Vier Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) die Zusage für jeweils einen ERC Consolidator Grant erhalten und können nun mit einer Förderung von jeweils insgesamt rund zwei Millionen Euro für fünf Jahre rechnen.
Ein Pharmakologe, zwei Physiker und eine Kulturanthropologin erhalten Förderung in Millionenhöhe von der EU
Vier Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) die Zusage für jeweils einen ERC Consolidator Grant erhalten und können nun mit einer Förderung von jeweils insgesamt rund zwei Millionen Euro für fünf Jahre rechnen. Wie der ERC heute bekannt gegeben hat, werden die folgenden Forschenden der JGU gefördert: Prof. Dr. Andreas Bock, Direktor des Institut für Pharmakologie der Universitätsmedizin; Prof. Dr. Čarna Brković, Professorin für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie und geschäftsführende Leiterin des Instituts für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft; Prof. Dr. Martin Fertl, Professor am Institut für Physik und Mitglied des Exzellenzclusters PRISMA+; sowie Dr. Stefan Schoppmann vom Detektorlabor des Exzellenzclusters PRISMA+. Der Consolidator Grant ist eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen des ERC für Einzelpersonen. Er soll dazu dienen, herausragende Forschende mit sieben bis zwölf Jahren Erfahrung seit dem Abschluss ihrer Promotion beim Aufbau oder der Etablierung ihres eigenen Teams zu unterstützen.
„Wir freuen uns sehr über den Erfolg unserer Forschenden und gratulieren ihnen herzlich“, sagt der Vizepräsident für Forschung und wissenschaftliche Karrierewege der JGU, Prof. Dr. Stefan Müller-Stach. „Die Förderung durch die Consolidator Grants des ERC verdeutlicht die Forschungsstärke unserer Universität und schärft unser Forschungsprofil weiter. Wir festigen durch sie unsere Position als Standort mit international herausragender und zukunftsweisender Forschung.“
„Die vier ERC Consolidator Grants für Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sind ein großartiger Erfolg für die Wissenschaft in Rheinland-Pfalz. Sie belegen eindrucksvoll die interdisziplinäre Stärke der Universität – von der Medizin über die Physik bis zur Kulturanthropologie – und unterstreichen zugleich ihre internationale Sichtbarkeit. Diese Spitzenförderungen des Europäischen Forschungsrats zeigen, dass herausragende Forschung aus Rheinland-Pfalz weltweit Maßstäbe setzt und unser Land als attraktiven und leistungsfähigen Wissenschaftsstandort weiter stärkt. Ich gratuliere allen Forschenden und wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung ihrer Projekte“, sagt der Wissenschaftsminister von Rheinland-Pfalz, Clemens Hoch.
Die Projekte im Einzelnen:
Andreas Bock: CLARITY – Elucidating the Role of Subcellular GPCR Nanoswitches in Signaling Specificity
In dem Projekt „Elucidating the Role of Subcellular GPCR Nanoswitches in Signaling Specificity – CLARITY“ geht es um physiologische Prozesse im menschlichen Körper und potenzielle Zielstrukturen für neuartige Arzneistoffe. Konkreter Forschungsgegenstand ist die Zell-Zell-Kommunikation. Mit seinen Untersuchungen will Andreas Bock aufzeigen, dass die für die Zellkommunikation so wichtigen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs) keine breiten, diffusen Signale aussenden – wie bislang angenommen –, sondern innerhalb der Zelle an verschiedenen Stellen nur wenige Nanometer große Signalfelder erzeugen. Jeder von diesen winzigen, extrem lokalisierten, sogenannten „Nanoschaltern“ stimuliert die Produktion des chemischen Botenstoffs cyclisches Adenosinmonophosphat (cAMP), jedoch – und das ist die innovative Erkenntnis – nur in seiner unmittelbaren Umgebung. Dies ist insofern vorteilhaft für die Weiterleitung der Signale aus der Außenwelt, weil es den Zellen dadurch möglich ist, genau zu verfolgen, woher jedes cAMP-Molekül stammt, und zu erkennen, welcher Rezeptor das Signal ausgelöst hat. Mit diesem Wissen kann die Zelle schließlich präzise und hochspezifisch reagieren – und zwar auch dann, wenn gleichzeitig zahlreiche andere Rezeptoren aktiv sind.
