Die Studie identifiziert die zellulären Ursprünge der Variabilität menschlicher Gesichtsformen.
• Undifferenzierte mesenchymale Zellen tragen Positionsprogramme – sie wissen, wo sie sind, bevor sie wissen, was sie werden.
• Diese Positionsprogramme sagen das Entstehen individueller Gesichtszüge voraus.
• Mutationen in diesen Programmen stehen im Zusammenhang mit zahlreichen kraniofazialen Syndromen und Gesichtsfehlbildungen.
Warum sehen keine zwei menschlichen Gesichter genau gleich aus? Obwohl wir alle demselben biologischen Bauplan folgen, unterscheiden sich unsere Merkmale – die Krümmung einer Lippe, der Winkel einer Nase, die Breite eines Kiefers – in unzähligen feinen Nuancen. Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön hat nun ein entscheidendes Stück dieses langjährigen Rätsels entschlüsselt.
In einer Studie der Forschungsgruppe Evolutionary Developmental Dynamics, geleitet von Dr. Markéta Kaucká, haben die Forschenden die bislang detaillierteste Beschreibung darüber geliefert, wie sich das Gesicht im Embryo formt. Durch die Analyse von fast 60.000 einzelnen Mauszellen über mehrere Entwicklungsstadien hinweg und die Integration dieser Daten mit humanen genomweiten Assoziationsstudien konnten sie menschliche Gesichtsvielfalt auf ihre zellulären Grundlagen zurückverfolgen.
Die Ergebnisse weisen auf einen unerwarteten Architekten hin: das faziale Mesenchym, eine Population undifferenzierter Zellen, die später einen Großteil des Gesichtsskeletts bildet. Lange bevor eine sichtbare Struktur entsteht, zeigen diese Zellen bereits unterschiedliche molekulare Identitäten – von den Autor*innen als „Positionsprogramme“ bezeichnet. Diese Muster der Genaktivität wirken wie molekulare Postleitzahlen und markieren jene Stellen, an denen später etwa Philtrum, Nasenlöcher oder Oberlippe entstehen.
„Bevor das Gesicht sichtbar wird, wissen die Zellen bereits genau, wo sie sich befinden“, sagt Dr. Kaucká.
Die Studie deutet darauf hin, dass diese Positionsprogramme der Grund dafür sind, warum wir eine Nase von einem Elternteil und die Mundform vom anderen erben können. Durch die Verknüpfung dieser molekularen Signaturen mit genetischen Varianten des Menschen, die die Gesichtsform beeinflussen, zeigte das Team, dass die entsprechenden Gene besonders in diesen mesenchymalen Zellen aktiv sind. Diese Erkenntnis stellt die lang gehegte Annahme infrage, dass primär Signale aus dem Ektoderm oder dem sich entwickelnden Gehirn das Gesicht formen.
Stattdessen ergibt sich ein Bild einer fein abgestimmten zellulären Geografie: Unterschiedliche Cluster mesenchymaler Zellen übernehmen spezifische Aufgaben beim Aufbau bestimmter Gesichtsregionen.
Neben neuen Einsichten in die Evolution menschlicher Gesichtsvielfalt liefert die Arbeit auch wertvolle Erkenntnisse zu zahlreichen kraniofazialen Erkrankungen – angeborenen Fehlbildungen, die entstehen, wenn diese Positionsprogramme gestört sind. Um weitere Forschung zu ermöglichen, hat das Team einen Online-Atlas veröffentlicht, der die Entwicklung des Gesichts Gen für Gen und Stadium für Stadium abbildet. (https://www.evolbio.mpg.de/murillo-seton2025)
Die in Nature Communications veröffentlichte Studie schafft damit die Grundlage für ein umfassenderes Verständnis darüber, wie Identität – jenes Merkmal, nach dem wir instinktiv suchen, wenn wir einander ins Gesicht blicken – überhaupt entsteht.
Dr. Markéta Kaucká
Forschungsgruppenleiterin
Max-Planck-Forschungsgruppe für Evolutionäre Entwicklungsdynamik
Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie
Murillo-Rincón A.P., Seton L.W. G., Escamilla-Vega E., Damatac II A., Fuß J., Fortmann-Grote C. & Kaucká M.
Positional programmes in early murine facial development and their role in human facial shape variability.
Nat Commun 16, 10112 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-66017-y
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch

Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).