Mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung leben mit einer neurologischen Erkrankung – eine der größten weltweiten Gesundheitsherausforderungen, laut aktuellem Globalen Statusbericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der WHO-Report betont die Bedeutung von nationalen Strategien zur Hirngesundheit und der Senkung der steigenden Krankheitslast. „Die DGKN wird als Fachgesellschaft die Umsetzung der WHO-Ziele für Deutschland aktiv mitgestalten“, erklärt Prof. Jan Rémi, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V.
„Neurophysiologische Methoden tragen entscheidend zur Frühdiagnostik, Prävention und Entwicklung von innovativen Therapien für bisher schwer behandelbare neurologische Krankheitsbilder bei“, betont Prof. Ulf Ziemann, Vorstandsmitglied der DGKN.
Zeitlich hochauflösende neurophysiologische Methoden, wie das Elektroenzephalogramm (EEG) zur Messung elektrischer Hirnaktivität, die Elektroneurografie zur Überprüfung der Funktion peripherer Nerven oder evozierte Potenziale zur Darstellung der Leitfähigkeit von Nervenbahnen, sind heute unverzichtbar für die Diagnostik vieler neurologischer, psychiatrischer und neurochirurgischer Krankheitsbilder. Hierzu zählen Epilepsien, Multiple Sklerose, Polyneuropathien oder neuromuskuläre Erkrankungen.
Beispiel Schlaganfall: Fortschritte in Prävention und Prädiktion
Auch in der Frühdiagnostik und Prävention kommen neurophysiologische Methoden immer mehr zum Einsatz: So kann in der Akutphase nach Schlaganfall mittels Kombination aus transkranieller Magnetstimulation und Elektroenzephalografie (TMS-EEG) mit hoher Genauigkeit (94 %) vorhergesagt werden, welche Patientinnen und Patienten in den nächsten Stunden bis wenigen Tagen ein Post-Stroke Delir entwickeln werden [2]. „Das ermöglicht uns, Delir-präventive Maßnahmen gezielt ressourcenschonend einzusetzen“, sagt Ziemann. Auch Rehabilitationsmaßnahmen nach Schlaganfall können dank neurophysiologischer Methoden individuell geplant werden: Das Vorhandensein motorisch evozierter Potenziale in der Akutphase [3] und die Komplexität von TMS-EEG-Antworten [4] erlauben eine genaue Vorhersage, wie die Patientinnen und Patienten sich von anfänglichen motorischen Beeinträchtigungen erholen werden.
Innovative Hirnstimulation für komplexe neurologische Krankheitsbilder
Moderne neurophysiologische Methoden, wie die Tiefe Hirnstimulation (THS) und deren konsequente wissenschaftliche Weiterentwicklung, eröffnen neue Perspektiven für die individualisierte Behandlung bei Parkinson und Dystonien [5]. Die THS wird inzwischen auch bei anderen Indikationen, z. B. Epilepsien, Alzheimer und psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen oder Zwangsstörungen, eingesetzt. Hier arbeiten die Forschenden auch an nicht-invasiven Stimulationsverfahren, wie der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) [6] und neuen Stimulationstechniken, die neuronale Aktivität nicht-invasiv auch direkt in tiefen Hirnregionen modulieren können, wie dem transkraniellen fokussierten Ultraschall [7] oder der transkraniellen temporalen Interferenzstimulation [8].
Umsetzung der WHO-Ziele durch Forschung und Qualitätssicherung
„Die Klinische Neurophysiologie leistet einen entscheidenden Beitrag zur Prävention und Entwicklung innovativer neurologischer Therapien. Grundlage hierfür ist die kontinuierliche wissenschaftliche Weiterentwicklung klinisch-neurophysiologischer Methoden und deren qualitätsgesicherte Anwendung durch gut ausgebildete Fachkräfte“, bekräftigt Ziemann. Rémi ergänzt: „Wir brauchen mehr Neurologinnen und Neurologen mit neurophysiologischer Expertise und Spezialisierung. Die Fachrichtung eröffnet spannende berufliche Perspektiven und bietet die Möglichkeit, aktiv an der Entwicklung neuer Therapieansätze sowie am Fortschritt durch neue Technologien und KI mitzuwirken.“
Die DGKN versteht sich als Brücke für wissenschaftliche Präzision, technologische Innovation und klinische Praxis. Mit ihren rund 4.600 Mitgliedern fördert sie Wissenschaft und Forschung und sichert die Qualität von Diagnostik und Therapie – durch Aus- und Weiterbildung und Zertifizierung. Mit ihrem jährlichen Kongress für Klinische Neurowissenschaften (25.–27. Februar 2026 in Augsburg, http://www.kongress-dgkn.de) ermöglicht die DGKN Medizinerinnen und Medizinern sowie Forschenden in der Neurologie, Psychiatrie, Neurochirurgie und Neuropädiatrie den Austausch von Wissen und Erfahrung zu den Entwicklungen in diesem dynamischen Fachgebiet.
