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19.11.2025 08:56

Wer Unsicherheit positiv bewertet, wählt seltener Rechtspopulisten

Franziska Schmid Hochschulkommunikation
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

    Wie Menschen auf Unsicherheit reagieren, hat weitreichende gesellschaftspolitische Konsequenzen. Wird sie als Bedrohung wahrgenommen, neigen Menschen dazu, sich politischen Extremen zuzuwenden.

    Psychologinnen der ETH Zürich haben nun untersucht, ob Unsicherheit auch als Chance wahrgenommen werden kann. Das Ergebnis: Personen, die dies tun, waren positiver gegenüber Diversität eingestellt, befürworteten gesellschaftlichen Wandel mehr und wählten seltener die rechtspopulistische Partei AfD.

    Eine Veränderung der Art und Weise, wie Menschen Unsicherheit bewerten, kann demokratische Widerstandsfähigkeit stärken.

    Pandemie, Krieg, Energiekrise, Klimakatastrophe – unsere Gegenwart fühlt sich für viele Menschen an wie ein endloser Stresstest. Was gestern noch sicher schien, ist heute brüchig geworden: Arbeitsplätze, Zukunftspläne, das Vertrauen in Politik und Medien. In dieser Atmosphäre wächst das Bedürfnis nach Orientierung und nach einfachen Antworten. Rechtspopulistische Bewegungen haben daraus ein Erfolgsrezept gemacht und verwandeln Unsicherheit in Angst, Angst in Wut, und Wut schliesslich in Stimmen.

    Unsicherheit als Chance betrachten

    Ob Unsicherheit nicht auch ein Ausgangspunkt für positive Veränderungen sein kann, haben nun Forschende der ETH Zürich untersucht. In einer gerade erschienenen Studie zeigen sie: Menschen, die Unsicherheit als Chance betrachten, sind gegenüber sozialer Vielfalt positiver eingestellt, unterstützen in stärkerem Ausmass gesellschaftlichen Wandel und wählen mit geringerer Wahrscheinlichkeit rechtspopulistische Parteien. Die Bewertung von Unsicherheit lässt sich also gezielt beeinflussen.

    Um die entsprechenden Hypothesen zu überprüfen, führten die Forschenden ein Experiment mit einer Test- und einer Kontrollgruppe durch. Beide mussten dieselben Fragebögen beantworten, jedoch bekam die Testgruppe zuvor eine Präsentation zu sehen: Auf elf Folien erhielten sie Texte, Grafiken und Fotos, die wissenschaftlich belegte Beispiele für positive Auswirkungen von Unsicherheit zeigten. Darunter waren auch Auszüge der Abschlussrede des Computerunternehmers Steve Jobs an der Stanford University, in der er erzählte, welche Bedeutung seine Entscheidung für einen unsicheren Lebensweg für ihn hatte. Die Übung dauerte im Durchschnitt 7,5 Minuten und wurde nur einmal, zu Beginn des Experiments, durchgeführt

    Ein Test in Zeiten grosser Unsicherheit

    Die Untersuchung fand in Deutschland zwischen Dezember 2024 und März 2025 statt. Als Testperiode haben sich die Forschenden bewusst für den Zeitraum der Bundestagswahlen entschieden, die im Februar 2025 durchgeführt wurden. Die Wahl war geprägt von Themen wie Einwanderung, Flüchtlingspolitik und der Integration von Minderheiten – ein Klima der politischen Unsicherheit, das dem Experiment einen realen Kontext bot. Insgesamt haben 391 Personen in der Versuchsgruppe und 354 in der Kontrollgruppe teilgenommen. Sie waren zwischen 18 und 80 Jahre alt und repräsentierten in Bezug auf Bildung, Geschlecht, Einkommen und soziale sowie geografische Herkunft die gesamte Bundesrepublik Deutschland.

    Die Verunsicherung ist gewichen

    Die ausgefüllten Fragebögen der Testgruppe unterscheiden sich signifikant von jenen der Kontrollgruppe. Alle aufgestellten Hypothesen konnten bestätigt werden: Die Versuchsgruppe hatte eine positivere Einstellung gegenüber Vielfalt, zeigte mehr Bereitschaft, gesellschaftlichen Wandel zu unterstützen und besass eine geringere Wahrscheinlichkeit, AfD zu wählen.

    Das Überraschendste für Studienleiterin Ruri Takizawa war, dass diese Denkweise trotz der kurzen und einmaligen Übung über einen Zeitraum von einem Monat stabil blieb. Takizawa ist Postdoc in der Gruppe von ETH-Professorin Gudela Grote und sagt: «Die Studie könnte mit einem angepassten Design ebenso auf andere Bereiche angewendet werden. Man könnte genauso gut prüfen, ob sich Einstellungen gegenüber der Klimakrise oder neuen Technologien wie KI ändern würden».

    Die Förderung einer Denkweise, die Unsicherheit als Chance betrachtet, sei für sie auf jeden Fall eine wichtige Ressource zur Stärkung der Demokratie. Die durchgeführte Studie legt dafür den Grundstein, indem sie aufzeigt, dass das Gefühl der Unsicherheit formbar ist und ebenso positiv ausgelegt werden kann. Mit diesem Konzept kann Verunsicherung in Zeiten der politischen und sozialen Instabilität den Zusammenhalt stärken und die Zustimmung zu rechtspopulistischen Parteien wie der AfD schwächen. Auch wenn die Mitautorin Grote als führende Forschende im Themenfeld Unsicherheit realistisch bleibt und sagt: «Wir können die Welt nicht gänzlich umkrempeln, aber wir haben es in der Hand, wie wir über sie denken und ihr begegnen.»


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Ruri Takizawa

    rtakizawa@ethz.ch


    Originalpublikation:

    Takizawa R, Marx-Fleck S, Gerlach A, Grote G: The Role of Uncertainty Mindsets in Shaping Diversity Attitudes and Their Downstream Effects on Commitment to Societal Change and Right-Wing Populist Voting. Personality and Social Psychology Bulletin. 11. November 2025. doi:doi/10.1177/01461672251386487


    Weitere Informationen:

    https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/11/wer-unsicherhe...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Psychologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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