Pressemitteilung der Universität und des Universitätsklinikums Tübingen: Zwei Forscherinnen und drei Forscher der Universität und des Universitätsklinikums erhalten hochdotierte Förderungen für Projekte in der Medizin, der Mikrobiologie und dem Maschinellen Lernen
An der Universität und dem Universitätsklinikum Tübingen haben zwei Wissenschaftlerinnen und drei Wissenschaftler in der aktuellen Vergaberunde Consolidator Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben. Diese Auszeichnungen sind mit einer hochdotierten Projektförderung verbunden. In dieser Runde bewilligte der ERC EU-weit 349 der 3.121 eingereichten Bewerbungen auf Consolidator Grants, die Erfolgsquote lag bei rund elf Prozent.
„Dass sich gleich fünf Tübinger Bewerbungen in der europaweit harten Konkurrenz um die Consolidator Grants durchgesetzt haben, ist ein beachtlicher Erfolg. Die herausragenden Forscherinnen und Forscher beweisen großen Ideenreichtum, der das Potenzial für echte Innovationen im medizinischen Bereich oder auch im maschinellen Lernen in sich trägt“, sagt die Rektorin der Universität Tübingen, Professorin Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Karla Pollmann.
Die neuen ERC Consolidator Grants:
Professor Jan Böttcher, Institut für Immunologie und M3 Forschungszentrum
Projekt: „EICO-CODE“ zur Untersuchung, wie chemische Signale des Körpers das Immunsystem beeinflussen können zur Stärkung der körpereigenen Abwehr gegen Infektionen und Krebs
Juniorprofessorin Ana Brochado, Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin
Projekt: „BacImmune-Decode“ zur Erforschung des bakteriellen Immunsystems, um krankheitserregende Bakterien besser bekämpfen zu können
Professor Andreas Geiger, Fachbereich Informatik
Projekt: „CASIDO“ zur Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschritts durch künstliche Intelligenz
Professor Tobias Hauser, Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie
Projekt: „CiBbI-OCD” zum besseren Verständnis und Behandlung von Zwangsstörungen
Dr. Madhuri Salker, Department für Frauengesundheit, Universitäts-Frauenklinik
Projekt: „babyRADAR“ zur Entschlüsselung der Grundlagen der Reproduktionsmedizin
Consolidator Grants werden an erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fächer vergeben, sieben bis zwölf Jahre nach Abschluss der Promotion. Die damit verbundene Projektförderung beträgt in der Regel insgesamt bis zu zwei Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren.
Jan Böttcher – Wie chemische Signale das Immunsystem steuern und neue Wege in der Krebsabwehr eröffnen
Das menschliche Immunsystem ist ein erstaunliches Abwehrnetzwerk, das uns vor Infektionen schützt und hilft, Krebszellen zu bekämpfen. Eine zentrale Rolle spielen dabei sogenannte CD8+ T-Zellen. Diese Immunzellen können Viren und Tumorzellen gezielt erkennen und vernichten. Viele moderne Immuntherapien zielen darauf ab, diese Zellen zu stärken, um die Behandlungsergebnisse von Patientinnen und Patienten zu verbessern. Doch wie diese T-Zellen durch Signale aus verschie-denen Geweben des Körpers reguliert werden, gehört weiterhin zu den großen offenen Fragen der Immunologie.
Jan Böttcher aus der Experimentellen Immunologie und dem Exzellenzcluster iFIT will in seinem Projekt EICO-CODE (Unlocking the tissue code: Understanding organ-specific regulation of CD8+ T cell immunity by eicosanoids) herausfinden, wie bestimmte Moleküle – sogenannte Eicosanoide – das Verhalten und die Schutzkraft von CD8+ T-Zellen beeinflussen. Das Projekt wird über seinen Consolidator Grant mit rund zwei Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert. Mithilfe modernster Technologien wie Einzelzellsequenzierung, Gen-Editierung und der detaillierten Kar-tierung der zu den Lipiden zählenden Eicosanoide in verschiedenen Organen untersucht das Team, wie lokale Gewebefaktoren die Immunantwort gegen Krebs und Virusinfektionen steuern.