Literatur
[1] WHO. Global status report on neurology. 12 October 2025. ISBN: 978-92-4-011613-9.
Abrufbar unter: https://www.who.int/publications/i/item/9789240116139
[2] Bai Y, Belardinelli P, Thoennes C, Blum C, Baur D, Laichinger K, Lindig T, Ziemann U, and Mengel A. Cortical reactivity to transcranial magnetic stimulation predicts risk of post-stroke delirium. Clin Neurophysiol 148: 97–108, 2023, 10.1016/j.clinph.2022.11.017.
[3] Stinear CM, Barber PA, Petoe M, Anwar S, and Byblow WD. The PREP algorithm predicts potential for upper limb recovery after stroke. Brain 135: 2527-2535, 2012, 10.1093/brain/aws146.
[4] Tscherpel C, Dern S, Hensel L, Ziemann U, Fink GR, and Grefkes C. Brain responsivity provides an individual readout for motor recovery after stroke. Brain 143: 1873–1888, 2020, 10.1093/brain/awaa127
[5] Deuschl G, Schade-Brittinger C, Krack P, Volkmann J, Schafer H, Botzel K, Daniels C, Deutschlander A, Dillmann U, Eisner W, Gruber D, Hamel W, Herzog J, Hilker R, Klebe S, Kloss M, Koy J, Krause M, Kupsch A, Lorenz D, Lorenzl S, Mehdorn HM, Moringlane JR, Oertel W, Pinsker MO, Reichmann H, Reuss A, Schneider GH, Schnitzler A, Steude U, Sturm V, Timmermann L, Tronnier V, Trottenberg T, Wojtecki L, Wolf E, Poewe W, and Voges J. A randomized trial of deep-brain stimulation for Parkinson's disease. The New England journal of medicine 355: 896-908, 2006.
[6] Lefaucheur JP, Aleman A, Baeken C, Benninger DH, Brunelin J, Di Lazzaro V, Filipovic SR, Grefkes C, Hasan A, Hummel FC, Jaaskelainen SK, Langguth B, Leocani L, Londero A, Nardone R, Nguyen JP, Nyffeler T, Oliveira-Maia AJ, Oliviero A, Padberg F, Palm U, Paulus W, Poulet E, Quartarone A, Rachid F, Rektorova I, Rossi S, Sahlsten H, Schecklmann M, Szekely D, and Ziemann U. Evidence-based guidelines on the therapeutic use of repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS): An update (2014-2018). Clin Neurophysiol 131: 474-528, 2020, 10.1016/j.clinph.2019.11.002.
[7] Darmani G, Bergmann TO, Butts Pauly K, Caskey CF, de Lecea L, Fomenko A, Fouragnan E, Legon W, Murphy KR, Nandi T, Phipps MA, Pinton G, Ramezanpour H, Sallet J, Yaakub SN, Yoo SS, and Chen R. Non-invasive transcranial ultrasound stimulation for neuromodulation. Clin Neurophysiol 135: 51-73, 2022, 10.1016/j.clinph.2021.12.010.
[8] Lozano AM. Waving Hello to Noninvasive Deep-Brain Stimulation. The New England journal of medicine 377: 1096-1098, 2017, 10.1056/NEJMcibr1707165.
Kontakt zur Pressestelle der DGKN
Sandra Wilcken, c/o albertZWEI media GmbH, Tel.: +49 (0) 89 461486-11, E-Mail: presse@dgkn.de
Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V. vertritt die Interessen von Medizinerinnen und Medizinern sowie Forschenden, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Die wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft mit 4.600 Mitgliedern fördert die Erforschung von Gehirn und Nerven, sichert die Qualität von Diagnostik und Therapie neurologischer Krankheiten und treibt Innovationen auf diesem Gebiet voran. Sie ist aus der 1950 gegründeten „Deutschen EEG-Gesellschaft“ hervorgegangen. http://www.dgkn.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
Deutsch

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