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02.12.2025 10:47

»Wir wollen Nebenflüsse schiffbarer machen«

Britta Widmann Kommunikation
Fraunhofer-Gesellschaft

    Die Binnenschifffahrt spielt in Europa bisher mit einem Anteil von rund sechs Prozent eine untergeordnete Rolle. Fraunhofer-Forschende wollen das im EU-Projekt CRISTAL gemeinsam mit 15 Partnern ändern. Wie der Einsatz digitaler Zwillinge und intelligenter Sensortechnologien dabei helfen kann, die Transportkapazitäten zu erhöhen und Logistikprozesse zuverlässig zu gestalten, erklären Björn Krämer und Tammo Märtens, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, im Interview.

    Warum wird die Binnenschifffahrt in vielen Regionen Europas zu wenig genutzt, obwohl sie als energieeffiziente und emissionsarme Transportart eine nachhaltige Alternative zum Straßen- und Schienenverkehr bietet?

    Björn Krämer: In vielen europäischen Regionen erschweren eine unzureichend ausge-baute Infrastruktur der Wasserwege eine zuverlässige Nutzung. Hinzu kommen schwankende Wasserstände, die die Flüsse zeitweise unbefahrbar machen, sowie fehlende digitale Steuerungssysteme. Im Projekt CRISTAL (siehe unten) wollen wir unter anderem erreichen, dass der Güterverkehr auf Binnenwasserstraßen auch bei schlechten Wetterverhältnissen stattfinden kann. Unser Anspruch ist es, die Binnenschifffahrt attraktiver und zuverlässiger zu gestalten, sodass Unternehmen ihren Warentransport aufs Schiff verlagern. Der Anspruch des EU-Forschungsprojekts ist es, den Warentransport auf Binnenwasserstraßen zukünftig durch geeignete Maßnahmen um bis zu 20 Prozent zu erhöhen.

    In welchen Regionen wollen Sie den Güterverkehr steigern und attraktiver machen?

    Tammo Märtens: Wir fokussieren uns auf einige Flüsse abseits der Rhein-Main-Donau-Großschifffahrtsstraße: die Weichsel und die Oder in Polen, den Po in Italien und die Mosel und die Seine in Frankreich. Dort findet bislang wenig bis kein Güterverkehr statt. Unsere im Projekt entwickelten Demonstratoren ermöglichen künftig eine effizientere Routen- und Infrastrukturplanung auf diesen Binnenschifffahrtsstraßen, wie wir in Tests nachweisen konnten. Die Forschungsergebnisse lassen sich natürlich auf andere Binnenflüsse europaweit übertragen.

    Mit welchen Herausforderungen wurden sie dort konfrontiert?

    Tammo Märtens: Dies variiert je nach Fluss. Während es für die großen Flüsse bereits Informationssysteme gibt, fehlen diese bei kleineren Flüssen. Dies führt zu einer man-gelnden Transparenz und erschwert die Navigation dieser Wasserstraßen. So ist zum Beispiel der Po konstant im Wandel und bewegt viel Sand, was zu wandernden Sandbänken führt. Dadurch war bisweilen die Navigation gewisser Flussabschnitte nur schwer vorhersagbar. In Polen liegt ebenfalls ein Mangel an Echtzeitinformationen über die Weichsel vor, sodass es kaum Schiffsverkehr auf diesem Fluss gibt.

    Wie wollen Sie die kleineren Flüsse für die Binnenschifffahrt nutzbar machen?

    Tammo Märtens: Wir wollen Informationen über Wasserstand und -strömung, Frequentierung der Wasserstraße, den Zustand vorhandener Infrastrukturen wie Brücken oder Schleusen zur Verfügung stellen und eine intelligente Verkehrssteuerung einsetzen. Durch Sensoren, digitale Zwillinge und aus weiteren Informationsquellen gewonnene Daten können kritische Entwicklungen von Wasserstand oder Auslastung frühzeitig an die Nutzer kommuniziert und alternative Transportmittel und -wege geplant werden. Beispielsweise erfassen intelligente, mit Sensorik und GPS bestückte Bojen Parameter wie Wasserstand, Verkehrsaufkommen, Windgeschwindigkeit, Strömung und Eisdicke und leiten diese Informationen an die digitalen Zwillinge weiter, um die Schiffbarkeit vorherzusagen oder Engpässe frühzeitig zu erkennen.

    Inwiefern spielen intelligente Sensortechnologien und die bereits erwähnten digitalen
    Zwillinge eine zentrale Rolle im Projekt und in der Verkehrslogistik?

