Über 2.500 Jahre alter Kopf einer Marmorstatue aus der etruskischen Stadt Vulci zählt zu wenigen Beispielen griechischer Großplastiken mit Fundort außerhalb Griechenlands / Fund wirft neues Licht auf kulturellen Austausch zwischen Griechen und Etruskern
Griechen und Etrusker pflegten im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. in der antiken Stadt Vulci im heutigen Italien kulturell umfangreichere Beziehungen als bisher bekannt. Anhaltspunkte hierfür liefert der Kopf einer weiblichen Marmorstatue, der zu den äußerst seltenen Funden griechisch-archaischer Großplastiken außerhalb von Griechenland zählt. Dieser Kopf einer sogenannten Kore, die traditionell junge, aufrechtstehende Frauen in aufwendig gestalteter Kleidung zeigen und als Weihgabe oder Grabmonument dienten, wurde vom Team des interdisziplinären Ausgrabungsprojekts "Vulci Cityscape" um Archäologin Dr. Mariachiara Franceschini von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Archäologe Dr. Paul P. Pasieka von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) gefunden. Der Kopf stammt aus dem Bereich des neuen monumentalen spätarchaischen Tempels, der bereits im Jahr 2020 im Rahmen des Projekts entdeckt wurde. Dort lag er mehr als 2.500 Jahre verborgen im Boden der mittelitalienischen Region Latium, einem Teilbereich des früheren Etruriens. Aus dem Fundgebiet sind nur eine Handvoll Skulpturen bekannt, von denen keine in vergleichbar herausragender Qualität erhalten ist.
Der am vergangenen Freitag im Beisein des italienischen Kulturministers Alessandro Giuli in einer Pressekonferenz in Rom erstmals vorgestellte Kopf wird derzeit im Istituto Centrale per il Restauro in Rom restauriert. Zeitgleich ordnen Dr. Mariachiara Franceschini und Dr. Paul P. Pasieka den Fund derzeit wissenschaftlich ein und bereiten gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des Zentralinstituts für Restaurierung in Rom eine Veröffentlichung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse vor.
Einzelstück von herausragender Güte
Der Kopf der Kore findet seine engsten Parallelen in den Koren der Athener Akropolis und kann an den Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. datiert werden. Dargestellt ist eine knapp unterlebensgroße junge Frau mit aufwendig gestalteter Frisur und einem Diadem im Haar. "Wir gehen von einer attischen Produktion aus, die nach Etrurien exportiert wurde", erklärt Dr. Mariachiara Franceschini vom Institut für Archäologische Wissenschaften an der Universität Freiburg. "Wann genau sie nach Vulci kam, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, doch ist es wahrscheinlich, dass ein Zusammenhang mit dem Bau des neuen Tempels von Vulci besteht, der genau in diese Zeit fällt." Das monumentale Bauwerk gehört zur Gruppe der etrusko-italischen Peripteroi, also jener Tempel mit einfacher Cella und umlaufender Ringhalle auf einem hohen Podium, die von griechischen Vorbildern inspiriert waren. Er wurde zeitgleich mit dem bereits seit den 1950er-Jahren bekannten Tempio Grande im späten 6. beziehungsweise frühen 5. Jahrhundert v. Chr. errichtet. Die beiden monumentalen Tempel bilden ein Sakralquartier und dominieren das Erscheinungsbild der Stadt an einer zentralen Stelle des Plateaus.
"Neben der bildhauerischen Qualität besticht der Kopf durch seine einzigartigen Details, die sich in der Form nicht oder nur sehr selten finden lassen und die Kore zu einem ganz besonderen Fund machen. Reste der antiken Bemalung sind hervorragend erhalten", erläutert Dr. Paul Pasieka vom Institut für Altertumswissenschaften der JGU. "Die Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr. war ein Moment intensiver Aktivität und kultureller Blüte in Griechenland wie auch in Etrurien, in die sich der Kopf der Kore sehr gut einfügt," ergänzt Franceschini. "Wir bekommen durch diesen Fund ein ganz neues Bild der kulturellen Verflechtung, das bislang zumeist von den zahlreichen bemalten griechischen Vasen, die Etrurien massenhaft erreichten, geprägt ist, sich aber anscheinend noch viel weiter erstreckte."
