen, blieb ungewiss. Neue Erkenntnisse liefert jetzt eine Veröffentlichung in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "PNAS" (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America), Ausgabe vom 28. September 2004. Einem Forscherteam unter Leitung des von der VolkswagenStiftung geförderten Nachwuchswissenschaftlers Dr. Henrik Mouritsen vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg gelang es, erste Details dieses Orientierungs­mechanismus zu klären. Kooperationspartner war die Oldenburger Neurobiologiegruppe um Professor Dr. Reto Weiler.
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    Kontakt Universität Oldenburg
    Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
    Dr. Henrik Mouritsen
    Telefon: 04 41/7 98 - 3081
    E-Mail: henrik.mouritsen@uni-oldenburg.de

    Dr. Miriam Liedvogel
    Telefon: 04 41/7 98 - 3097
    E-Mail: miriam.liedvogel@uni-oldenburg.de
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    Aus Verhaltensbeobachtungen schlossen die Wissenschaftler zunächst, dass Zugvögel über Lichtrezeptoren - also über lichtempfindliche Moleküle - in den Nervenzellen ihrer Augen das Magnetfeld der Erde als visuelles Raster erkennen beziehungsweise erspüren können. Ein potentielles "Magnetfeld-Rezeptormolekül" muss eine Reihe von physikalischen und biochemischen Eigenschaften erfüllen. In Tieren kommt hier ausschließlich die Molekülklasse der Cryptochrome (CRYs) in Frage - doch: Kommen diese Moleküle überhaupt in der Netzhaut von Zugvögeln vor?

    Sie kommen. Zumindest zwei Vertreter der Molekülfamilie der Cryptochrome, CRY1 und ein CRY2, haben die Forscher jetzt in der Netzhaut ihres Untersuchungsobjekts, der Gartengrasmücke, nachweisen können. Mouritsen und sein Team zeigten auch, dass das "Gartengrasmücken-CRY1" (gwCRY1) konzentriert in speziellen Zelltypen der Retina vorkommt, besonders in Ganglienzellen und insbesondere in den großen "versetzten" Ganglienzellen. Dies sind nun gerade jene Zellen, die während der Nacht bei nachtziehenden Zugvögeln das höchste Maß an neuronaler Aktivität zeigen - zu der Zeit also, in der sich Gartengrasmücken magnetisch orientieren.

    Zudem unterscheidet sich das nächtliche CRY1-Aktivitätsmuster zwischen Zug- und nichtziehenden Standvögeln deutlich. Bei letzteren lassen sich nachts nahezu keine Cryptochrome in der Retina finden, und in den "versetzten Ganglienzellen" kommen sie auch tagsüber nicht vor. Das Vorkommen von Cryptochromen bei Nacht scheint somit eine Spezialisierung bei Zugvögeln zu sein. Insgesamt stützen diese Ergebnisse der Oldenburger Forscher die Hypothese, dass das Cryptochrom das primär magneto-sensorische Molekül sein könnte, das magnetische Informationen für den Vogel in visuelle Signale umzusetzen vermag. Auf diese Weise dürfte der Vogel letztlich das Magnetfeld der Erde "sehen" und sich daran orientieren können.

    Mit dieser Veröffentlichung legt Mouritsen bereits die zweite international beachtete Veröffentlichung in diesem Jahr vor. In der renommierten Wissenschaftszeitschrift "Science" (Ausgabe vom 16. April 2004) beschrieb er zuvor die Funktionsweise des magnetischen Kompasses. Dieser Kompass beruht - und das war seinerzeit der Erkenntnisstand - offensichtlich nicht auf einer feststehenden Ausrichtung in Abhängigkeit vom magnetischen Norden. Stattdessen ist die magnetische Ausrichtung, die während des Vogelfluges benutzt wird, auf die Richtung des Sonnenuntergangs geeicht (siehe auch Pressemitteilung der VolkswagenStiftung vom 13. April 2004).

    Zu dieser Erkenntnis kamen die Forscher, nachdem sie Nordamerikanische Catharus-Drosseln bei beginnender Dämmerung, kurz vor deren Abflug, im Käfig nach Osten gerichteten Magnetfeldern ausgesetzt hatten. In der Nacht dann "verfolgten" sie einzelne Tiere während ihres Fluges mittels Radiotelemetrie, also Funkfernmessung - und machten folgende Beobachtung: Anstatt sich nordwärts auszurichten, wie es von den Frühlings-Zugvögeln zu erwarten gewesen wäre, flogen die Drosseln jetzt nach Westen. Als sie jedoch in den folgenden Nächten wieder unterwegs waren, fielen dieselben Individuen in ihre nördliche Zugrichtung zurück.

    Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass Catharus-Drosseln - und möglicherweise auch andere Singvögel - bei ihrer Navigation in der freien Natur einen magnetischen Kompass benutzen, der während der Dämmerung geeicht wird. Der Clou: In Abhängigkeit vom Sonnenuntergang richtet sich dieser täglich neu aus. Der einfache Mechanismus bietet eine Erklärung für die bislang unbeantwortete Frage, wie Zug- und Wandervögel ihren magnetischen Kompass auch in Gebieten "benutzen" können, wo magnetischer und geografischer Nordpol stark auseinander fallen. Entsprechend ließe sich erklären, wieso die Vögel den magnetischen Äquator überqueren können, ohne die Orientierung zu verlieren.

    Die Stiftung fördert die Arbeiten von Dr. Henrik Mouritsen am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg im Zuge der 2002 eingerichteten Nachwuchsgruppe "Animal navigation - a search for behavioural and physiological mechanisms" mit 1,24 Millionen Euro.
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    Kontakt VolkswagenStiftung
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Christian Jung
    Telefon: 05 11/83 81 - 380
    E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Kontakt Förderinitiative der VolkswagenStiftung
    Dr. Anja Fließ
    Telefon: 05 11/83 81 - 374
    E-Mail: fliess@volkswagenstiftung.de


    Weitere Informationen:

    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse04/21092004.htm


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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