    Björn Krämer: Digitale Zwillinge sind ein wichtiger und zentraler Teil von CRISTAL. Sie erfassen teilweise kontinuierlich Daten – auch aus dem Bereich Big Data – aus Sensoren, die an Schleusen, Brücken und Bojen installiert sind. Die virtuellen Abbilder können zudem Vorhersagen über potenzielle Schäden an den Infrastrukturen der Wasserstraßen, insbesondere den Schleusen, anzeigen. Sie können die Sensordaten beispielsweise im Falle der Bojen auch in Echtzeit verarbeiten.

    Welche digitalen Zwillinge haben Sie konkret entwickelt?

    Björn Krämer: Insgesamt wurden drei digitale Zwillinge entwickelt: DT »lock« ist ein digitaler Zwilling für Schleusen, dem die Überwachung der Schleuseninfrastruktur obliegt, sodass Defekte frühzeitig registriert werden. Akustische Sensoren kontrollieren die Geräusche der Schleusentore, zeichnen Abweichungen vom Normalzustand auf und lösen bei potenziellen Schäden der Mechanik und der Hydraulik eine Risikobewertung und Alarmierung aus. Die Defekte werden in DT »lock« visualisiert. Zudem sind die Schleusenwände in mehrere Quadranten unterteilt. Jeder Quadrant wird bei Routineinspektionen mit Radartechnologie gescannt, sodass Hohlräume, Mikrorisse oder Wassereinschlüsse hinter den Schleusenwänden detektiert werden können. Radardaten mit kohärenten Quadranten werden an den digitalen Zwilling übertragen. Der Status jedes Quadranten, auch vergangener Scans, ist im digitalen Zwilling für den Schleusenbetreiber sichtbar.

    Mit DT »buoy« wurde ein digitaler Zwilling für die Zustandsüberwachung der Wasserstraßen entwickelt, der ähnlich wie Google Maps nach Erhalt der Sensordaten die Position der Bojen sowie sämtliche der erfassten digitalen Informationen wie etwa die Wassertiefe und -temperatur, die Lufttemperatur und Anzahl der gezählten Lastkähne anzeigt. Ein dritter digitaler Zwilling DT »water level« übernimmt die Überwachung und Vorhersage der Schiffbarkeit, wobei die Wasserstände unter Berücksichtigung der Wetterdaten aus den umliegenden Regionen zehn Tage im Voraus berechnet und im virtuellen Abbild dargestellt werden.

    Der digitale Zwilling ist demnach mehr als nur ein 3D-Modell?

    Tammo Märtens: Ja, es handelt sich um eine dynamische, digitale Repräsentation eines physischen Objekts oder Systems, die durch Sensoren ständig aktualisiert wird. In der Verkehrslogistik kann ein digitaler Zwilling ein Logistikareal oder einen kompletten Logistikprozess abbilden. Die in CRISTAL entwickelten Lösungen wurden in den Pilotregionen erfolgreich getestet. Wir sind daher zuversichtlich, dass durch ihren Einsatz die Logistikprozesse in der Binnenschifffahrt gestärkt werden und sie es ermöglichen, bisher ungenutztes Potenzial auszuschöpfen. Wir gehen davon aus, dass sich die Zuverlässigkeit des Transports erhöhen lässt.



    Projekt CRISTAL

    Climate Resilient and Environmentally Sustainable Transport Infrastructure

    Laufzeit:
    September 2022 bis Dezember 2025

    Fördergeldgeber:
    Europäische Union; dieses Projekt wird im Rahmen der Horizon Europe-Ausschreibung »Klimaresistenz und ökologisch nachhaltige Verkehrsinfrastruktur mit Schwerpunkt auf Binnenwasserstraßen« gefördert | Ausschreibungs-ID: HORIZON-CL5-2021-D6-01-09, Förderkennzeichen: 101069838

    Projektpartner:

    Fraunhofer IML
    Fraunhofer Center for Maritime Logistics and Services CML
    15 Partner aus Deutschland, Polen, Belgien, Italien, Ungarn, Tschechien, Griechenland, Frankreich, Niederlande und Großbritannien


    Weitere Informationen:

    https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2025/dezember-2025/wir-w...


    Bilder

    Dashboard DT »waterlevel«
    Dashboard DT »waterlevel«

    Copyright: © Fraunhofer IML


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Elektrotechnik, Informationstechnik, Maschinenbau, Umwelt / Ökologie, Verkehr / Transport
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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