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03.12.2025 11:09

Extravaskulärer Defibrillator bei Brugada-Syndrom: „Ich brauche doch meinen Schutzengel“

Tina Mühlbauer Öffentlichkeitsarbeit
Herzzentrum Leipzig GmbH

    Erstmals wurde am Herzzentrum Leipzig erfolgreich ein extravaskulärer Defibrillator bei einer Patientin mit dem seltenen Brugada-Syndrom implantiert – einer genetisch bedingten Störung der elektrischen Signale im Herzen, die lebensbedrohliches Kammerflimmern auslösen kann. Für die Betroffenen ist ein geeigneter Defibrillator, der gefährliche Rhythmusstörungen erkennen und das Herz bei längeren Pausen stimulieren kann, die wichtigste und lebensrettende Therapie.

    Kornelia Gernert, gelernte Herrenschneiderin aus Sonneberg, war früher sehr sportlich, betrieb Kraftsport und Schwimmen. Im Laufe der Jahre nahm ihre Kondition jedoch deutlich ab, begleitet von Erschöpfung, Kurzatmigkeit und wiederkehrenden Ohnmachtsanfällen. Trotz zahlreicher Arztbesuche wurde zunächst keine Ursache gefunden und die Beschwerden wurden dem Stress durch die langjährige Pflege ihres damaligen, schwerkranken Ehemanns zugeschrieben. Erst während eines Klinikaufenthalts wegen einer Darmerkrankung wurde ein EKG erstellt, das ein Brugada-Syndrom offenbarte. „Zuerst dachte ich: Muss ich jetzt sterben? Ich wusste nicht, was das ist. Aber plötzlich standen ganz viele Leute um mein Bett“, erinnert sich Gernert.

    Schwachstelle im Bauplan des Herzens

    Das Brugada-Syndrom ist eine seltene, erblich bedingte Störung der elektrischen Signalübertragung im Herzen. Statistisch wird etwa bei 1-2 von etwa 5.000 Deutschen das Brugada-Syndrom diagnostiziert, während Herzrhythmusstörungen insgesamt bei 20 bis 30 Prozent der Patienten auftreten. Prof. Dr. med. Daniela Husser-Bollmann, Professorin für Kardiogenetik am Herzzentrum Leipzig, erläutert: „Die Ursache des Brugada-Syndroms liegt häufig in einer genetischen Veränderung, die die Funktion bestimmter Ionenkanäle beeinflusst, über die elektrische Impulse im Herzen weitergegeben werden. Das Herz selbst ist dabei völlig gesund entwickelt – aber der ‚elektrische Bauplan‘ hat eine Schwachstelle, die unter bestimmten Bedingungen gefährliche Rhythmusstörungen auslösen kann. Das Syndrom ist nicht heilbar, aber das größte Risiko – der plötzliche Herztod – kann durch die Implantation eines Defibrillators nahezu vollständig ausgeschlossen werden.“

    Rhythmusstörungen vermutet, wo keine waren

    Als das Syndrom 2019 bei Kornelia Gernert diagnostiziert wurde, gab es nur wenige Kliniken in Deutschland, die mit den Besonderheiten der Erkrankung vertraut waren. Gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann begab sie sich auf die Suche nach einer passenden Einrichtung und stellte sich schließlich im Herzzentrum Leipzig vor. Dort entschied sich Frau Gernert zunächst für die Implantation eines subkutanen Defibrillators, um Komplikationen wie Infektionen oder Gefäßverschlüsse zu vermeiden.