„Unser Ziel ist es zu verstehen, wie chemische Signale des Körpers das Immunsystem lenken“, erklärt Jan Böttcher, der auch Mitglied des M3 Forschungszentrums und des Instituts für Immunologie ist. „Wenn wir entschlüsseln können, wie Eicosanoide die Aktivität von T-Zellen in verschiedenen Organen beeinflussen, eröffnen sich neue Möglichkeiten, die körpereigene Abwehr gegen Infektio-nen und Krebs gezielt zu stärken.“
Durch die Verbindung von Organbiologie und Immunabwehr liefert EICO-CODE wichtige neue Er-kenntnisse darüber, wie maßgeschneiderte Immuntherapien künftig aussehen könnten – und ebnet den Weg für präzisere und wirksamere Behandlungen, die die natürliche Selbstheilungskraft des Körpers unterstützen.
Ana Rita Brochado – Bakterielle Krankheitserreger mit ihren eigenen Waffen schlagen
Die Zunahme von Antibiotikaresistenzen erfordert neue Strategien zur Bekämpfung bakterieller In-fektionen. In ihrem Projekt „BacImmuneDecode – Decoding bacterial immunity to enhance antimicrobial action“ – Entschlüsselung der bakteriellen Immunität zur Verstärkung der Antibiotikawirkung – möchte Ana Rita Brochado die Regulation und Funktion von bakteriellen Immunabwehrsysteme erforschen, um den Weg für neuartige Ansätze zur Bekämpfung bakterieller Infektionen zu ebnen. Ihr Vorhaben zum Consolidator Grant wird vom ERC mit insgesamt zwei Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert.
Das Team von Ana Rita Brochado hat kürzlich mithilfe eines automatisierten Hochdurchsatzverfahrens hundert Substanzen getestet und eine überraschende Entdeckung gemacht: Antifolat-Antibiotika aktivieren das bakterielle Abwehrsystem CBASS im Cholera-Erreger Vibrio cholerae. Durch CBASS wird normalerweise die Selbstzerstörung der Bakterien eingeleitet, die durch Bakterienviren, die sogenannten Bakteriophagen, infiziert wurden, um die restliche Bakterienpopulation zu schützen. Das Team entdeckte, dass das Bakterium durch Behandlung mit Antifolat-Antibiotika und in Abwesenheit von Phagen durch seine eigene Immunantwort geschädigt wird – ähnlich wie bei einer Autoimmunerkrankung. Dies war eine bisher unbekannte Wirkweise von Antifolaten, die nun dazu genutzt werden könnte, um Antibiotika effektiver einzusetzen und weitere Resistenzen zu ver-hindern.
Jüngst wurden mehr als hundert weitere Phagenabwehrsysteme bei Bakterien identifiziert. Einige von ihnen, ähnlich wie CBASS aus V. cholerae, schützen Bakterien vor Phagen, indem sie für die Bakterien schädlich sind. Solche Abwehrsysteme sind in erster Linie auf mobilen genetischen Ele-menten kodiert und kommen in Bakterien häufig vor. Doch sind wichtige Aspekte ihrer Regulation bisher unklar.
„In einem groß angelegten Screening werden wir hunderte von bioaktiven Molekülen untersuchen, die das Potenzial haben, die Aktivität unterschiedlicher Phagenabwehrsysteme zu regulieren. Wir werden genetische und umweltbedingte Auslöser des bakteriellen Immunsystems von E. coli experimentell kartieren. Langfristig könnte man diese Auslöser mit Phagen kombinieren, um neue therapeutische Ansätze gegen bakterielle Infektionen zu entwickeln.“, sagt Ana Rita Brochado.
