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21.10.2025 10:00

Anfeindungen gehören für viele Parlamentsmitglieder zum Alltag

Nathalie Huber Kommunikation
Universität Zürich

    Fast alle Bundesparlamentarier:innen und drei Viertel der Kantonsparlamentarier:innen berichten von Hassrede, Drohungen oder gar Gewalt im Zusammenhang mit ihrem Amt. Besonders häufig betroffen sind politisch und medial exponierte Personen sowie bestimmte soziale Gruppen, wie eine Befragung der Universität Zürich im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zeigt.

    Beleidigungen, Hassrede, Drohungen oder gar körperliche Angriffe: Anfeindungen gegen Parlamentsmitglieder in der Schweiz sorgen seit einigen Jahren vermehrt für Schlagzeilen. Eine neue Untersuchung des Soziologischen Instituts der Universität Zürich (UZH) zeigt nun erstmals umfassend, wie stark Volksvertreterinnen und -vertreter betroffen sind und welche Folgen diese Anfeindungen haben. Im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) wurden dazu über 3’500 Parlamentsmitglieder der Exekutive auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene befragt.

    Heikle Themen machen angreifbar
    Für den Untersuchungszeitraum von 2023 bis 2024 berichten nahezu alle Parlamentsmitglieder auf Bundesebene von Anfeindungen im Zusammenhang mit ihrem politischen Mandat. Dazu zählen persönliche Herabsetzungen, Hassrede, Drohungen, Diffamierung, Stalking, Vandalismus und Gewalt. Auf kantonaler Ebene sind rund drei Viertel und auf kommunaler Ebene knapp die Hälfte aller Parlamentsmitglieder betroffen. Ein erhöhtes Risiko haben insbesondere Angehörige der SVP und der Grünen.

    Auf Gemeindeebene sind zudem Frauen, politisch links positionierte Personen sowie Angehörige sozialer Minderheiten (z. B. religiöse, ethnische oder sexuelle Minderheiten) überdurchschnittlich häufig von Anfeindungen betroffen. «Wer zudem medial sichtbarer ist oder zu kontrovers debattierten Themen wie Zuwanderung, Gleichstellung oder Verkehrspolitik Stellung bezieht, wird häufiger angefeindet», sagt Lea Stahel, Projektleiterin und Co-Studienautorin am Institut für Soziologie der UZH.

    Online-, persönliche oder parteiinterne Anfeindungen
    Auf Bundesebene stammen Anfeindungen gegen Parlamentsmitglieder meist von unbekannten Dritten, die Online-Kanäle nutzen. Auf kantonaler und kommunaler Ebene erfolgen sie hingegen überdurchschnittlich oft im persönlichen Kontakt. In Gemeindeparlamenten werden Mitglieder anderer Parteien sogar als häufigste Verursacher:innen solcher Anfeindungen genannt. Frauen und Angehörige von Minderheiten berichten besonders häufig von Hassrede, während politisch rechts positionierte Personen häufiger von Drohungen, Gewalt oder Vandalismus betroffen sind.

    Rückzug statt Teilhabe
    Frauen, Angehörige von Minderheiten sowie Personen mit Diffamierungserfahrungen berichten von besonders hohen Stresswerten infolge von Anfeindungen. Im Vergleich zu Männern und Mehrheitsangehörigen meiden sie deutlich häufiger öffentliche Auftritte, um Anfeindungen zu entgehen – ein Phänomen, das als «Silencing» bezeichnet wird. «Das kann die politische Teilhabe und Sichtbarkeit bestimmter Gruppen verringern – mit möglichen Folgen für ihre Repräsentation und die demokratische Teilhabe insgesamt», erklärt Sarah Bütikofer, Co-Studienautorin am Institut für Soziologie der UZH.

    Mehrheit für strengere Social-Media-Regeln
    Eine Mehrheit der Parlamentsmitglieder spricht sich grundsätzlich für Massnahmen gegen Anfeindungen aus – besonders deutlich tun dies nationale, politisch links positionierte und weibliche Mitglieder. Am meisten Zustimmung erhalten eine stärkere Regulierung sozialer Medien und eine konsequente Strafverfolgung. Ebenfalls breit unterstützt werden ein systematisches Monitoring von Anfeindungen, Unterstützungs- und Beratungsangebote innerhalb des politischen Systems sowie Initiativen zur Förderung einer respektvollen politischen Kultur – beispielsweise durch verbindliche Debattenregeln oder Aufklärungskampagnen.

    Verlust politischer Perspektiven
    «Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass Anfeindungen häufig auftreten, sondern auch, dass sie sich entlang klar erkennbarer Linien verdichten – nach Staatsebenen, Parteien, sozialen Gruppen und kontrovers debattierten Themen», fasst Lea Stahel die Resultate zusammen. Anfeindungen beträfen nicht nur individuelle Schutzbedürfnisse, sondern auch Grundfragen der demokratischen Repräsentation. «Wenn sich Betroffene aus Öffentlichkeit und Debatte zurückziehen, drohen Verzerrungen und ein Verlust politischer Perspektiven», ergänzt Sarah Bütikofer.

    Eine ergänzende Analyse bestehender Gegenmassnahmen im In- und Ausland zeigt: In der Schweiz gibt es zwar einzelne Ansätze, um Anfeindungen zu begegnen, doch diese bieten klares Potenzial für Ausbau und Professionalisierung. «Unsere Studie macht deutlich, dass sich ein mehrdimensionales Massnahmenpaket anbieten würde, das sich am konkreten Bedarf der Parlamentsmitglieder orientiert», schliesst Stahel.

    Literatur
    Lea Stahel, Sarah Bütikofer. Anfeindungen gegen Parlamentsmitglieder in der Schweiz. Empirische Grundlagen und Handlungsvorschläge, im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements.
    September 2025

    Kontakt
    Dr. Lea Stahel
    Soziologisches Institut
    Universität Zürich
    +41 44 635 23 17
    stahel@soziologie.uzh.ch
    https://www.suz.uzh.ch/de/institut/mitarbeitende/stahel.html


    Originalpublikation:

    Lea Stahel, Sarah Bütikofer. Anfeindungen gegen Parlamentsmitglieder in der Schweiz. Empirische Grundlagen und Handlungsvorschläge, im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements.
    September 2025


    Weitere Informationen:

    https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2025/anfeindungen-parlamentarier.html


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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