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11.11.2025 16:30

Hyperexzitabilität: Risikofaktor und Therapietarget auch jenseits der Epilepsie

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Epileptische Anfälle treten auch bei anderen neurologischen Krankheiten als der Epilepsie auf und gelten als Risikofaktor, da sie die Prognose beeinträchtigen. Neu ist die Erkenntnis, dass die sogenannte Hyperexzitabilität (Übererregbarkeit), die bisher als charakteristisch für die Epilepsie galt, auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder bei Hirntumoren eine Rolle spielt und dort ein vielversprechendes Therapietarget sein könnte. Das ist auch Thema des "Presidential Symposiums" auf dem DGN-Kongress am Donnerstag.

    Epileptische Anfälle treten nicht nur bei Menschen mit Epilepsie auf, sondern auch bei anderen neurologischen Erkrankungen. Sie sind oft nur subklinisch – und entsprechend schwer zu diagnostizieren –, doch sie sind klinisch relevant, weil sie signifikant die Prognose der Betroffenen beeinflussen. Bei Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten beispielsweise kann das Auftreten epileptischer Anfälle die Krankenhaussterblichkeit verdoppeln. Ebenso haben Studien gezeigt, dass das Auftreten epileptischer Anfälle bei MS-Patientinnen und -Patienten mit einer schnelleren Progression, mehr Behinderungen und schlechteren kognitiven Leistungen einhergeht. Auch kommt es bei vielen anderen neurologischen Krankheiten vermehrt zu epileptischen Anfällen, z. B. bei Enzephalitis, Meningitis, bei Intoxikationen, zerebraler Hypoxie oder Hirntumoren.

    Hyperexzitabilität: ein neues Therapietarget bei Hirntumoren

    Die Übererregbarkeit neuronaler Netzwerke (Hyperexzitabilität) ist charakteristisch für die Epilepsie, sie spielt aber auch bei anderen Erkrankungen, beispielsweise bei primären Hirntumoren, eine Rolle. Gliome induzieren eine neuronale Übererregbarkeit, die häufig zu epileptischen Anfällen führt. Aktuell zeigte eine Heidelberger Arbeitsgruppe genetische, strukturelle und funktionelle Veränderungen an exzitatorischen tumorassoziierten Neuronen und konnte tierexperimentell diese Veränderungen durch die mTOR-Hemmung umkehren [1]. Auch scheint die Hyperexzitabilität weit mehr als nur ein Krankheitssymptom bei Hirntumoren zu sein. Es gibt die Hypothese, dass die Synaptogenese zwischen glutamatergen Neuronen und Gliomen sowie die Übererregbarkeit das Tumorwachstum fördern. Ein neuer, vielversprechender Therapieansatz, der derzeit untersucht wird, ist die medikamentöse Reduktion der peritumoralen Hyperexzitabilität [2].

    Hyperexzitabilität: ein neues Therapietarget bei Alzheimer

    Ebenso sind in jüngster Zeit epileptische Anfälle, genauer: die Hyperexzitabilität neuronaler Netzwerke, auch als Begleitphänomen der Alzheimer-Erkrankung erkannt worden. Derzeit wird erforscht, inwieweit sie eine aktive Rolle in der Progression neurodegenerativer Krankheiten spielt – und auch hier Therapietarget sein könnte. Eine im August dieses Jahres in „Nature Communications“ publizierte Studie [3] kam zu dem Ergebnis, dass die Pathophysiologie der Alzheimer-Krankheit mit verschiedenen Mechanismen des Ungleichgewichts zwischen Erregung und Hemmung verbunden ist, mit eindeutigen Verbindungen zur β-Amyloid- und Tau-Pathologie. Auch eine aktuelle chinesische Studie [4] zeigte, dass es eine pathologische Wechselwirkung zwischen Aβ-Akkumulation und neuronaler Übererregbarkeit bei Alzheimer gibt; die Autorinnen und Autoren halten daher duale Therapien, die beide Targets adressieren, für aussichtsreicher als die alleinige Therapie mit Antikörpern gegen Aβ.

    „Neurologische Forschung ist immer dann besonders spannend und produktiv, wenn sie ineinandergreift, und zwar über die Subdisziplinen und Krankheitsentitäten hinweg. Das verdeutlicht, wie wichtig Vernetzung und Austausch ist, der Neurologiekongress gibt dafür den Rahmen“, erklären Kongresspräsidentin Prof. Dr. Yvonne Weber, Aachen, und Kongresspräsident Prof. Dr. Felix Rosenow, Frankfurt a. M.

    Neueste Erkenntnisse zu Hyperexzitabilität als Risikofaktor und Therapietarget bei verschiedenen neurologischen Krankheiten werden beim Presidential Symposium am 13.11.2025 diskutiert.

    Literatur

    [1] Karreman MA, Venkataramani V. Calm in the chaos: Targeting mTOR to reduce glioma-driven neuronal hyperexcitability. Neuron. 2025 Mar 19;113(6):795-797. doi: 10.1016/j.neuron.2025.02.020. PMID: 40112771.

    [2] Tobochnik S, Regan MS, Dorotan MKC, Reich D, Lapinskas E, Hossain MA, Stopka S, Meredith DM, Santagata S, Murphy MM, Arnaout O, Bi WL, Chiocca EA, Golby AJ, Mooney MA, Smith TR, Ligon KL, Wen PY, Agar NYR, Lee JW. Pilot Trial of Perampanel on Peritumoral Hyperexcitability in Newly Diagnosed High-grade Glioma. Clin Cancer Res. 2024 Dec 2;30(23):5365-5373. doi: 10.1158/1078-0432.CCR-24-1849. PMID: 39499201; PMCID: PMC11611619.

    [3] Ranasinghe KG, Kudo K, Syed F, Yballa C, Kramer JH, Miller BL, Rankin KP, Garcia PA, Kirsch HE, Vossel K, Jagust W, Rabinovici GD, Nagarajan SS. Distinct manifestations of excitatory-inhibitory imbalance associated with amyloid-β and tau in patients with Alzheimer's disease. Nat Commun. 2025 Aug 26;16(1):7957. doi: 10.1038/s41467-025-62798-4. PMID: 40858569; PMCID: PMC12381375.

    [4] Wang Y, Li J, Zhang D, Feng Y, Zhou M, Zhou C, Wang D, Qiu G, Dai W, Yang Z, Zhang Y, Zhang L, Liu X, Zhang J. Modulating Amyloid Pathology-Neural Hyperexcitability Crosstalk for Alzheimer's Disease Therapy. ACS Nano. 2025 Oct 22. doi: 10.1021/acsnano.5c08317. Epub ahead of print. PMID: 41126442.


    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    Pressesprecher: Prof. Dr. Peter Berlit
    Leiterin der DGN-Pressestelle: Dr. Bettina Albers
    Tel.: +49(0)174 2165629
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 13.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsidentin: Prof. Dr. Daniela Berg
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Dr. Sven Meuth
    Past-Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Budapester Str. 7/9, 10787 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    https://www.dgn.org/dgn-kongress


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
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