Korallen beziehen Energie auf zwei Wegen: Zum einen durch Photosynthese ihrer symbiotischen Algen, zum anderen, indem sie kleine Nahrungspartikel wie Plankton direkt aus dem Wasser aufnehmen. Diese Form der Ernährung wird in der Fachsprache „Heterotrophie“ genannt. In einer Studie im Fachjournal Communications Biology zeigt ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Bremer Wissenschaftlerin Marleen Stuhr (ZMT), dass der Beitrag der heterotrophen Nahrungsaufnahme zur Energiegewinnung bei Korallen bisher oft deutlich unterschätzt wurde. Der Grund dafür liegt in den gängigen Messmethoden.
Korallenriffe dienen Millionen Menschen als Lebensgrundlage – sei es durch Fischerei, Küstenschutz oder Tourismus. Doch die Klimakrise macht Korallenriffen weltweit zu schaffen. Kürzlich legten wissenschaftliche Berichte wie der Global Tipping Points Report nahe, dass diese wichtigen Ökosysteme bald einen Kipppunkt erreicht haben.
Wie Korallen sich resilienter gegen steigende Temperaturen und Versauerung in den Ozeanen entwickeln können, ist ein Thema der aktuellen Forschung. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie Korallen sich ernähren, welche Rolle die direkte Aufnahme von organischer Nahrung aus der Meeresumwelt (Heterotrophie) spielt und was die Algensymbionten der Koralle leisten.
Bislang wurde der heterotrophe Anteil an der Ernährung von Korallen vor allem über Kohlenstoffisotope im Gewebe der Korallen gemessen. Doch Forschende der University of Rhode Island und des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen konnten jetzt nachweisen, dass diese Methode allein kein vollständiges Bild der Nahrungsaufnahme liefert.
Denn der aufgenommene Kohlenstoff aus der heterotrophen Nahrung wird von der Koralle häufig nicht im Gewebe gespeichert, sondern wieder ausgeschieden oder schnell veratmet. Viel besser lassen sich hingegen Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäuren als Marker nutzen. Diese Stoffe gelangen direkt in das Gewebe der Koralle und bleiben dort auch länger nachweisbar.
In ihren Experimenten, die Ende 2019 am Interuniversity Institute for Marine Sciences (IUI) in Eilat, Israel, durchgeführt wurden, arbeitete das Team mit der riffbildenden Steinkoralle Stylophora pistillata, einer häufig untersuchten Art, die in tropischen Riffen weit verbreitet ist.
Im Rahmen einer 22-tägigen Versuchsreihe wurde die Ernährungsweise dieser Art systematisch untersucht. Die Korallen wurden dabei unterschiedlichen Fütterungsszenarien ausgesetzt: Einige Kolonien wurden nicht gefüttert, andere zweimal pro Woche, andere sechsmal pro Woche und eine weitere Gruppe wurde zuvor gebleicht und anschließend intensiv gefüttert. Als Nahrung dienten frisch gezüchtete Larven von Salinenkrebsen (Zooplankton).
„Parallel dazu haben wir physiologische Parameter wie Photosyntheseleistung, Dichte der Algensymbionten, Chlorophyllgehalt, Wachstum und Proteinreserven gemessen, um die Auswirkungen der Fütterung sichtbar zu machen“, erklärt Marleen Stuhr vom ZMT.
+++Marker decken Nährstoffpfade auf+++
Methodisch wandten die Forschenden drei Messansätze an: Sie untersuchten die stabilen Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff, führten eine Analyse von Fettsäureprofilen durch, und maßen unmittelbar, wie viel Futter die Korallen gefressen hatten.
„Durch diese Kombination konnten wir testen, welche Marker sich am besten eignen, um den Beitrag der heterotrophen Ernährung zu erfassen“, berichtet Erstautor Connor Love von der Universität Rhode Island in den USA.
Die Versuche ergaben, dass die Steinkoralle Stylophora pistillata ihre Nährstoffe aus dem Futter nicht gleichmäßig aufnimmt, sondern sehr selektiv. Stickstoff wird in wesentlich größerem Maße in das Gewebe eingebaut als Kohlenstoff. Kohlenstoff hingegen wird von der Koralle oft veratmet oder als Mukus wieder abgegeben.
