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28.11.2025 14:22

Corona-Pandemie traf Geflüchtete besonders hart

Jörg Heeren Medien und News
Universität Bielefeld

    Psychische Erkrankungen, Verletzungen und andere Erkrankungen nahmen in Flüchtlingsunterkünften während der Covid-19-Pandemie deutlich zu. Forschende der Universität Bielefeld und des Universitätsklinikums Heidelberg zeigen erstmals auf breiter Datenbasis, wie stark die Pandemie Geflüchtete in Deutschland belastet hat – und welche Lehren sich daraus für kommende Krisen ziehen lassen.

    Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen verändert und Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Doch nicht alle waren gleichermaßen betroffen: Geflüchtete in Sammelunterkünften standen unter besonders großem Druck.

    Wie stark sich die Pandemie konkret auf ihre Gesundheit ausgewirkt hat, zeigt eine Studie unter Leitung von Professor Dr. Kayvan Bozorgmehr aus der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und seinem Forschungsteam am Universitätsklinikum Heidelberg. Erschienen ist sie in dem Wissenschaftsjournal „Nature Communications“.

    Folgen der Pandemie für Geflüchtete

    Das Forschungsteam wertete die Gesundheitsdaten von mehr als 109.000 Geflüchteten aus 21 Unterkünften in drei Bundesländern über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren, von Oktober 2018 bis April 2023, aus.

    Die Ergebnisse zeigen, dass die Pandemie einen messbaren Einfluss auf die Gesundheit von Geflüchteten in Unterkünften hatte: Während manche Leiden sprunghaft zunahmen, gingen andere deutlich zurück.

    Mehr psychische Erkrankungen, mehr Gewalt

    So stieg die Zahl der erfassten psychischen Erkrankungen um 73 Prozent – und Psychopharmaka wurden sogar 95 Prozent häufiger verschrieben. Auch Verletzungen und gesundheitliche Folgen von Gewalt nahmen um 88 Prozent zu. „Das könnte ein Hinweis auf zunehmende Konflikte und Spannungen in den Sammelunterkünften während der Lockdowns und Quarantänezeiten sein, aber auch eine Folge von veränderten Migrationsrouten vor Ankunft in Deutschland“, sagt Professor Dr. Bozorgmehr.

    Die Pandemie habe eine Gruppe in ohnehin prekärer Lebenslage zusätzlich belastet. Enge Räume, Isolation und fehlende Privatsphäre dürften die Situation verschärft haben. „Unsere Daten verdeutlichen, dass psychische Gesundheit und Schutz vor Gewalt in Krisenzeiten besondere Aufmerksamkeit verdienen“, sagt Dr. Rosa Jahn, Ko-Autorin der Studie am Universitätsklinikum Heidelberg.

    Atemwegserkrankungen gingen in der Frühphase der Pandemie durch Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen stark zurück (minus 49 Prozent). Sie stiegen später wieder an, als die Maßnahmen gelockert wurden.

    Pandemie-Daten mit Signalwirkung

    Die Studie basiert auf einem bislang bundesweit einzigartigen digitalen Gesundheitsmonitoring, das vom Forschungsnetzwerk Pri.CareNet entwickelt und zunächst vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wurde. Erhoben und ausgewertet haben die Forschenden die Daten dann in einem dezentralen Verbund. Ärzt*innen in den Unterkünften erfassten und übermittelten im Rahmen der Behandlung routinemäßig neu erhobene Diagnosen und Behandlungen elektronisch in anonymisierter Form.

    Dadurch ließen sich Veränderungen in den Krankheitsmustern datenschutzkonform durch das Prinzip des verteilten Rechnens nachverfolgen. Dabei wurden die Daten vor Ort analysiert und lediglich die jeweiligen Auswertungsergebnisse anonym weitergeleitet. Dadurch verließen sensible Gesundheitsdaten nicht den jeweiligen Standort, sondern blieben in den Unterkünften.

    „Dieses Netzwerk ist ein wichtiger und innovativer Schritt, um Gesundheitsdaten in bislang nicht ausreichend berücksichtigten Bevölkerungsgruppen und Settings sichtbar zu machen“, sagt Bozorgmehr. „Nur wenn wir wissen, wie sich Krisen auf unterschiedliche Gruppen auswirken, können wir gezielter reagieren und künftig besser vorbereitet sein.“

    Die Ergebnisse unterstreichen, dass Maßnahmen wie Quarantäne und Isolation zwar notwendig waren, aber auch unbeabsichtigte Nebenwirkungen zur Folge gehabt haben könnten, etwa mehr soziale Spannungen oder psychische Belastungen. „Die Studie zeigt, dass Schutzmaßnahmen immer im Zusammenspiel mit sozialer und psychischer Unterstützung gedacht werden sollten“, sagt Bozorgmehr.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Kayvan Bozorgmehr, Universität Bielefeld
    Fakultät für Gesundheitswissenschaften
    Telefon 0521 106-6311
    E-Mail: kayvan.bozorgmehr@uni-bielefeld.de


    Originalpublikation:

    Kayvan Bozorgmehr, Stella Erdmann, Sven Rohleder, Consortium Pri.CareNet, Rosa Jahn: Impact of the COVID-19 pandemic on incident diagnoses in German refugee centres 2018 to 2023. Nature Communications, https://doi.org/10.1038/s41467-025-61876-x, veröffentlicht am 24. Juli 2025.


    Weitere Informationen:

    https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/gesundheitswissenschaften/ag/ag2/ Arbeitsgruppe „Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung“, geleitet von Prof. Dr. Kayvan Bozorgmehr
    https://www.ref.care Projekte „Pri.Care“ und „Ref.Care“ zur Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden


    Bilder

    Prof. Dr. Kayvan Bozorgmehr hat zur Gesundheitssituation von Geflüchteten in Sammelunterkünften geforscht.
    Prof. Dr. Kayvan Bozorgmehr hat zur Gesundheitssituation von Geflüchteten in Sammelunterkünften gefo ...
    Quelle: Britta Kirst
    Copyright: Universität Bielefeld/Britta Kirst


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Kayvan Bozorgmehr hat zur Gesundheitssituation von Geflüchteten in Sammelunterkünften geforscht.


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