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06.12.2025 00:00

Auftaktveranstaltung zum Projekt "Medienkompetenz im Zeichen des Nahostkonflikts"

Annalena Bauer Pressereferat
Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg

    Das von Professorin Havva Engin und Rabbinerin Professorin Birgit Klein geleitete Projekt "Medienkompetenz im Zeichen des Nahostkonflikts" wurde im November an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg vorgestellt. Dabei wurde einerseits auf die aktuelle Relevanz des Themas im Lichte radikalisierter Ansichten bezüglich des Nahostkonflikts eingegangen, aber auch das Projekt in seiner Vorgehensweise näher erläutert. Den letzten Block der Veranstaltung bildete eine Diskussionsrunde mit drei Gästen sowie der Austausch mit dem Publikum.

    Tobias Doerfler, Dekan der Pädagogischen Hochschule, eröffnete die Veranstaltung
    mit einem Begrüßungswort und sprach direkt das Ziel des Projektes an. Nämlich,
    „Extremismus- und Anti-Semitismus Prävention nachhaltig in Schulen und
    Hochschulen zu stärken und unsere Demokratiebildung weiter voranzubringen“.

    Auch Andreas Brämer, Rektor der Hochschule für Jüdische Studien, hieß alle Anwesenden willkommen. Er bemerkte, dass seit dem 07. Oktober in Heidelberg und umgebenden Städten Antisemitismus deutlich zugenommen habe. Es hätten sich in kurzer Zeit immer mehr Echokammern gebildet, in denen sich schon junge Menschen radikalisierten, wobei die sozialen Medien eine zentrale Rolle spielten.
    Laut Brämer berichteten Lehrkräfte, dass ihnen der Raum und die Materialien fehlen, um historische Hintergründe des Konfliktes zu vermitteln und junge Menschen beim Einordnen der vielen kursierenden Informationen zu unterstützen. Aus all diesen Aspekten schloss
    er, dass es Projekte wie dieses brauche, die auf Grundlage qualitativer und quantitativer Methoden der Frage nachgehen, weshalb der Nahostkonflikt viele junge Menschen politisiert und teilweise auch radikalisiert hat.
    Anschließend übernahm Birgit Klein das Wort. Sie sehe sich immer wieder mit eklatantem Nichtwissen bezüglich der Geschichte des Konflikts und antisemitischen Stereotypen konfrontiert. Zudem seien die Medien überflutet von einseitigen Narrativen. Somit sei es wichtig, gegen die verzerrte Mediendarstellung vorzugehen, indem möglichst früh Wissen und Kompetenz vermittelt würden, so dass falsche Darstellungen erkannt und Jugendlichen Argumente an die Hand gegeben würden, diesen etwas entgegensetzen zu können.

    Noch bevor das Projekt vorgestellt wurde, trug Havva Engin Daten zur Social-Media-Nutzung von Jugendlichen vor und schuf so eine Grundlage gemeinsamen Wissens.

    In einer neuen JIM-Studie zeigte sich, dass fast alle Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein Smartphone besitzen und sich damit täglich circa vier Stunden beschäftigen. Ein großer Teil ihrer Freizeit findet so im digitalen Raum statt, vor allem auf Apps wie WhatsApp, Instagram, Snapchat und TikTok. „Es ist ein Organ von uns geworden, ein Körperteil auch von jungen Menschen“, fasste es Frau Engin zusammen.

    Die Studie zeigte außerdem, dass bei vielen Jugendlichen ein ausgeprägtes Interesse an gesellschaftlichen und politischen Themen herrscht. Besonders an Kriegen, Kriegsgefahr und Konflikten. Allerdings werden viele täglich mit Desinformation konfrontiert.
    Auch beleidigende Kommentare und extremistische politische Ansichten, sowie weitere kritische Inhalte nehmen rasant zu. Dies solle uns zu denken geben, besonders weil auch schon sehr junge Menschen damit in Verbindung kommen.
    Frau Engin betonte, dass es sich bei Radikalisierung um einen Prozess handle, der nicht über Nacht passiere und in Wechselwirkung mit der realen Umwelt stattfinde, also eine Verknüpfung von Online- und Offline-Aktivitäten sei.

    Nach einer kurzen Vorstellung der Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen Jessika Hoesel und Judith Damian sowie Lennart Koller und Andrea Setzer-Blonski, wurde die Methodik vorgestellt.
    Anhand eines Medientagebuchs soll erfasst werden, wie junge Menschen (links-) extremistische Narrative und Inhalte im Kontext Nahostkonflikt auf den sozialen Medien konsumieren und reflektieren. Die Zielgruppe sind Schüler:innen ab 16 Jahren und Studierende, die das Tagebuch in einem Zeitraum von zwei bis maximal vier Wochen durchführen. Das Tagebuch soll die kritische Medien- und demokratische Diskurskompetenz stärken. Zuvor wird eine Eingangsbefragung durchgeführt, in der biographische Daten und die Mediennutzung abgefragt werden.
    Eine Herausforderung stelle die Ermüdung beim Ausfüllen des Tagebuches dar, auch „Diary Fatigue“ genannt, die sich darin äußert, dass die Teilnehmenden das Tagebuch immer knapper ausfüllen und nicht ausreichend Informationen angeben. Eine Lösung dafür ist, das Tagebuch multimodal auszufüllen.

