ENCANTO-Studie: Erstes am Uniklinikum Würzburg hergestellte Knorpeltransplantat auf dem Weg zur Implantation
ENCANTO steht für „Engineered Cartilage from Nose for the Treatment of Osteoarthritis” (künstlich hergestellter Knorpel aus der Nase zur Behandlung von degenerativem Gelenkverschleiß).
Würzburg. Auf einer Skala von 1 bis 10 sei die Anspannung heute früh um 9 Uhr auf einer guten 8, meint Sebastian Häusner. Der Leiter der Qualitätskontrolle in der Arbeitsgruppe von Privatdozent Dr. Oliver Pullig am Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilkunde des Universitätsklinikums Würzburg, bringt heute gemeinsam mit dem Würzburger Team den ersten im Rahmen der europäischen klinischen ENCANTO-Studie gezüchteten Knorpel aus der Nase eines Patienten zur Behandlung seiner Kniegelenk-Arthrose auf den Weg. Innerhalb von 24 Stunden wird das Knorpeltransplantat zu einer teilnehmenden Klinik innerhalb Europas in einen Patienten implantiert werden. „Das erhöht den Druck“, so Häusner. „Denn der Patient erwartet natürlich ein sicheres und wirkungsvolles Implantat.“
ENCANTO steht für „Engineered Cartilage from Nose for the Treatment of Osteoarthritis” (künstlich hergestellter Knorpel aus der Nase zur Behandlung von degenerativem Gelenkverschleiß). Insgesamt sollen an elf klinischen Zentren in verschiedenen europäischen Ländern 150 Patientinnen und Patienten rekrutiert werden. Die Würzburger Arbeitsgruppe „GMP-konforme ATMP-Entwicklung“ stellt gemeinsam mit einem Team aus Basel die Implantate her. Dazu werden Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand der Patientinnen und Patienten entnommen, im Labor vermehrt und auf einer strukturgebenden Kollagenmatrix zu neuem Knorpelgewebe (N-TEC) gezüchtet. Dieses wird anschließend in das Kniegelenk eingesetzt, um den Knorpel zu regenerieren. Das Ziel besteht darin, die Schmerzen bei patellafemoraler Arthrose zu lindern, die Gelenkbeweglichkeit zu verbessern und eine gelenkerhaltende Therapie anstelle dauerhafter Gelenkprothesen zu ermöglichen.
GMP-Herstellungseinrichtung am UKW
Gut vier Wochen lang wuchs der Knorpel in den Reinräumen des GMP-Stammzelltransplantationszentrums unter der Leitung von Prof. Matthias Eyrich. GMP steht für „Gute Herstellungspraxis” (englisch: Good Manufacturing Practice) und umfasst Regelwerke und Vorschriften zur Qualitätssicherung der Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten. „Man kann die Knorpelaktivität schon ganz gut in der Petrischale beurteilen, wenn sich das Gewebe zu allen Seiten verzieht. Aber wir brauchen natürlich einen handfesten Beweis“, sagt Sebastian Häusner. Das mikrobiologische Monitoring unter der Leitung von PD Dr. Heike Claus am Institut für Hygiene und Mikrobiologie fiel bereits positiv aus. Das Knorpeltransplantat ist steril und frei von Kontaminationen und kann somit sicher dem Patienten implantiert werden. Doch wie haben sich die Zellen entwickelt?
Begutachtung der Viabilität am Institut für Pathologie
Um dies zu prüfen, holen Sebastian Häusner und die technische Angestellte Eva Baumann neben dem Transplantat auch eine Gewebeprobe im Reinraumlabor ab und bringen diese zum nur wenige Schritte entfernt liegenden Institut für Pathologie der Universität (Leitung: Prof. Andreas Rosenwald). Dort wird die Probe, die den Namen „Paula” trägt, der alle Knorpeltransplantate der ENCANTO-Studie am UKW bezeichnet, in mehrere vier bis acht Mikrometer dünne Scheiben geschnitten. Eine dieser Scheiben wird der Privatdozentin Dr. Dr. Elena Gerhard-Hartmann vorgelegt. Die Pathologin begutachtet die Viabilität. Wie lebendig sind die Zellen? Elena Gerhard-Hartmann gibt grünes Licht. Sebastian Häusners Anspannung sinkt auf der Skala um einen Punkt.
Letzte Qualitätskontrolle am Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und Zahnheilkunde
Doch noch kann das Transplantat nicht freigegeben werden. Weiter geht es mit dem Taxi von Grombühl zum Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und Zahnheilkunde an den Röntgenring. Hier werden die Gewebearchitektur und die Zellmorphologie bewertet. Dazu färbt Eva Baumann spezielle Proteine, die sogenannten Proteoglykane, im Knorpel an. Diese sind ein wichtiger Bestandteil der extrazellulären Matrix und verleihen dem Knorpelgewebe Struktur, Elastizität und Stoßdämpfung. Je intensiver die Probe rot gefärbt ist, desto mehr Proteoglykane sind vorhanden und desto besser ist die Knorpelqualität. Auch die Zellmorphologie wird geprüft.
„Es bleibt spannend bis zur letzten Sekunde“, sagt Sebastian Häusner. Jetzt müssen er und Eva Baumann die Probe nämlich unabhängig voneinander begutachten. Nur ein hoher Modified Bern Score bedeutet, dass der Knorpel die strengen Qualitätsanforderungen von ENCANTO erfüllt. Geschafft! Der Sponsor in Basel sowie der diensthabende Orthopäde im klinischen Zentrum des Patienten können benachrichtigt werden, dass das Transplantat auf den Weg gebracht wird. Der Patient weiß übrigens nicht, ob er in der Interventionsgruppe oder in der Vergleichsgruppe ist und eine Kollagenmatrix ohne Knorpelzellen aus der eigenen Nase erhält.
Knorpelersatz made in Würzburg
Die Anspannung bei Sebastian Häusner weicht einer Erleichterung. Und mit ihm atmet ein ganzes Team auf. „Der Erfolg des N-TEC beruht nicht nur auf der sehr guten internationalen Zusammenarbeit, sondern auch auf der exzellenten lokalen Zusammenarbeit vor Ort“, betont Oliver Pullig, der Leiter der Herstellungseinrichtung. „Von der Befundung des Gewebes durch die Pathologie, dem mikrobiologischen Monitoring durch die Hygiene bis hin zur Arbeit in den Reinräumen des GMP-Stammzelltransplantationszentrums – der hier hergestellte Knorpelersatz ist ein echtes Produkt ‚made in Würzburg‘. Gerade diese enge Vernetzung der klinischen und universitären Zentren bildet das Rückgrat des wissenschaftlichen und klinischen Fortschritts am UKW.“
PD Dr. Dr. Oliver Pullig pullig_o@ukw.de
Die Technische Angestellte Eva-Maria-Kaindl übergibt das Knorpeltransplantat im Reinraum der Kinderk ...
Quelle: Kirstin Linkamp
Copyright: UKW
Die Würzburger Arbeitsgruppe „GMP-konforme ATMP-Entwicklung“ schickt den ersten ENCANTO-Knorpel auf ...
Quelle: Kirstin Linkamp
Copyright: UKW
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch

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