Fortschrittliche fluoreszierende Biosensoren, spezielle Mikroskopietechniken basiered auf Fluoreszenzlebenszeit und modernste Proteomik-Verfahren dienen Andreas Bock dazu, mehr darüber zu erfahren, wie diese Nanoschalter aufgebaut sind und wie die Interaktionsprozesse in den Zellen ablaufen. Um zu verdeutlichen, wie wichtig die Nanoschalter für die normalen Körperfunktionen sind, analysiert er zudem, wie sie daran beteiligt sind, dass die Bauchspeicheldrüse Insulin abgibt. Dafür untersucht er sowohl die Reaktion auf natürliche, körpereigene Hormone als auch auf zugelassene Medikamente zur Behandlung von Adipositas. Das langfristige Ziel des Projekts besteht darin, dazu beizutragen, dass eine Generation von Medikamenten entwickelt werden kann, die sich dadurch auszeichnet, dass ihre Wirkstoffe punktgenau auf bestimmte Nanoschalter abzielen statt auf ganze Zellen. Der enorme Nutzen bestünde in Behandlungen, die präziser und erfolgreicher wirken könnten und zugleich weniger Nebenwirkungen hätten.
Čarna Brković: Racial Socialism – Racialization and Value in Socialist Red Cross Societies
Das Projekt „Racial Socialism“ untersucht humanitäre Praktiken in sozialistischen Ländern, um neue Perspektiven auf Rassifizierung zu entwickeln. Rassifizierung bezeichnet den Prozess, in dem bestimmte Gruppen auf der Grundlage angeblich wesentlicher biologischer Unterschiede als grundlegend verschieden konstruiert werden. Die Bedeutung der Rassifizierung für die historische Herausbildung des Kapitalismus ist gut dokumentiert, da die Extraktion sozioökonomischen Werts häufig durch die Darstellung von Bevölkerungen als ontologisch verschieden legitimiert wurde. Historische Quellen zeigen jedoch, dass auch in sozialistischen Gesellschaften Prozesse der Rassifizierung stattfanden. Bislang fehlt es jedoch weitgehend an theoretischer Aufarbeitung dieses scheinbaren Widerspruchs. Am Beispiel der nationalen Rotkreuz-Gesellschaften in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Bulgarien untersucht das Projekt, wie Rassifizierung in sozialistischen Gesellschaften wirksam wurde.
Als analytischer Zugang wird eine Kulturanthropologie des Werts vorgeschlagen, um die Widersprüche von Rassifizierung im Sozialismus systematisch zu untersuchen. Sozialistische Gesellschaften werden dabei als Sozialordnungen mit vielfältigen Wertformen verstanden, die durch spezifische Logiken – oder ein Geflecht konkurrierender Logiken – strukturiert waren und auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen wirksam wurden.
Die zentralen Ziele von „Racial Socialism“ sind:
– neue empirische Forschung zur Frage, ob und in welcher Weise verschiedene Gruppen innerhalb sozialistischer Rotkreuz-Gesellschaften rassifiziert wurden;
– die Identifikation unterschiedlicher Wertregister und Aushandlungen von Wert – einschließlich politischem, ökonomischem, sozialem und kulturellem Wert – sowie deren hierarchischer Verflechtungen;
– die theoretische Neubestimmung von Rassifizierung im Sozialismus, die bislang primär als Phänomen kapitalistischer Gesellschaftsformationen verstanden wurde. Durch die Verbindung detaillierter historischer Forschung zu sozialistischen humanitären Organisationen mit kulturanthropologischen Theorien zu Wert und Rassifizierung entwickelt das Projekt neue Perspektiven auf diesen grundlegenden Widerspruch.
