Wie kleine Tricks auf Tisch und Teller das Geschmackserlebnis steigern, Ressourcen sparen und wie an der TU Berlin entwickelte Suppenrezepte zu einem nachhaltigen Festmahl beitragen. Erkenntnisse aus der Forschung von Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Prof. Dr. Nina Langen
Weihnachten ist die Zeit des Genusses und des Überflusses. Kaum ein anderes Fest macht so sichtbar, wie Menschen über Lebensmittel entscheiden: warum sie Mengen überschätzen, sich von Stimmungen leiten lassen oder Gerichte allein durch ihre Inszenierung als besonders festlich oder sogar nachhaltiger wahrnehmen. Prof. Dr. Nina Langen von der TU Berlin beschäftigt sich seit Jahren mit genau solchen Mechanismen. In ihrem Fachgebiet Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft arbeiten Forscher*innen an der Schnittstelle von Verhaltensökonomie, Sensorik und Nachhaltigkeitsforschung, um nachvollziehbar zu machen, wie Essentscheidungen entstehen und wie man sie im Alltag erleichtern kann. Gerade die Festtage zeigen für Langen besonders deutlich, wie eng all diese Faktoren miteinander verwoben sind: „Es gibt keine andere Zeit, in der man so klar sieht, wie sehr Emotionen, Gewohnheiten, Marketing und Planung ineinandergreifen.“
Nachhaltige Ernährung: ein Zusammenspiel aus fünf Blickwinkeln
Langen beschreibt nachhaltige Ernährung als Zusammenspiel ökologischer, ökonomischer, esskultureller, gesundheitlicher und sozialer Faktoren und alle fünf prägen das Weihnachtsessen stärker als an jedem anderen Tag.
Ökologisch ist ein Essen vor allem dann, wenn es aufgegessen wird. „In jedem Produkt steckt eine Kette an Ressourcen – vom Anbau bis zum Abspülen der Töpfe.“ Auch Herkunft und Saison spielen eine Rolle: „Wintersalate sind da sehr günstig“, erklärt Langen. „Feldsalat oder Postelein kann man sogar selbst im Hochbeet aussäen. Dann hat man an Weihnachten exakt die Menge, die man braucht.“
Ökonomisch ist Weihnachten für viele eine Herausforderung und eine Zeit der Verführung. „Plötzlich preisen Händler*innen alles als ‚deluxe‘ an. Aber was unterscheidet die Deluxe-Olive von der normalen? Oft nichts außer dem Etikett und dem höheren Preis.“ Nachhaltig sei auch, sich nicht zu überfordern: Gutes Essen müsse nicht teuer sein und auch die restlichen 364 Tage verdienten Aufmerksamkeit.
Esskulturell wird es persönlich: Essen ist Erinnerung, Zugehörigkeit, Biografie. Gleichzeitig, so Langen, sei Esskultur kein starres System. „Ich darf mich weiterentwickeln. Wenn ich nicht mehr auf dem Land lebe oder nicht mehr für acht, sondern für zwei Menschen koche, darf das Weihnachtsessen auch anders aussehen.“
Gesundheitlich gehe es um Maßhalten – besonders bei Fettigem und Deftigem, das zur Adventszeit überall lauert, während Bewegung eher knapp wird.
Und auf der sozialen Ebene spielen Arbeitsbedingungen und Tierwohl eine Rolle: Unter welchen Bedingungen wurden meine verwendeten Lebensmittel produziert.
Die wichtigsten Hebel: Planung und Portionen
Trotz aller Komplexität lässt sich laut Langen viel mit einfachen Schritten erreichen. „Das Allerwichtigste ist, dass man aufisst.“ Die größten Nachhaltigkeitsverluste entstehen im Haushalt: 58 Prozent der Lebensmittelabfälle in Deutschland – 6,3 Millionen Tonnen im Jahr 2022 – stammen aus privaten Küchen. Gute Planung ist deshalb ein wissenschaftlich belegter Hebel zur Abfallvermeidung. Dazu gehört, Portionen realistisch einzuschätzen, die Verwertung von Resten einzuplanen und Vorräte zu prüfen. Oft liegen beispielsweise noch Maronen vom Vorjahr im Schrank. Überladene Teller sind an vielen Weihnachtstischen kulturell fest verankert, aber weniger könne auch mehr sein und sogar etwas Exquisites transportieren, so die Wissenschaftlerin.
Wer über die Feiertage etwas Zeit hat, kann die eigenen Abfälle mit dem vom Fachgebiet entwickelten digitalen Küchentagebuch in der ‚Zu gut für die Tonne‘-App (https://www.zugutfuerdietonne.de/app) messen, in dem sich eintragen lässt, was über die Weihnachtstage weggeworfen wurde. Die App zeigt anschließend, wo mögliche Schwachstellen im eigenen Verhalten liegen und wo man bereits gut abschneidet.
