Eine neue Studie der Universität von Colorado Boulder (CU Boulder) und des MPI CBS zeigt, dass allein die Vorstellung einer positiven Begegnung mit jemandem dazu führen kann, dass man diese Person mehr mag. Dieses wird durch die Aktivierung von Gehirnregionen ermöglicht, die für das Lernen und die Präferenzbildung zuständig sind. Die Ergebnisse könnten Auswirkungen haben auf Felder wie etwa die Psychotherapie oder den Leistungssport.
Allein die Vorstellung einer positiven Begegnung mit jemandem kann nicht nur dazu führen, dass man diese Person sympathischer findet. Sie verändert auch, wie Informationen über diese Person im Gehirn gespeichert werden. Das geht aus einer neuen Studie hervor, die am 10. Dezember in der Fachzeitschrift „Nature Communication“ veröffentlicht wurde.
Die Studie liefert einige der bislang überzeugendsten Belege dafür, dass lebhafte Vorstellungen konkrete Auswirkungen auf das Nervensystem und das Verhalten haben können. Die Ergebnisse könnten potentiell neue Wege zur Behandlung psychischer Probleme, zur Verbesserung von Beziehungen und sogar zur Steigerung der sportlichen und musikalischen Leistungsfähigkeit aufzeigen.
„Wir zeigen, dass wir aus imaginären Erfahrungen lernen können, und dass dies im Gehirn auf sehr ähnliche Weise funktioniert wie das Lernen aus tatsächlichen Erfahrungen“, sagt der leitende Autor Roland Benoit, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der CU Boulder.
„Das deutet darauf hin, dass Vorstellungskraft nicht passiv ist“, ergänzt Erstautorin Aroma Dabas, die die Studie als Doktorandin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften durchgeführt hat. „Vielmehr kann sie aktiv beeinflussen, was wir erwarten und wie wir Entscheidungen treffen.“
Was Vorstellungskraft und Gedächtnis gemeinsam haben
Frühere Forschungen haben gezeigt, dass dieselben Gehirnregionen uns nicht nur ermöglichen an die Vergangenheit zu erinnern, sondern auch die Zukunft vorzustellen.
Kinder entwickeln die Fähigkeit, sich zukünftige Ereignisse vorzustellen und sich zu erinnern, etwa im gleichen Alter – mit drei Jahren. Bei älteren Erwachsenen nehmen diese Fähigkeiten tendenziell ebenfalls etwa im gleichen Alter ab. Und Menschen mit Schäden an den Gedächtniszentren im Gehirn fällt es schwer, sich neue Erfahrungen vorzustellen. „Wenn Gedächtnis und Vorstellungskraft so ähnlich sind, dann sollten Menschen theoretisch in der Lage sein, aus rein imaginären Ereignissen zu lernen“, sagt Benoit.
Um diese Theorie zu testen, rekrutierten die Forscher 50 Personen für eine Studie mit bildgebenden Verfahren. Im Mittelpunkt der Experimente stand der „Belohnungsvorhersagefehler“, ein Phänomen, das entscheidend dazu beiträgt, dass Menschen Präferenzen entwickeln, Gewohnheiten bilden und lernen.
Das läuft ungefähr so ab: Wir begegnen etwas in der realen Welt, das uns mehr Belohnung verschafft, als wir erwartet hatten. Unser Gehirn schüttet eine Portion des Neurotransmitters Dopamin aus, um zu signalisieren, dass uns diese Begegnung unerwarteterweise gefällt. Je überraschender diese positive Erfahrung ist, desto größer ist dieser „Vorhersagefehler” und desto mehr neuronale Verbindungen baut unser Gehirn auf, um diese Präferenz zu verankern.
Um zu testen, ob eine imaginäre Begegnung denselben Mechanismus im Gehirn in Gang setzen würde, baten die Forschenden die Studienteilnehmer, 30 ihnen bekannte Personen aufzulisten und sie nach ihrer Beliebtheit zu ordnen.
In einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT) wurden den Teilnehmern die Namen derjenigen Personen gezeigt, die sie als neutral eingestuft hatten. Sie wurden angewiesen, sich 8 Sekunden lang entweder eine positive Erfahrung mit dieser Person (z. B. ein Eis mit ihr an einem heißen Tag) oder eine negative Erfahrung (z. B. dass sie sich ihr Fahrrad ausgeliehen und es kaputt zurückgebracht haben) lebhaft vorzustellen. Die Teilnehmer entwickelten eine Vorliebe für die Personen, mit denen sie mehr positive imaginäre Erlebnisse hatten, und gaben in einem anschließenden Test an, dass sie diese Personen mehr mochten.
Bemerkenswert ist, dass sich die Art und Weise, wie sie zu dieser Präferenz gelangten, deutlich in ihren Gehirnscans zeigte: Das ventrale Striatum (die Hauptregion des Gehirns, die für die Vorhersage von Belohnungsfehlern zuständig ist) leuchtete während der Vorstellung stärker auf, wenn die Teilnehmer eine unerwartet positive Erfahrung machten und somit einen stärkeren Vorhersagefehler erlebten. Diese Region arbeitete mit dem dorsomedialen präfrontalen Kortex zusammen, der an der Speicherung von Erinnerungen an einzelne Personen beteiligt ist.
„Dies liefert eine mechanistische Erklärung dafür, wie lebhafte Vorstellungen, wie von einem Gespräch, einer sozialen Begegnung oder einer herausfordernden Situation, unsere Motivation, Vermeidungstendenzen und späteren Entscheidungen beeinflussen können“, sagt Dabas.
Frühere Arbeiten anderer Forschungsgruppen haben ebenfalls gezeigt, dass das mentale Einüben von Bewegungen, wie beispielsweise das Klavierspielen, die Leistung auf der realen Bühne verbessern kann.
Die Forschungsergebnisse sind für zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten bedeutsam, beispielsweise im Bereich der Psychotherapie. Anstatt sich realen Ängsten auszusetzen – wie es bei der gängigen Phobiebehandlung, der Expositionstherapie, praktiziert wird – können Betroffene diese einfach vorstellen und ähnliche Ergebnisse erzielen. Die aktuelle Forschung liefert wichtige Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Mechanismen.
Um Spannungen am Arbeitsplatz abzubauen, könnte man sich eine positive Zeit mit einem Kollegen vorstellen, zu dem man kein so gutes Verhältnis hat. Dies könnte der Beziehung zu einem Neustart verhelfen. Die Vorstellungskraft hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Menschen mit Angstzuständen und Depressionen neigen dazu, sich negative Dinge lebhaft vorzustellen, was die Probleme verschlimmern kann.
„Man kann die Welt schwarz malen, indem man sich das einfach vorstellt“, sagt Benoit. Die neue Studie ergab allerdings nicht, dass die Vorstellung negativer Erfahrungen mit Personen dazu führte, dass die Teilnehmer diese weniger mochten. Die Autoren hoffen, weitere Untersuchungen durchführen zu können, um zu verstehen, warum das so ist.
Die Erkenntnis für den Moment lautet: Stellen Sie sich bessere Beziehungen vor, und vielleicht werden sie im wirklichen Leben auch so.
Aroma Dabas
externe Gastwissenschaftlerin
dabas@cbs.mpg.de
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Prof. Roland Benoit
Professor für Psychologie
rbenoit@cbs.mpg.de
Universität Boulder Colorado
Aroma Dabas, Rasmus Bruckner, Heidrun Schultz, Frederik Bergmann & Roland G. Benoit
“Learning from imagined experiences via an endogenous prediction error”
Nature Communications
https://www.nature.com/articles/s41467-025-66396-2
https://www.cbs.mpg.de/2426042/20251012?c=7505
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch

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