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05.11.2025 14:05

Uralte virale DNA prägt die menschliche Plazenta

Jana Schlütter Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

    Wie kann man Mütter mit Risiko für Präeklampsie früher erkennen? Alte virale DNA könnte ein Hinweis sein. Sie steuert ein Gen, das an der Entwicklung der Plazenta beteiligt ist, berichtet ein internationales Team um Forschende des Max Delbrück Center und der University of Bath in „Genome Biology“.

    Gemeinsame Pressemitteilung des Max Delbrück Center und der University of Bath
     
    Das menschliche Genom ist gespickt mit Überresten viraler Infektionen: DNA-Fragmenten von Viren, die sich über Millionen von Jahren in die menschliche DNA eingeschleust haben und dort bis heute geblieben sind. Die meisten von ihnen sind inaktiv, doch einige haben funktionale Rollen übernommen – vor allem in Organen, die sich relativ schnell entwickeln, wie zum Beispiel der Plazenta.
     
    Ein internationales Team aus Genetiker*innen, Evolutionsbiolog*innen, Bioinformatiker*innen und klinisch Forschenden hat jetzt herausgefunden, wie einige dieser alten viralen DNA-Fragmente das heutige Leben beeinflussen: vor allem indem sie Gene regulieren, die die normale Entwicklung und Funktion der Plazenta steuern. Ein bestimmtes Gen, EPS8L1, löst zudem, wenn es überaktiv wird, wichtige Merkmale der Präeklampsie aus, einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung in der Schwangerschaft. Die Forschungsergebnisse sind in „Genome Biology“ veröffentlicht worden.
     
    „Die Erkenntnisse verbinden einen tiefgreifenden Evolutionsprozess mit einem sehr modernen klinischen Problem und weisen auf einen potenziellen Biomarker hin, mit dem das Risiko einer Präeklampsie erkannt werden kann, bevor Symptome auftreten“, sagt Professorin Zsuzsanna Izsvák, die Leiterin der Arbeitsgruppe „Mobile DNA“ am Max Delbrück Center in Berlin und eine der korrespondierenden Autor*innen der Studie.
     
    Etwa fünf Prozent aller schwangeren Frauen erleiden eine Präeklampsie, die sowohl für die Mutter als auch für das ungeborene Baby äußerst gefährlich sein kann. Heilen lässt sie sich nicht und in den schwersten Fällen ist eine Frühgeburt erforderlich. Die genaue Ursache der Erkrankung ist nach wie vor unklar – was zum Teil daran liegt, dass sie so schwer zu untersuchen ist.
     
    KI liest in der DNA
     
    Mithilfe von „A100 Beast“, ein von Dr. Amit Pande aus Izsváks Team entwickelten Deep-Learning-Modell, klassifizierten die Forschenden DNA-Sequenzen, die die Genexpression verschiedener Spezies regulieren. „Wir haben der KI beigebracht, die DNA wie eine Sprache zu lesen“, sagt Pande. „Sie hat zuvor übersehene Enhancer-Regionen, viele davon viralen Ursprungs, vorhergesagt und uns damit erste Hinweise geliefert.“ Im Erbgut von Plazenta-Zellen hat „A100 Beast“ eine Gruppe hochaktiver ERV3-MLT1-Enhancer identifiziert.
     
    Um Plazentagewebe sowohl von gesunden Schwangeren als auch von Frauen mit Präeklampsie zu analysieren, hat Izsváks Team mit der University of Bath, der AG Blois vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, dem Team um Professor Ralf Dechend vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung von Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max Delbrück Center sowie klinischen Zentren in Essen, Würzburg und Oslo zusammengearbeitet. Die Forschenden fanden 87 Enhancer, die in der Plazenta aktiv sind. Diese Genabschnitte tragen dazu bei, die Aktivität von neun Genen zu steigern, die bei Präeklampsie häufig dysreguliert sind.
     
    „Wir waren überrascht“, sagt Dr. Manvendra Singh aus Izsváks Team, einer der Erstautor*innen der Studie. Inzwischen leitet er seine eigene Arbeitsgruppe am Pariser Forschungsinstitut INSERM (Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale). „Denn wir haben DNA aus Dutzenden von Virusfamilien in unserem Genom. Aber es war nur eine bestimmte Familie, ERV3-MLT1, die mit Präeklampsie in Verbindung stand.“
     
    Von den häufig dysregulierten Genen stieß insbesondere das Gen EPS8L1, das bisher kaum untersucht worden war, auf das Interesse von Dr. Rabia Anwar aus Izsváks Arbeitsgruppe – einer weiteren Erstautorin der Studie, die mittlerweile am University Health Network im kanadischen Toronto forscht. Das Gen wird in den Trophoblasten exprimiert – den Zellen, die in den ersten Tagen der Schwangerschaft die äußere Schicht der Blastozyste bilden und später zur Plazenta werden.
     
    In Experimenten mit Plazenta-Zellkulturen, die Anwar geplant und durchgeführt hat, konnte das Team zeigen, dass die Zellen bei einer Überexpression von EPS8L1 Anzeichen einer Präeklampsie aufweisen – zum Beispiel die Trophoblasten sich weniger gut einnisten (Invasion in der Fachsprache), eine veränderte Blutgefäßbildung sowie oxidativer Stress und Gewebeschäden. Eine vollständige Ausschaltung des Gens führte allerdings zum Tod der Zellen – was darauf hindeutet, dass es für eine normale Funktion der Plazenta erforderlich ist.
     