Warum Geschmack Kopfsache ist
Nina Langens Geschmackslaborforschung zeigt, wie sehr psychologische Faktoren unser Essen formen. „Dasselbe Gericht schmeckt anders, wenn ich es auf einem Porzellanteller oder auf einer Tischdecke serviere, die ich nur einmal im Jahr benutze, statt auf Plastik.“
Ein roter Teller animiert zum Aufessen, Goldrand-Geschirr kann positive Erinnerungen auslösen. Auch Farben beeinflussen Geschmackserwartungen. All das lasse sich nutzen, ohne etwas Neues zu kaufen. „Ich kann meine Olive selbst ‚deluxe‘ machen, indem ich sie in eine besondere Schüssel lege, die ich nur selten benutze, oder man tauscht Weingläser oder Tischdecken mit Nachbar*innen – ein einfacher Trick, der Atmosphäre schafft, ohne Ressourcen zu verbrauchen.“
Fleisch, Alternativen und das gemeinsame Denken von Zutaten
Menschen, die traditionell Fleisch servieren, empfiehlt Langen einen pragmatischen Ansatz. Kleinere Portionen seien ein guter Weg, ohne Traditionen zu brechen. „Anstatt einer großen Gans könne es auch eine kleinere sein oder anstatt der großen Wurst könnten auch drei kleinere serviert werden – das sieht sogar besser aus.“
Für vegetarische oder flexitarische Optionen nennt sie drei Beispiele: Ein buntes Beete-Carpaccio, das gerade im Internet beliebt ist und das sie schon bei Konferenzen getestet hat; ein Kartoffelgratin, das sich mit oder ohne Speck zubereiten lässt; und eine Mousse-au-Chocolat mit Aquafaba, also dem aufgeschlagenen Kichererbsenwasser. „In unseren Dreieckstests haben viele Tester*innen keinen Unterschied zur klassischen Version bemerkt. Die übrigen Kichererbsen können direkt weiterverarbeitet werden – man sollte Dinge gemeinsam denken.“
Weihnachtliche Suppen: vielseitig, nachhaltig, festlich
Für die kommenden Feiertage hat Langens Team unter dem Motto „Beste Reste – farbenfroh und festlich“ nachhaltige Suppenrezepte entwickelt, die mit typischen Weihnachtsresten arbeiten. Die Idee entstand aus der Forschung zur Lebensmittelverschwendung und der Beobachtung, dass Suppen besonders flexibel sind. „Die Suppe erfährt gerade einen Aufschwung, weil sie eine dankbare Angelegenheit ist“, sagt Langen. „Man kann sie mit allem kochen, was man noch übrighat. Ob krummes, saisonales Gemüse, eingefrorene Reste oder Zutaten vom Festessen, fast alles eignet sich für einen neuen Ansatz im Topf.“
Als Vorspeise oder Hauptgang lassen sich Suppen farblich, geschmacklich und in ihrer Textur variieren – püriert, stückig oder kombiniert. „Suppe kann genauso viel wie ein Braten“, betont Langen, „nicht vom Optischen her, aber sie wärmt, sättigt und liefert Nährstoffe.“ Wer es stressfrei mag, kocht vor, friert ein oder kocht ein und serviert dennoch Selbstgemachtes. Mit weihnachtlichen Toppings wie Spekulatiuscrunch oder karamellisierten Orangen- oder Zitronenschalen wirken die Suppen sogar überraschend festlich. Rezepte für Brötchen, Baguette, Brotkonfekt, verschiedene Pestos und ein Schichtdessert runden das nachhaltige Weihnachtsmenü ab.
Beste Reste – farbenfroh und festlich:
Hier geht es zu den Rezepten der vier verschiedenen Suppen sowie dem Dessert, entwickelt vom Fachgebiet Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft: https://www.tu.berlin/go239617/n81022/
Im Video zeigt Kochexpertin Karin Groth aus dem Fachgebiet von Nina Langen, wie sie die weihnachtlichen Suppen zubereitet: https://www.youtube.com/watch?v=whXrOBdxRVg&t=6s
Warum Planung so wichtig für ein nachhaltiges Weihnachtmenü ist, erzählt Prof. Dr. Nina Langen in diesem Video: https://www.youtube.com/watch?v=7L4mavTqpYc
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Prof. Dr. Nina Langen
Fachgebietsleitung Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft
Fakultät I Geistes- und Bildungswissenschaften
TU Berlin
E-Mail: nina.langen@tu-berlin.de
Tel.: +49 30 314-73366
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
Deutsch

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