Andreas Geiger – Künstliche Intelligenz als Assistent für wissenschaftliche Innovationen
In seinem Projekt „Computational Assistants for Scientific Discovery” (CASIDO) – Computerassistenz für wissenschaftliche Entdeckungen – möchte Andreas Geiger neue Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) entwickeln, die Forscherinnen und Forscher bei der Erarbeitung neuer Erkenntnisse unterstützen und den Fortschritt ihrer Arbeit beschleunigen. Sein Vorhaben wird vom ERC über einen Zeitraum von fünf Jahren mit insgesamt zwei Millionen Euro gefördert.
„In einzelnen Bereichen zum Beispiel der Biologie, Chemie oder Materialwissenschaften hat der Einsatz von KI deren großes Potenzial zur Entwicklung von Lösungen bereits bewiesen“, sagt Andreas Geiger. „Ich will KI als eine Art allgemeinen Forschungsassistenten nutzen.“ Der Ausstoß an wissenschaftlichen Publikationen wachse rasant. Forscherinnen und Forscher müssten täglich Tausende von neuen Veröffentlichungen sichten, um relevante Entwicklungen zu erkennen und komplexe Zusammenhänge zwischen Fächern zu verstehen, sagt er. „Diese Informationsflut überlastet den Menschen. Das führt dazu, dass interessante Verbindungen in Texten oder Muster in Datenbeständen übersehen, Chancen verpasst werden und sich die wissenschaftlichen Innovationen verlangsamen.“
Hier setzt er mit seinem CASIDO-Projekt an: Ein menschenzentrierter KI-Assistent soll Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Arbeitsalltag unterstützen, etwa bei der Durchsicht und dem Vergleichen von Forschungsarbeiten, bei der Identifikation von entscheidenden Forschungslücken sowie bei der Entwicklung neuer und kreativer Forschungsansätze. „Wir wollen keine KI, die Forschende ersetzt, sondern eine, die ihre Fähigkeiten erweitert“, erklärt Andreas Geiger. „Unsere Vision ist eine neue Generation intelligenter Werkzeuge, die Forschenden hilft, das vorhandene Wissen besser zu organisieren.“ Es gehe um eine Kooperation zwischen Mensch und KI, in die der Mensch seine Stärken Kreativität, Intuition und kritisches Denken in den wissenschaftlichen Entde-ckungsprozess einbringe.
Andreas Geiger schließt mit dem Consolidator Grant direkt an einen Starting Grant des ERC an. In dem Projekt LEGO-3D entwickelte er in den vergangenen fünf Jahren Modelle, mit denen Maschinen, wie zum Beispiel autonome Fahrzeuge, lernen, ihre Umgebung dreidimensional zu erfassen.
Tobias Hauser – Zwangsstörungen mit personalisierten Behandlungsansätzen begegnen
Psychische Erkrankungen gehören heute zu den größten Herausforderungen unserer Gesellschaft und betreffen Millionen von Menschen weltweit. Dennoch haben sich viele Behandlungsansätze seit Jahren kaum verändert und berücksichtigen selten, wie unterschiedlich das Gehirn und die Symptome einzelner Betroffener sein können. Ein typisches Beispiel ist die Zwangsstörung (OCD): Sie ist weit verbreitet und kann den Alltag stark beeinträchtigen – doch bestehende Therapien sprechen nicht bei allen Menschen gleich gut an.
Tobias Hauser aus dem Bereich Computational Psychiatry der Medizinischen Fakultät und wissen-schaftliches Mitglied des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) am Standort Tübingen möchte das mit seinem neuen Projekt CoNbI-OCD (Computational Neuroscience-based Interventions for OCD) ändern. Mit dem Consolidator Grant wird er dabei mit zwei Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert. Hauser will die Behandlung von Zwangsstörungen grundlegend neu denken – mit Hilfe modernster Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft und künstlichen Intelligenz (KI). Ziel ist es, hochmoderne, personalisierte Behandlungsansätze zu entwickeln, die klassische Psychotherapie mit innovativen Technologien wie Gehirnscans, Computermodellen des Denkens und generativer KI verbinden. So soll es möglich werden, besser zu verstehen, was im Gehirn während zwanghafter Gedanken geschieht, um individuell zugeschnittene Unterstützung anzubieten.
