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29.09.2004 09:04

US-Präsidentschaftswahlen: Bushnomics gegen Kerrynomics

Ingrid Godenrath Stabsstelle Zentrale Kommunikation
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Wahlkampf in den USA

    "Die Lage der Binnenwirtschaft spielt im amerikanischen Wahlkampf stets eine Schlüsselrolle, weil sie die Kalküle des Wählers entscheidend mitbestimmt," lautet die Aussage von Professor Dr. Reinhard Rode, Institut für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der sich intensiv mit dem Wahlkampf in den USA beschäftigt. Bill Clinton hatte das in seinem ersten Wahlkampf gegen Bush Senior auf die eingängige Kurzformel gebracht: "It's the economy, stupid." Die Wahlniederlage gegen Clinton, trotz des augenfälligen politischen Sieges im Ost-West-Konflikt, hatte die Familie Bush tief getroffen. George W. Bush und sein Team bemühen sich 2004 darum, eine Wiederholung zu vermeiden. Deshalb wurde Clintons Wirtschaftsstrategie gründlich auf Übernahmetaugliches hin analysiert und es wurden Anleihen gemacht.

    "Ein Problem im Wahlkampf ist", erklärt Professor Rode, "dass die Bushnomics von Widersprüchen nur so strotzen." Vier Jahre lang stand das konservative Credo der Steuersenkungen im Zentrum der erklärten Programmatik. Die standardisierte konservative Rhetorik lautete: Regierungseingriffe waren und sind das Problem. Tatsächlich haben die Steuersenkungen den Tax Code aber verkompliziert und um 10 000 Seiten anwachsen lassen. Schlecht steht es auch um das Ziel eines niedrigeren Staatsdefizits. Die höheren Militärausgaben deuten auf einen nur geringen Defizitabbau, wenn nicht sogar auf ein Wachstum des Defizits im Bundesetat hin. "Diese Mixtur", so der Politologe, "erinnert an den faktischen Militärkeynesianismus (Konjunkturanschub durch Rüstungsausgaben) der Reaganomics. Steuersenkungen, Defizitabbau und höhere Verteidigungsausgaben bilden unweigerlich die Quadratur des Kreises."
    Auf der Wahlkonvention in New York waren dann plötzlich neue Töne zu hören. Jetzt wurde das Konzept einer angemessenen Rolle für die Regierung in einer modernen Wirtschaft verkündet. Der Tenor klang mehr nach Bill Clinton als nach Ronald Reagan. Mindestens die Hälfte der neuen Vision hörte sich sehr clintonomic an. "Ob das nur Wahlkampftöne sind oder wirklich ein neuer wirtschaftspolitischer Kurs beabsichtigt ist", so Reinhard Rode, "darüber streiten die Experten zu Recht." Wie Bushs "ownership society" aussehen soll, was konkret mit einem Slogan "government should help people improve their lives, not to try to run their lives" gemeint ist, bleibt im Wahlkampfnebel. Viel davon lässt sich wohl mit dem Ziel des Stimmenfangs erklären. Würde es umgesetzt, dann wären Konflikte innerhalb des republikanischen Lagers unausweichlich. Nimmt man die Standarderwartungen der Analysten zum Maßstab, dann dürfte eine Wiederwahl Bushs vor allem die Finanzwerte und die Branchen Pharma, Rüstung, Energie und Tabak begünstigen. Diese Liste ist seit der letzten Wahl im Wettbewerb mit Al Gore stabil geblieben.

    Ein Konjunkturglückspilz, den die Wirtschaftslage ohne viel Zutun verwöhnt hat, wie Bill Clinton, war George W. Bush bisher nicht. Er erbte von Clinton die Baisse nach dem Platzen der Spekulationsblase der New Economy, musste die neuen Kosten des Kampfes gegen den Terrorismus schultern und bewies mit dem Irak-Krieg und seinen Lasten kein glückliches Händchen. Der Dow Jones Index dümpelt in seinem vierten Amtsjahr dahin, die Wachstumsraten von Clintons erster Amtsperiode waren ferne Höhenflüge. Die Mehrheit der Amerikaner verzieh Clinton fast alles, weil sie "den Dow Jones mehr lieben als Paula Jones" (eine der Affären Clintons).
    Mit der Wirtschaft kann Bush also nicht im Wahlkampf glänzen, er muss auf die patriotische Karte setzen.

    Sollte Kerry gewinnen, dann wird mit Kursgewinnen bei Windenergie und Biotechnologiewerten gerechnet. Da Kerry vermutlich beim nationalen Raketenabwehrschild kürzen würde, würde das wohl auch auf Abstriche bei den Rüstungsunternehmen Lockheed Martin, Northrop Grumman und Boeing hinauslaufen. "Die Bedeutung der Außenwirtschaft liegt im Präsidentschaftswahlkampf gewöhnlich weit hinter der Binnenwirtschaft zurück", weiß Professor Rode. "Üblich sind einige moderate protektionistische Entscheidungen im Vorfeld, mit denen die schutzsuchende Klientel still gestellt wird." Diese bewährte Schiene bediente auch Georg W. Bush. Er hatte der amerikanischen Tradition gemäß, der Stahl- und Textilindustrie Schutz gewährt, um eine Mehrheit im Kongress für ein Schnellspurmandat für die Welthandelsrunde (Doha-Runde) zu bekommen. Beide Seiten verwenden im Wahlkampf gewöhnlich auch eine ordentliche Dosis protektionistischer Rhetorik: der Amtsinhaber weniger, der Herausforderer mehr. Kerry hat die protektionistische Karte mit recht viel Getöse gezogen. Der stark defizitäre Chinahandel ist diesmal Stein des Anstoßes. China hat somit Japan als Sündenbock abgelöst. Kerry versucht damit sowohl die altprotektionistischen Gewerkschaften als auch die neuprotektionistischen Globalisierungsskeptiker und Gegner einzubinden. Nach einem Wahlsieg würde davon wenig übrig bleiben. Die eher schwachen Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten, das zunehmende Defizit und die Kriegskosten nützen Kerry bei seiner Kritik der Bushnomics. Einen betont linksdemokratischen Wahlkampf kann und will er aber nicht führen, weil das die erhofften Wechselwähler aus der Mitte eher abschrecken würde. Abschließend schätzt der Wissenschaftler ein, dass es Kerry bislang nicht gelungen sei, ein rein deutliches Profil für eine Kerrynomics zu entwickeln, das sich an die Erfolgsphase der Ära Clinton anschließen könne.

    Nähere Informationen:
    Prof. Dr. Reinhard Rode
    Tel.: 0345 55-24220
    E-Mail: rode@politik.uni-halle.de
    Homepage:http://www.politik.uni-halle.de/rode/


    Weitere Informationen:

    http://www.politik.uni-halle.de/rode/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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