Neues Buch des Mainzer Theologen Jochen Schmidt beleuchtet die Aktualität einer zweischneidige
Demut klingt für viele nach einer Tugend aus längst vergangenen Zeiten. "Doch gerade heute, angesichts Klimakrise und digitaler Kommunikation, gewinnt sie wieder an Bedeutung", erklärt Jochen Schmidt, Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Dogmatik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). In seinem neuen Buch "Demut. Konstellationen einer prekären Tugend" zeigt er, dass Demut nicht bloße Bescheidenheit bedeutet, sondern eine vielschichtige Haltung meint, die immer wieder in ihr Gegenteil, den Hochmut, umzuschlagen droht.
Prof. Dr. Jochen Schmidts Forschungsschwerpunkte liegen in der theologischen Anthropologie und Hermeneutik. In seinem neuen Buch zeichnet er nach, wie Theologinnen und Theologen sowie Philosophinnen und Philosophen seit jeher mit der Ambivalenz von Demut gerungen haben – vom Kirchenvater Augustinus von Hippo und Martin Luther über Immanuel Kant bis hin zu Dietrich Bonhoeffer, Paul Tillich und Robin Dillon. Mal galt Demut als notwendiger Gegenpol zum Stolz, mal wurde sie als Quelle von Unterwürfigkeit oder Heuchelei kritisiert.
Schwer fassbar und doch aktuell
In seinem 200 Seiten umfassenden Buch erläutert Schmidt etwa Bonhoeffers Verständnis von Demut: nicht als Unterwürfigkeit, sondern als innere Freiheit, sich nicht selbst absolut zu setzen und gerade in der Bindung an Gott den Mut zur Freiheit zu gewinnen. Auch auf Denkerinnen und Denker aus der neueren Zeit und Gegenwart geht er ein: Iris Murdoch und Martha Nussbaum etwa haben Demut reflektiert – stets im Bewusstsein, dass sie ein zweischneidiges Phänomen ist, indem sie Orientierung stiftend und hilfreich, zugleich aber riskant und missbrauchsanfällig ist.
"Demut ist eine fragile Tugend", betont Prof. Dr. Jochen Schmidt, der sich in früheren Publikationen unter anderem mit Glaube und Existenz, Theologie und Sprache sowie mit Akten der Klage angesichts existentiellen Leidens befasst hat. "Sie hilft, mit Grenzen und Krisen umzugehen, droht aber ständig ins Gegenteil zu kippen: in falsche Unterwürfigkeit, in Stolz auf die eigene Demut oder in moralischen Druck auf andere." Diese prekäre Struktur mache Demut so schwer fassbar – und zugleich so aktuell.
Heuchelei und "Humblebragging"
Wie brisant dieses Spannungsfeld ist, zeigt sich für Schmidt gerade in aktuellen Debatten. In politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen laufe Demut Gefahr, als moralischer Zeigefinger missverstanden und daher abgelehnt zu werden. Gleichzeitig könne sie helfen, den eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen. "Auch in ökologischen Diskussionen um die Klimakrise wird Demut häufig ins Spiel gebracht – als Haltung, die uns die Grenzen unseres Handelns bewusst macht."
Allzu oft verenge sich dieser Appell jedoch auf individuelles Verhalten und verfehle damit die strukturelle Dimension ökologischer Verantwortung seitens Politik und Wirtschaft. Misslingende Formen von Demut würden zudem in den sozialen Medien sichtbar – etwa, wenn vorgeschobene Bescheidenheit in Heuchelei kippe und letztlich der Selbstinszenierung diene, im Sinne von "Humblebragging".
Spannung zwischen Selbstverzicht und Selbstbehauptung
Schmidt schlägt in seinem Buch eine neue Theorie der Demut vor. Aufbauend auf Kant beschreibt er sie als Haltung, die sich zwischen zwei Polen bewegt: einem Nein – der Fähigkeit, loszulassen, sich zurückzunehmen, Abschied zuzulassen – und einem Ja – der Selbstannahme, der Wahrung menschlicher Würde und Eigenständigkeit. Erst im Zusammenspiel dieser beiden Bewegungen entfalte Demut ihre orientierende Kraft.
"Demut ist keine schwache Geste des Rückzugs", so Schmidt. "Sie kann vielmehr eine Form der Stärke sein, weil sie den Mut zum Abschied mit der Kraft zur Selbstannahme vereint." Damit sei sie keine altmodische Haltung, sondern eine Tugend, die gerade in Zeiten von Umbrüchen Orientierung geben könne – nicht durch einfache Antworten, sondern durch die Spannung zwischen Selbstverzicht und Selbstbehauptung.
Jochen Schmidt ist seit 2023 Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Dogmatik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor wirkte er viele Jahre als Professor für Systematische Theologie an der Universität Paderborn. Er studierte evangelische Theologie in Oxford und Bonn, wo er auch promovierte und sich habilitierte. Zudem forschte er unter anderem an der University of Glasgow sowie der Yale University.
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Prof. Dr. Jochen Schmidt, Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Dogmatik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Jochen Schmidts neues Buch über Demut ist im Verlag Karl Alber erschienen.
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Prof. Dr. Jochen Schmidt
Evangelisch-Theologische Fakultät
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel. 06131 39-26338
E-Mail: jochen.schmidt@uni-mainz.de
https://www.ev.theologie.uni-mainz.de/systematische-theologie-und-sozialethik/sy...
Jochen Schmidt, Demut. Konstellationen einer prekären Tugend, Verlag Karl Alber, Baden-Baden, 2025
ISBN 978-3-495-99143-5
Open Access: https://www.nomos-shop.de/de/p/demut-978-3-495-99143-5
Prof. Dr. Jochen Schmidt, Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Dogmatik an der Evan ...
Quelle: Anda-Lisa Harmening
Copyright: Jochen Schmidt
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Prof. Dr. Jochen Schmidt, Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Dogmatik an der Evan ...
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Copyright: Jochen Schmidt
Jochen Schmidts neues Buch über Demut ist im Verlag Karl Alber erschienen.
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