    Der Eingriff verlief komplikationsfrei, doch das Gerät funktionierte nicht wie erhofft: „Durch das außergewöhnliche EKG der Patientin hat das Gerät immer wieder Rhythmusstörungen vermutet, wo gar keine waren, und sich auf einen Schock vorbereitet“, erläutert Privatdozentin Dr. med. Kerstin Bode, Chefärztin der Rhythmologie. „Über die Telemedizin konnten wir den Fehler erkennen, das System ließ sich jedoch nicht korrigieren. Daher mussten wir gemeinsam mit der Patientin entscheiden, ob ein anderes Defibrillator-Modell eingesetzt werden soll.“

    „Für mich war das gar keine Frage“, betont Kornelia Gernert. „Ich wusste, ich brauche doch meinen Schutzengel, damit mein Herz funktioniert. Und ich wollte unbedingt, dass die Implantation von demselben Team durchgeführt wird wie beim ersten Mal. Da habe ich mich gut aufgehoben gefühlt.“

    Das Team der Rhythmologie um Privatdozentin Dr. Bode entschied sich für die Implantation eines neuartigen extravaskulären Defibrillators. Die Elektrode sitzt nicht direkt im Herzen, erfüllt aber alle notwendigen Funktionen: Sie kann kurzzeitig stimulieren wie ein Schrittmacher, einen Schock auslösen und auch eine Überstimulation ohne Schock generieren, die bei regelmäßigen Tachykardien ausreichend ist. Durch die gezielte Platzierung der Sonde erhielt das System ein störungsfreies Signal, sodass die Schutzfunktion zuverlässig arbeitet.

    Ohnmachtsanfälle ernst nehmen

    Heute geht es Frau Gernert deutlich besser. Sie steht weiterhin im Austausch mit dem Herzzentrum Leipzig, auch ihre Verwandtschaft hat sich dort vorgestellt: „Die Erkrankung wird oft autosomal-dominant vererbt, das heißt: Wenn das Syndrom in der Familie vorhanden ist, besteht für nahe Angehörige eine höhere Wahrscheinlichkeit, ebenfalls betroffen zu sein“, so Prof. Husser-Bollmann. „Treten bei einem Angehörigen Ohnmachten auf oder ist ein Verwandter am plötzlichen Herztod gestorben, sollte dringend eine genetische Beratung in Anspruch genommen werden. Beim Brugada-Syndrom betrifft das besonders Eltern, Geschwister und Kinder. Und auch wenn unsere aktuelle Patientin eine Frau ist, wissen wir aus Studien, dass Männer ein deutlich höheres Risiko für Rhythmusstörungen haben. Die genetische Anlage kann zwar bei beiden Geschlechtern vorliegen, aber der Krankheitsverlauf unterscheidet sich oft.“

    Brugada-Syndrom in Leitlinien verankert

    In den vergangenen Jahren wurden bei Diagnostik und Behandlung des Brugada-Syndroms wesentliche Fortschritte erzielt. Die Forschung hat die genetischen Ursachen der Erkrankung und deren Einfluss auf die elektrische Herzfunktion besser verstanden. Gleichzeitig hat sich die Diagnostik weiterentwickelt: Typische EKG-Veränderungen lassen sich heute durch Provokationstests präziser erkennen. Besonders relevant ist, dass das Brugada-Syndrom inzwischen in den medizinischen Leitlinien verankert ist, die klare Vorgaben zur Diagnostik, Risikoeinschätzung und Therapie – einschließlich der Entscheidung über die Implantation eines Defibrillators – geben. Damit ist die Erkrankung heute besser erforscht, sicherer behandelbar und stärker im Bewusstsein von Medizin und Öffentlichkeit verankert als noch vor wenigen Jahren.


    Bilder

    Gut aufgehoben: Patientin Kornelia Gernert (Mitte) mit ihren Ärztinnen Priv.-Doz. Dr. med. Kerstin Bode (links) und Prof. Dr. med. Daniela Husser-Bollmann (rechts)
    Gut aufgehoben: Patientin Kornelia Gernert (Mitte) mit ihren Ärztinnen Priv.-Doz. Dr. med. Kerstin B ...
    Quelle: Helios Kliniken GmbH
    Copyright: Helios Kliniken GmbH


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Gut aufgehoben: Patientin Kornelia Gernert (Mitte) mit ihren Ärztinnen Priv.-Doz. Dr. med. Kerstin Bode (links) und Prof. Dr. med. Daniela Husser-Bollmann (rechts)


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