Martin Fertl: NuLife – Towards an Accurate Measurement of the Lifetime of Ultracold Neutrons Suspended in a Novel Fully Magnetic Trap
Das Ziel des NuLife-Projekts ist es, die Lebensdauer von Neutronen möglichst genau zu bestimmen. Dies ermöglicht einen hochpräzisen Test der Struktur der schwachen Wechselwirkung, die unzählige Phänomene bestimmt, darunter das Zahlenverhältnis leichter Elemente im frühen Universum, wie Helium zu Wasserstoff, oder den radioaktiven Zerfall von Neutronen und Kernen.
Das NuLife-Projekt wird hauptsächlich in Mainz entwickelt und wird die Grundlagen für die Verbesserung der Präzision des zukünftigen Experiments τSPECT2 schaffen. τSPECT2 basiert auf dem aktuellen τSPECT-Experiment, das unter der Leitung von Fertls Gruppe am Paul Scherrer Institut in der Schweiz betrieben wird. Dabei werden sogenannte ultrakalte Neutronen (UCN) verwendet, um die Neutronenlebensdauer zu messen. Diese extrem langsamen Neutronen können gespeichert werden, und anhand der Anzahl der Neutronen, die die Speicherzeit überleben, lässt sich ihre Lebensdauer ermitteln. NuLife wird eine bahnbrechende supraleitende Falle für die Speicherung von UCN entwickeln. In Kombination mit innovativen Strahllinienkonzepten kann dadurch die Anzahl der beobachteten Neutronenzerfälle drastisch erhöht werden. An modernen UCN-Quellen werden die sehr langsamen Neutronen in großer Zahl erzeugt. „Eine erfolgreiche Umsetzung von NuLife wird die Anzahl der im τSPECT2-Experiment gespeicherten Neutronen im Vergleich zu unserem Prototyp-Aufbau τSPECT um einen Faktor von bis zu 200 erhöhen können”, erklärt Fertl. „Dadurch wird das τSPECT2-Experiment in die Lage versetzt, die großen Datensätze zu sammeln, die erforderlich sind, um die Neutronenlebensdauer mit einer Genauigkeit von 0,1 Sekunden oder besser zu bestimmen. Diese hohe Präzision erlaubt es zu prüfen, ob die gemessene Neutronenlebensdauer mit den Vorhersagen des Standardmodells der Teilchenphysik übereinstimmt, und experimentelle Spannungen zwischen den präzisten Beobachtungen zu beleuchten. Weiterhin werden hochsensible Untersuchungen der mathematischen Struktur des Standardmodells ermöglicht, welche entweder sehr strenge Grenzen für die Physik jenseits des Standardmodells setzen oder neue schwache Wechselwirkungen, neue Teilchen und neue Strukturen der schwachen Wechselwirkung entdecken.“
Das NuLife-Projekt soll die herausragende Leistungsfähigkeit des τSPECT-Experiments vollständig in eine beispiellose experimentelle Genauigkeit der Messung der Neutronenlebensdauer umsetzen, wodurch es zu einer Referenz bei der Erforschung der Physik jenseits des Standardmodells werden könnte.
Stefan Schoppmann: NuDoubt++ – Search for Double Beta Plus Decays with a Novel Detector Concept Combining Hybrid and Opaque Scintillator Techniques
NuDoubt++ befasst sich mit der Erforschung eines äußerst seltenen Kernprozesses, des sogenannten Doppel-Beta-Plus-Zerfalls, bei dem zwei Positronen freigesetzt werden – Teilchen, die Elektronen ähneln, aber eine positive Ladung haben. Aufgrund seiner Seltenheit, der Komplexität des Nachweisverfahrens und der geringen Verfügbarkeit geeigneter Materialien ist dieser Zerfall nur schwer zu detektieren. Die Mühe lohnt sich jedoch, da Messungen des doppelten Betastrahlungszerfalls ein leistungsfähiges Mittel zur Untersuchung der Natur der Neutrinos darstellen. Insbesondere kann damit getestet werden, ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind, was sie als Majorana-Teilchen klassifizieren würde.