„Wir stehen an einem Wendepunkt in der Behandlung psychischer Erkrankungen“, sagt Tobias Hauser. „Mit CoNbI-OCD wollen wir die Erkenntnisse aus der modernen Gehirnforschung und der KI nutzen, um Betroffenen endlich wirksamere und besser an ihre persönlichen Bedürfnisse angepasste Therapien anbieten zu können.“ Durch die enge Zusammenarbeit mit Menschen, die selbst Erfah-rungen mit OCD gemacht haben, sowie mit Fachkräften aus der psychischen Gesundheitsversorgung sorgt CoNbI-OCD dafür, dass die neuen Methoden praxisnah, sicher und alltagstauglich sind. Das Ziel ist klar: Für die Behandlung von Zwangsstörungen sollen moderne, wirksamere und auf jede Person abgestimmte Therapien entwickelt werden.
Madhuri Salker – Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur
Weltweit kämpfen jedes Jahr Millionen von Paaren mit der schmerzhaften Erfahrung, keine Schwangerschaft austragen oder gar nicht erst schwanger werden zu können. Tatsächlich ist etwa jedes sechste Paar von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen – ein Problem, das nicht nur großes persönliches Leid verursacht, sondern auch eine erhebliche gesundheitliche und sozioökonomische Herausforderung darstellt. Damit eine Schwangerschaft entstehen kann, muss sich ein Embryo in die Gebärmutterschleimhaut einnisten. Doch viele der biologischen Signale, die diesen entscheidenden Schritt steuern, sind bislang unbekannt. Da die Einnistung tief im Körper und in einem sehr kurzen Zeitfenster erfolgt, gilt sie als eines der großen Rätsel der Biologie.
Madhuri Salker von der Universitäts-Frauenklinik Tübingen und Assistenzprofessorin an der Univer-sity of British Columbia, Kanada, will dieses Rätsel in ihrem Forschungsprojekt babyRADAR (The use of reconstructed assembloids, multimodal single cell sequencing and nanosensor development to study human implantation and pregnancy loss) lösen. Ihr Consolidator Grant wird mit zwei Millionen Euro über fünf Jahre hinweg gefördert. Gemeinsam mit ihrem Team erforscht sie, wie die Gebärmutter selbst Embryonen erkennt, auswählt und in den ersten Tagen der Schwangerschaft unterstützt. Salkers Team hat dreidimensionale „Sensing-Organoide“ entwickelt, die nachbilden, wie die menschliche Gebärmutter mit Embryonen kommuniziert – und damit erstmals ermöglicht, die Ein-nistung direkt zu beobachten. Mit modernsten Technologien wie Multiom-Sequenzierung, CRISPR-basierter Gen-Editierung und einem winzigen „Micro-Cradle“-Nanosensor, der die Gesundheit von Embryonen misst, will das Team aufdecken, warum Einnistungen manchmal scheitern und Fehlgeburten auftreten.
„Unsere Forschung bringt uns einen entscheidenden Schritt weiter, um zu begreifen, wie die allererste Kommunikation zwischen Mutter und Embryo entsteht“, erklärt Madhuri Salker. „Wenn wir verstehen, warum die Einnistung fehlschlägt, können wir neue Diagnoseverfahren entwickeln, Fruchtbarkeitsbehandlungen verbessern und betroffenen Familien neue Hoffnung geben.“ Mit den Erkenntnissen aus babyRADAR möchte das Team die Grundlagen der Reproduktionsmedizin verändern – und mehr Familien die Chance auf ein gesundes Kind geben.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
fachunabhängig
überregional
Forschungsprojekte, Wettbewerbe / Auszeichnungen
Deutsch

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