Für die kommenden Jahre sind weitere Ausgrabungen im Bereich des neuen Tempels von Vulci geplant. An diesem zentralen öffentlichen Monument lässt sich die Geschichte der Stadt von ihren Anfängen in der ausgehenden Bronzezeit bis zur Spätantike und zum Frühmittelalter exemplarisch nachvollziehen, wovon unter anderem der Fund spätantiker Bestattungen in der jüngst zu Ende gegangenen Grabungskampagne im Sommer 2025 zeugt. Daneben werden mit modernsten Methoden weiterhin Struktur und Entwicklung der Stadt großflächig untersucht.
Das Projekt "Vulci Cityscape" untersucht seit dem Jahr 2020 die urbane Struktur der antiken etruskischen Stadt und hat bereits einen bis dato unbekannten monumentalen Tempel in der Nähe des Tempio Grande in Vulci entdeckt. Die Arbeiten vor Ort erfolgen in enger Kooperation mit der Soprintendenza Archeologia Belle Arti e Paesaggio per la provincia di Viterbo e per l’Etruria Meridionale, dem Parco di Vulci und weiteren internationalen Institutionen. Besonders Simona Carosi (Soprintendenza) und Carlo Casi (Parco di Vulci) unterstützen die enge Zusammenarbeit zwischen lokalen Institutionen, der Denkmalbehörde und ausländischen Forschungseinrichtungen in Vulci. Dabei wird das Projekt durch verschiedene Partner finanziell unterstützt, darunter die Fritz Thyssen Stiftung (2020-2022), die Gerda Henkel Stiftung (2022-2024) sowie der Profilbereich "40,000 Years of Human Challenges: Perception, Conceptualization and Coping in Premodern Societies" der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 2024 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Arbeiten in Vulci. Die Förderung läuft noch bis 2027.
Bildmaterial
https://download.uni-mainz.de/presse/07_iaw_klassarch_vulci_kore_pasieka_frances...
Dr. Mariachiara Franceschini und Dr. Paul P. Pasieka mit der Kore Vulci in der Sala della Crociera des italienischen Kulturministeriums in Rom
Foto/©: Agnese Sbaffi
https://download.uni-mainz.de/presse/07_iaw_klassarch_vulci.png
Stadtplateau der etruskischen Stadt Vulci mit Blick nach Süden zum Meer, rechts unten die Grabungen am neuen Tempel
Foto/©: Mariachiara Franceschini
https://download.uni-mainz.de/presse/07_iaw_klassarch_vulci_ausgrabungen.png
Ausgrabungsarbeiten der Vulci-Forschungsgruppe, links bei der äußeren Verkleidung des Tempels, rechts bei den spätantiken Bestattungen
Foto/©: Mariachiara Franceschini
https://download.uni-mainz.de/presse/07_iaw_klassarch_vulci_kore_kopf.png
Kopf der Kore bei der Auffindung
Foto/©: Mariachiara Franceschini
Weiterführende Links:
• https://vulcityscape.hypotheses.org/ – Ausgrabungsprojekt "Vulci Cityscape"
• https://iaw.uni-mainz.de/klassische-archaologie/ – Institut für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
• https://www.iaw.uni-freiburg.de – Institut für Archäologische Wissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Lesen Sie mehr
• https://presse.uni-mainz.de/bisher-unbekannter-monumentaler-tempel-in-der-naehe-... – Pressemitteilung "Bisher unbekannter Tempel in der Nähe des Tempio Grande in Vulci gefunden" (10.11.2022)
Dr. Mariachiara Franceschini
Klassische Archäologie
Institut für Archäologische Wissenschaften
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761 203-5444
E-Mail: mariachiara.franceschini@archaeologie.uni-freiburg.de
https://www.archaeologie.uni-freiburg.de/mitarbeiter/mcf
Dr. Paul P. Pasieka
Klassische Archäologie
Institut für Altertumswissenschaften
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel.: 06131 39-26403
E-Mail: ppasieka@uni-mainz.de
https://www.klassische-archaeologie.uni-mainz.de/paul-p-pasieka-m-a/
Dr. Mariachiara Franceschini und Dr. Paul P. Pasieka mit der Kore Vulci in der Sala della Crociera d ...
Quelle: Foto/©: Agnese Sbaffi
Kopf der Kore bei der Auffindung
Quelle: Foto/©: Mariachiara Franceschini
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
überregional
Forschungsprojekte, Kooperationen
Deutsch

Dr. Mariachiara Franceschini und Dr. Paul P. Pasieka mit der Kore Vulci in der Sala della Crociera d ...
Quelle: Foto/©: Agnese Sbaffi
Kopf der Kore bei der Auffindung
Quelle: Foto/©: Mariachiara Franceschini
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).