    Anschließende Interviews thematisieren persönliche Erfahrungen, Meinungen und Ergebnisse im Bezug auf das Tagebuch selbst, aber auch im Hinblick auf den Nahostkonflikt. Hier sei das Ziel, zu verstehen, welche Rolle der Nahostkonflikt in der politischen Meinungsbildung junger Menschen spielt und inwiefern die sozialen Medien relevant bei dem Prozess der Politisierung sind.
    Auf Grundlage der Ergebnisse der Medientagebücher und der Interviews sollen Argumentationstrainings und Workshops entwickelt werden. Diese sind einerseits an Schüler:innen und Studierende, aber auch an Lehrende, Dozierende und anders pädagogisch Tätige gerichtet. Die Durchführung des Projekts soll im Januar beginnen, die Workshops für Lehrkräfte beginnen dann voraussichtlich im Frühjahr 2027.

    Auch eine Diskussions- und Gesprächsrunde fand statt, zu der Patrick Baumgärtner (Lehrer), Argyri Parashaki-Schauer (Geschäftsführerin des LAKA Baden-Württemberg) und Norbert Pellens (Schulleiter) eingeladen waren.
    Zu Beginn stand die Frage, inwieweit die sozialen Medien, vor dem Hintergrund der ausgeprägten Präsenz der sozialen Medien im Schulalltag, dafür verantwortlich sind, zu einer Radikalisierung beizutragen?
    Nach dem 7. Oktober habe er sich mit 9-Klässler:innen darüber unterhalten, so Herr Baumgärtner, die Kommunikation sei offen gewesen. Innerhalb von zwei Wochen habe sich dies jedoch drastisch gewandelt: Einige Schüler äußerten Verschwörungstheorien und
    es kam zu Leugnungen der Verbrechen des 07. Oktobers. Hauptsächlich kamen diese Falschinformationen von den sozialen Medien.
    Laut Frau Parashaki-Schauer, komme in ihrer Arbeit das Thema des Nahostkonflikts immer in Verbindung mit eigenen Diskriminierungserfahrungen.
    Interessant sei dabei, dass Jugendliche sich sofort solidarisieren würden. Während es einen Aufschrei gäbe, wenn man Muslime gesamtheitlich für das Massaker am 7. Oktober in die Verantwortung nehmen würde, so erlebe sie es oft, dass eben dieser Aufschrei und die Forderung nach einer differenzierten Betrachtung fehlten, wenn über die jüdische Bevölkerung im Hinblick auf den Konflikt gesprochen wird.
    Auch Herr Pellens äußerte sich und hob einen anderen Aspekt hervor, nämlich dass es lange gedauert habe, bis sich die Gewichte der Berichterstattung, unter anderem in der Tagesschau, verschoben haben und ein differenzierteres Bild des Konfliktes entstand. Er möchte den Jugendlichen keinen Vorwurf machen, meinte er. Es sei „anstrengend“, neugierig, kritisch und reflektierend zu bleiben.
    Aus dem Publikum erklärte ein Schüler der Elisabeth-von-Thadden-Schule, dass die meisten Schüler:innen die sozialen Medien in großem Umfang nutzen würden und daher dort vielen Beiträgen zum Nahostkonflikt begegnen, mit welchen sie sich auseinandersetzten. Auf die Frage Engins, worauf sie sich verlassen würden, wenn es um die Erkennung von Fake News geht, antwortete eine Schülerin, dass sie im Nachhinein im Internet nach weiteren Quellen suche und mit anderen darüber rede, sollte sie keine Informationen dazu finden.
    Herr Baumgärtner äußerte den Wunsch nach Räumen für Austausch mit Schüler:innen, wie Social-Media-Sprechstunden, wo zum Beispiel Gewaltdarstellungen, Holocaustrelativierungen, aber auch ungewollte Pornografiedarstellungen in den
    Medien besprochen werden können.

    „Wir haben ein Problem und dürfen diese Probleme im schulischen Kontext nicht
    ausklammern“, so Frau Engin am Ende der Veranstaltung, „Schule macht Gesellschaft,
    Schule ist Gesellschaft“. Außerdem sei es wichtig, diese Themen anzusprechen, neue Wege zu gehen, ungewohnte Methoden zu erproben und den Jugendlichen auch ein Stück weit zu vertrauen.
    In einer abschließenden Stellungnahme bemerkte Frau Engin zudem, dass durch das Format des Projekts Theorie mit Praxis verbunden wird. So werden anhand der Befragung mit wissenschaftlichen Methoden die Bedarfe ermittelt, auf deren Basis man schließlich die Materialien entwickeln kann. Darin, so Frau Engin, liege die Stärke des Projekts.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Rab. Prof. Dr. Birgit Klein (birgit.klein@hfjs.eu)
    Prof. Dr. Havva Engin (engin@ph-heidelberg.de)


    Weitere Informationen:

    https://www.hfjs.eu/medienkompetenz-im-nahostkonflikt.html


    Bilder

    Von links nach rechts: Rabb. Prof. Dr. Birgit Klein, Patrick Baumgärtner, Prof. Dr. Havva Engin, Norbert Pellens, Argyri Parashaki-Schauer
    Von links nach rechts: Rabb. Prof. Dr. Birgit Klein, Patrick Baumgärtner, Prof. Dr. Havva Engin, Nor ...
    Quelle: Annalena Bauer
    Copyright: Annalena Bauer


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Forschungsprojekte, Schule und Wissenschaft
    Deutsch


     

    Von links nach rechts: Rabb. Prof. Dr. Birgit Klein, Patrick Baumgärtner, Prof. Dr. Havva Engin, Norbert Pellens, Argyri Parashaki-Schauer


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