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05.11.2025 20:30

Forschende entdecken „Ganzkörper-Gehirn“ bei Seeigeln

Dr. Gesine Steiner Pressestelle
Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung

    Eine internationale Forschungsgruppe unter Beteiligung des Museums für Naturkunde Berlin hat ein überraschend komplexes Nervensystem bei Seeigeln entdeckt. Die Tiere verfügen über eine Art „Ganzkörper-Gehirn“, dessen genetische Organisation der des Wirbeltiergehirns ähnelt. Zudem fanden die Forschenden lichtempfindliche Zellen im gesamten Körper der Seeigel – vergleichbar mit Strukturen der menschlichen Netzhaut.

    Die Studie, gefördert vom Human Frontiers Science Program, wurde in Zusammenarbeit mit der Stazione Zoologica Anton Dohrn (Neapel), dem Laboratoire de Biologie du Développement de Villefranche-sur-Mer und dem Institut de Génomique Fonctionnelle de Lyon durchgeführt. Ziel war es, zu verstehen, wie das Genom eines Tieres zwei so unterschiedliche Körperformen hervorbringt: die Larve mit einer zweiseitigen Körperform und das erwachsene Tier mit einer fünfstrahligen Körperform – und welche Zelltypen an diesem Wandel beteiligt sind.

    Ein Körper, der nur aus „Kopf“ besteht

    Mittels modernster Einzelzell- und Genaktivitätsanalysen kartierte das Team die Zelltypen junger Seeigel nach der Metamorphose. Dabei zeigte sich, dass ihr Körperbau überwiegend „kopfähnlich“ ist. Gene, die bei anderen Tieren typische Rumpfstrukturen kennzeichnen, sind bei Seeigeln lediglich in inneren Organen wie Darm oder Ambulakralsystem aktiv – eine echte Rumpfregion fehlt.

    Ein „Ganzkörper-Gehirn“ statt einfachem Nervennetz

    Besonders bemerkenswert ist die Vielfalt neuronaler Zelltypen: Hunderte verschiedene Nervenzellen sind aktiv: sowohl stachelhäuterspezifische „Kopf“-Gene als auch konservierte Gene, die sonst im Zentralnervensystem von Wirbeltieren vorkommen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Seeigel kein einfaches, dezentrales Nervennetz besitzen, sondern ein integriertes, gehirnähnliches System, das den gesamten Körper durchzieht.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Tiere ohne klassisches zentrales Nervensystem eine gehirnähnliche Organisation entwickeln können“, sagt Dr. Jack Ullrich-Lüter, einer der beiden Erstautoren der Studie am Museum für Naturkunde Berlin. „Das verändert unser Verständnis der Evolution komplexer Nervensysteme grundlegend.“

    Sehen ohne Augen

    Darüber hinaus entdeckte das Team zahlreiche lichtempfindliche Zellen (Photorezeptoren), die verschiedene Opsine – lichtsensitive Proteine – exprimieren. Ein besonderer Zelltyp kombiniert Melanopsin und Go-Opsin, was auf eine komplexe Wahrnehmung und Verarbeitung von Lichtreizen sowie auf ein bislang unterschätztes Sehvermögen hinweist. Außerdem scheinen große Teile des Nervensystems der Seeigel lichtsensitiv und möglicherweise durch Lichtimpulse gesteuert zu sein.

    Neue Perspektiven auf die Evolution des Gehirns

    Die Ergebnisse stellen traditionelle Annahmen über die Einfachheit des Nervensystems der Stachelhäuter in Frage und liefern neue Ansätze, um zu verstehen, wie sich komplexe Nerven- und visuelle Systeme im Tierreich entwickeln können – auch ohne zentrales Gehirn oder eigentliche Augen.


    Originalpublikation:

    Paganos, P., Ullrich-Lüter, J., Almazán, A., Voronov, D., Carl, J., Zakrzewski, A.-C., Zemann, B., Rusciano, M.L., Sancerni, T., Schauer, S., Akar, O., Caccavale, F., Cocurullo, M., Benvenuto, G., Croce, J.C., Lüter, C., Arnone, M.I. (2025). Single Nucleus Profiling Highlights the All-Brain Echinoderm Nervous System, Science Advances. DOI: 10.1126/sciadv.adx7753


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin, Meer / Klima
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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