• Bei Verletzungen im Gehirn von Labor-Mäusen werden Vorläuferzellen von Oligodendrozyten (OPCs) aktiviert, die für die Bildung der Myelinscheide verantwortlich sind.
• Aktivierte OPCs produzieren das Stresshormon Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH), das eine entscheidende Rolle im Prozess der Wundheilung spielt.
• Der CRH-Rezeptor 1 beeinflusst die Myelinisierung des Gehirns, was langfristige Auswirkungen auf die Gehirnstruktur hat.
• Stress in der frühen Entwicklung könnte das CRH-System in OPCs aktivieren und somit eine Rolle bei psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen spielen.
Kommt es zu einer Verletzung im Gehirn von Labor-Mäusen, z.B. durch eine Injektion, so hat Forschungsgruppenleiter Jan Deussing beobachtet, dass im direkten Umfeld stets ein bestimmter Zelltyp auftaucht, der aktiviert wird. Doch was für Zellen das sind, das konnte der erfahrene Neurobiologe sich nicht erklären. Ein gutes Projekt für einen Masterstudenten, hier einmal genauer hinzuschauen. So kam Clemens Ries ins Spiel, der kurz vor Ende seines Biologie-Studiums für ein Praktikum ans Max-Planck-Institut für Psychiatrie gekommen war.
Ries begann, im Mausmodell systematisch alle bekannten Zelltypen zu testen. Der einzige Marker schlug bei Vorläuferzellen von Oligodendrozyten (oligodendrocyte progenitor cells - OPCs) an. Aus OPCs entwickeln sich Oligodendrozyten, deren Aufgabe es ist, die sogenannte Myelinscheide um die Axone auszubilden. Axone sind Fortsätze, die alle Nervenzellen besitzen und über die sie miteinander kommunizieren. Das Myelin, das die Axone ummantelt, ist vergleichbar mit der Isolationsschicht eines elektrischen Kabels und dient neben der Informationsweiterleitung gleichzeitig auch der Versorgung mit Nährstoffen, ist also enorm wichtig. Bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose (MS) löst sich diese Schutzschicht auf. Und auch bei Verletzungen geht die Myelinschicht kaputt, sodass im Extremfall ganze Neurone absterben. Daher ist es wichtig, dass die Myelinschicht an dieser Stelle wieder aufgebaut wird.
Zellen identifiziert sowie neuer Mechanismus entdeckt
Ries schrieb zunächst seine Masterarbeit über erste Untersuchungen an diesen Zellen. „Das Thema blieb so spannend, dass daraus meine Doktorarbeit wurde“, erzählt der Biologe. Darin konnte er nachweisen, dass sich die Vorläuferzellen an Wundrändern massiv vermehren, zum überwiegenden Teil weiter reifen und sich zu Myelin bildenden Oligodendrozyten entwickeln. Ries und sein Betreuer Deussing entdeckten noch mehr vollkommen Neues: Im Umfeld von Wunden aktivieren ungefähr ein Drittel aller OPCs das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH), das entscheidend für die Stress-Regulation des Körpers ist. Dass OPCs Neuropeptide wie das CRH bilden können, war bis dahin unbekannt. Publiziert wurde es nun in der renommierten Fachzeitschrift „Cell Reports“.
Die CRH-Produktion erfolgt sehr schnell und lässt sich innerhalb weniger Stunden als unmittelbare Reaktion auf die Verletzung nachweisen, wird aber nach circa drei Tagen wieder eingestellt. Diese akute Reaktion deutet auf eine wichtige Funktion bei frühen Prozessen der Wundheilung hin.
Eine wichtige Rolle bei diesem Vorgang scheint auch einer der zwei bekannten CRH-Rezeptoren zu spielen, über den das freigesetzte CRH seine Wirkung entfaltet und der auf einer anderen Population von OPCs anzutreffen ist. Ohne den CRHR1 vermehren sich die OPCs infolge einer Verletzung zwar rascher, aber es entstehen daraus letztendlich weniger reife Oligodendrozyten. Offensichtlich spielt das CRH eine entscheidende Rolle für das richtige Timing der Reifung der OPCs, um eine Wiederherstellung der Myelinscheide zu gewährleisten.
Was passiert nach der Geburt?
OPCs spielen auch für die Myelinisierung während der Reifung des Gehirns eine wichtige Rolle. Diese erfolgt hauptsächlich nach der Geburt und wird im jungen Erwachsenenalter abgeschlossen. Da der CRH-Rezeptor 1 auch unabhängig von einer Verletzung auf OPCs vorhanden ist, haben sich die beiden Wissenschaftler gefragt, ob der Rezeptor auch bei der Myelinisierung während der Reifung des Gehirns eine Rolle spielt. Sie zogen weitere KollegInnen hinzu und schauten sich den Prozess der Myelinisierung in weiteren Mausmodellen und mit verschiedenen Methoden genau an. Hier konnten sie beobachten, dass ohne CRH-Rezeptor 1 in frühen Entwicklungsstadien mehr OPCs gebildet werden, was langfristige Auswirkungen auf die Struktur des Gehirns hat. Im erwachsenen Gehirn konnten die Experten Veränderungen in der Myelinisierung nachweisen, die auf eine Verdickung der Myelinscheide insbesondere von dünnen Axonen zurückzuführen ist.
Der CRHR-Rezeptor 1 auf OPCs spielt also auch bei der Myelinisierung während der Entwicklung des Gehirns eine entscheidende Rolle. Bei einer Verletzung reagieren OPCs mit der Produktion und Freisetzung von CRH. Doch wo kommt das Stresshormon CRH während der Reifung des Gehirns her? Die These der Wissenschaftler: Während der Entwicklung wird CRH von Neuronen freigesetzt und moduliert die Vermehrung von OPCs sowie deren Reifung zu Myelin-produzierenden Oligodendrozyten.
Bedeutung für psychiatrische Erkrankungen
Es ist bekannt, dass CRH vor allem unter Stressbedingungen von Neuronen ausgeschüttet wird. Stress während der frühkindlichen Entwicklung ist einer der Risikofaktoren für psychiatrische Erkrankungen. „Unsere aktuellen Ergebnisse lassen vermuten, dass bei Stress-assoziierten psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen das CRH-System in OPCs eine größere Rolle spielen dürfte als bisher bekannt war“, mutmaßt Deussing. Das könnte langfristig zu vollständig neuen therapeutischen Ansatzpunkten führen.
Dr. Jan Deussing
deussing@psych.mpg.de
Cell Reports, 2025
https://doi.org/10.1016/j.celrep.2025.116474
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch

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