„Somit unterschätzen viele herkömmliche Methoden, die sich auf die Analyse von Kohlenstoffisotope stützen, den tatsächlichen Anteil heterotropher Ernährung erheblich“, sagt Marleen Stuhr. „Gleichzeitig konnten wir verdeutlichen, dass Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäure-Biomarker sehr verlässliche Indikatoren für Nahrungsaufnahme sind – und zwar sowohl in der Koralle als auch in den Symbionten.“
Damit werde klar, dass bisherige Standardmethoden nicht immer aussagekräftig seien und eine Kombination mehrerer Marker ein realistischeres Bild der Nahrungsaufnahme liefere.
„Wenn nur ein Teil der aufgenommenen Nährstoffe im Gewebe messbar ist, fällt ein wesentlicher Beitrag der Ernährung unter den Tisch“, erklärt Connor Love. „Indem wir robustere Marker wie Stickstoffisotope und Fettsäureprofile einsetzen, können wir künftig wesentlich genauer nachvollziehen, wie Korallen ihr Energiemanagement zwischen autotropher Photosynthese und heterotropher Nahrungsaufnahme ausbalancieren.“
Mit den getesteten Biomarkern lässt sich in experimentellen Studien, beim Monitoring oder der Riffrestauration besser beurteilen, ob und wie viele Nährstoffe die Korallen zusätzlich zur Photosynthese aufnehmen, um beispielsweise Stress zu kompensieren, so das Forschungsteam. Zudem ergaben die Versuche, dass das Füttern der Korallen für die direkte Nahrungsaufnahme zwar einige Parameter verbessern, die Folgen der Korallenbleiche aber nicht vollständig kompensieren konnte.
+++Was die Ergebnisse für den Schutz von Korallenriffen bedeuten+++
Die Studie zeigt, dass die bisher üblichen Methoden den Beitrag der heterotrophen Ernährung von Korallen deutlich unterschätzen. Damit besteht die Gefahr, dass die Widerstandsfähigkeit von Riffen in Ökosystemmodellen oder bei Restaurationsprojekten falsch eingeschätzt wird.
Die neuen Erkenntnisse sind wichtig, um zu verstehen, wie Korallen auf Umweltstress reagieren und in nährstoffarmen Meeresregionen überleben können. Bei steigenden Meerestemperaturen oder nach Korallenbleichen kann die Fähigkeit zur zusätzlichen Nahrungsaufnahme entscheidend sein. Durch ein besseres Verständnis ihrer Ernährungsstrategien lassen sich Vorhersagen über das Überleben von Korallen in der Klimakrise verbessern.
„Riffe sind hochkomplexe und produktive Ökosysteme, deren Stabilität maßgeblich von der Ernährung der einzelnen Korallen abhängt. Wenn Korallen in der Lage sind, durch verstärkte Heterotrophie Energie- und Nährstoffverluste zu kompensieren, können sie Stresssituationen, wie den Verlust ihrer Symbionten (Korallenbleiche) durch Hitzewellen, unter Umständen besser überstehen“, erläutert Marleen Stuhr. „Genauere Bewertungen der Riff-Resilienz stützen Entscheidungen in Küstenschutz, Fischerei und Tourismus.“
Connor Love ergänzt: „Für den Schutz der Riffe bedeutet unsere Studie zweierlei: Erstens sind Korallen wahrscheinlich stärker auf heterotrophe Ernährung angewiesen als bisher angenommen, was das Überleben der Riffe mit der Dynamik des Planktons im Ozean in Verbindung bringt. Zweitens haben wir eine zuverlässige Reihe von Biomarkern gefunden, die als wertvolles Instrument zur Bewertung des Ernährungszustands, der Widerstandsfähigkeit von Korallen und beim Monitoring von Riffen dienen können.“
Dr. Marleen Stuhr | AG Geoökologie und Karbonatsedimentologie
E-Mail: marleen.stuhr@leibniz-zmt.de
Dr. Connor Love | Biological Oceanography | University of Rhode Island
E-Mail: connor.love@uri.edu
Love, C.R., Stuhr, M., Fox, M.D. et al. Selective nutrient incorporation may underestimate heterotrophy of a mixotrophic reef-building coral. Communications Biology 8, 1285 (2025). DOI: 10.1038/s42003-025-08621-8, https://doi.org/10.1038/s42003-025-08621-8
Heterotrophe Ernährung im Experiment: Eine gebleichte Steinkoralle der Art Stylophora pistillata nim ...
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Die riffbildende Steinkoralle Stylophora pistillata in einem Riff im Golf von Akaba im nördlichen Ro ...
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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