    Potenzieller Biomarker
     
    Darüber hinaus stellte das Team fest, dass eine sekretorische Form des EPS8L1-Proteins im mütterlichen Blut nachgewiesen werden konnte, wo seine Konzentration mit etablierten Biomarkern für die Präeklampsie korrelierte. Möglicherweise könnte es also in Blutscreening-Panels für früh auftretende Präeklampsie eingesetzt werden, lange bevor gefährliche Symptome auftreten.
     
    Bemerkenswert ist zudem, dass das EPS8L1-Gen in sämtlichen Kohorten, die Gewebeproben zur Verfügung gestellt hatten, hochreguliert war. „Das ist spannend, denn man möchte ja, dass ein Biomarker in einer Vielzahl von ethnischen Gruppen vorhanden ist, damit er so nützlich wie möglich ist“, sagt Anwar. „Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass das Gen nicht mit anderen Schwangerschaftskomplikationen assoziiert ist – was ein weiterer Hinweis darauf ist, dass es speziell bei Präeklampsie sehr gut funktionieren könnte.“ Um zu bestätigen, dass das EPS8L1-Protein als Biomarker zum Nachweis eines erhöhten Präeklampsie-Risikos im ersten Schwangerschaftstrimester verwendet werden kann, ist eine größere klinische Studie erforderlich.
     
    Vor 100 Millionen Jahren
     
    Über ihre medizinische Relevanz hinaus zeigt die aktuelle Studie, wie uralte Viren die menschliche Biologie weiterhin prägen. Bereits vor mehr als 100 Millionen kamen Primaten mit der viralen DANN in Berührung, die im Mittelpunkt der Publikation steht. Das war noch bevor sie sich im Stammbaum von den Nagetieren abspalteten – was die Forschung bestätigen kann, da sie in einem gemeinsamen Säugetiervorfahren vorhanden ist, den Primaten mit Nagetieren teilen.
     
    „Das erinnert uns daran, dass wir noch viel über unser Genom lernen können und dass uralte Infektionen beeinflussen können, wer wir heute sind“, sagt der Evolutionsgenetiker Professor Laurence Hurst von der University of Bath, der maßgeblich an der Studie beteiligt war und neben Izsvák ein weiterer korresporrendierender Autor ist.
     
    Das Deep-Learning-Tool „A100 Beast“ ist auf der Plattform Hugging Face Spaces frei verfügbar und ermöglicht es anderen Wissenschaftler*innen, virale und nicht-virale Enhancer über verschiedene Arten hinweg zu erforschen.
     
    Max Delbrück Center
     
    Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft legt mit seinen Entdeckungen von heute den Grundstein für die Medizin von morgen. An den Standorten in Berlin-Buch, Berlin-Mitte, Heidelberg und Mannheim arbeiten unsere Forschenden interdisziplinär zusammen, um die Komplexität unterschiedlicher Krankheiten auf Systemebene zu entschlüsseln – von Molekülen und Zellen über Organe bis hin zum gesamten Organismus. In wissenschaftlichen, klinischen und industriellen Partnerschaften sowie in globalen Netzwerken arbeiten wir gemeinsam daran, biologische Erkenntnisse in praxisnahe Anwendungen zu überführen – mit dem Ziel, Frühindikatoren für Krankheiten zu identifizieren, personalisierte Behandlungen zu entwickeln und letztlich Krankheiten vorzubeugen. Das Max Delbrück Center wurde 1992 gegründet und vereint heute eine vielfältige Belegschaft mit rund 1.800 Menschen aus mehr als 70 Ländern. Wir werden zu 90 Prozent durch den Bund und zu 10 Prozent durch das Land Berlin finanziert.
     
    Universität Bath
     
    Die University of Bath ist eine der führenden Universitäten Großbritanniens und bekannt für ihre hochkarätige Forschung, exzellente Ausbildung, hervorragende Studienbedingungen und guten Berufsaussichten für Studierende.
    •      Wir gehören zu den besten 10 % der Universitäten weltweit und belegen Platz 132 im QS World University Rankings 2026.
    •      Wir sind in allen wichtigen britischen Hochschulrankings unter den Top 10 gelistet.
    •      Die Universität wurde im letzten Teaching Excellence Framework 2023 mit dreifachem Gold ausgezeichnet, der höchstmöglichen Auszeichnung, sowohl für die Gesamtbewertung als auch für die Studienergebnisse und das Studienerlebnis. Das Teaching Excellence Framework (TEF) ist ein nationales Programm, das vom Office for Students (OfS) durchgeführt wird.
    •      Wir sind die Sportuniversität des Jahres 2026 der Times und der Sunday Times.
    Die Forschung in Bath prägt eine bessere Zukunft durch Innovationen in den Feldern Nachhaltigkeit, Gesundheit und digitale Technologien.


    Originalpublikation:

    Rabia Anwar, Amit Pande, Manvendra Singh, et al. (2025): „ERV3-MLT1 provides cis-regulatory elements for human placental functioning and are commonly dysregulated in human-specific pre-eclampsia”. Genome Biology 26, 364. DOI: 10.1186/s13059-025-03821-1


    Weitere Informationen:

    https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-025-03821-1 - Paper


    Bilder

    Dr. Rabia Anwar im Labor
    Dr. Rabia Anwar im Labor

    Copyright: Mariam Parashos


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Kooperationen
    Deutsch


     

    Dr. Rabia Anwar im Labor


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