Zu diesem Zweck wird NuDoubt++ die Verwendung von Szintillatormaterialien vorantreiben. Diese Materialien emittieren Licht, wenn ein geladenes Teilchen oder Photon durch sie hindurchgeht, wodurch sie sich ideal für deren Detektion eignen. Bei der neuen, besonders leuchtstarken Klasse der langsamen hybriden Szintillatoren, die an der JGU entwickelt wurde, lassen sich sogar zwei verschiedene Arten von Licht besonders gut trennen, daher eignen sie sich für den Nachweis von Positronen. In der Regel werden dafür transparente Kristalle, Kunststoffe oder Flüssigkeiten verwendet. NuDoubt++ wird jedoch auch opake Szintillatoren einsetzen. Dabei wird eine neue Art von Material verwendet, mit dem das Experiment die Empfindlichkeit auf Doppelbetazerfälle erheblich verbessern kann. „Ich habe die Technologie der opaken Szintillatoren im Jahr 2019 entwickelt, indem ich einen klassischen transparenten Szintillator mit Wachs gemischt habe”, erklärt Schoppmann. „Mein aktueller Durchbruch bei der Kombination von opaken und hybriden Szintillatoren ermöglicht es NuDoubt++, alle Vorteile von Szintillator-Detektoren in einem einzigartigen und bahnbrechenden einheitlichen Ansatz zu vereinen, der die Empfindlichkeit der Messung maximiert. In den vergangenen zwei Jahren habe ich eine Forschungsgruppe an der JGU geleitet, die auf der Grundlage meiner Idee mithilfe von Computersimulationen ein vorläufiges Detektorkonzept entwickelt hat. Jetzt sind wir bereit, das Konzept in die Realität umzusetzen.“
Im ersten Jahr der Förderung durch den ERC Consolidator Grant sollen das Konzept und die Konstruktion des Detektors fertiggestellt werden. Im zweiten und dritten Jahr soll der Detektor in der Experimentierhalle des Instituts für Physik der JGU gebaut und getestet werden. In den letzten beiden Jahren der Förderung soll NuDoubt++ den Zwei-Neutrino-Doppel-Beta-Plus-Zerfall messen und die Präzision der aktuellen Experimente verbessern.
Prof. Dr. Andreas Bock
Institut für Pharmakologie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-
Universität Mainz
Langenbeckstraße 1
55131 Mainz
Tel.: 06131 17-9187
E-Mail: sekpharma@uni-mainz.de
https://www.unimedizin-mainz.de/pharmakologie/index.html
Prof. Dr. Čarna Brković
Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie
Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel.: 06131 39-30339
E-Mail: brkovicc@uni-mainz.de
https://kultur.ftmk.uni-mainz.de/brkovic/
Prof. Dr. Martin Fertl
Quanten-, Atom- und Neutronenphysik (QUANTUM)
Institut für Physik und Exzellenzcluster PRISMA+
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel.: 06131 39-37687
E-Mail: mfertl@uni-mainz.de
https://ag-fertl.physik.uni-mainz.de/
Dr. Stefan Schoppmann
PRISMA Detektorlabor
Exzellenzcluster PRISMA+
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel.: 06131 39-28818
E-Mail: stefan.schoppmann@uni-mainz.de
https://prisma.uni-mainz.de/outreach/news-und-ankuendigungen/neu-bei-prisma-stef...
https://erc.europa.eu/news-events/news/erc-2025-consolidator-grants-results – Pressemitteilung des ERC „The ERC selects 349 mid-career researchers for €728 million in Consolidator Grants“ (09.12.2025)
https://nudoubt.uni-mainz.de/ – NuDoubt++-Experiment
https://ag-fertl.physik.uni-mainz.de/tspect/ – τSPECT-Experiment
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
fachunabhängig
überregional
Forschungsprojekte, Wettbewerbe / Auszeichnungen
Deutsch

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