Spitzenkönner treiben Innovationen voran und helfen, die drängendsten Probleme der Menschheit zu lösen. Gesellschaften haben ein vitales Interesse daran, diese sogenannten Top-Performer in verschiedenen Feldern auszubilden. Doch in puncto Nachwuchsförderung scheint es Optimierungsbedarf zu geben: Ein aktuelles Review – unter Federführung der RPTU – das in der Fachzeitschrift Science erschienen ist, legt nahe, dass Programme zur Begabtenförderung bislang von falschen Prämissen ausgehen: Ein internationales, interdisziplinäres Forschungsteam hat erstmals die Entwicklung von Weltklasse-Könnern in der Wissenschaft, in der klassischen Musik, im Schach und im Sport zusammengeführt.
Die traditionelle Begabungs- und Expertise-Forschung geht davon aus, dass die wesentlichen Faktoren zur Entwicklung von Höchstleistungen in frühen Begabungen – erkennbar an frühen Leistungen und Fähigkeiten (z. B. sehr gute Schulnoten, Intelligenz, besondere Kreativität oder Musikalität im Kindesalter) – und einem langjährigen, intensiven Training in einer Disziplin begründet sind. Entsprechend sind Programme zur Begabtenförderung bestrebt, die Besten in jungen Jahren auszuwählen und ihre Entwicklung durch intensives disziplin-spezifisches Training weiter zu beschleunigen. Allerdings ist genau das offenbar nicht der ideale Weg der Nachwuchsförderung, wie aktuell ein Team um Arne Güllich, Professor für Sportwissenschaft an der RPTU, herausgefunden hat.
„Die Begabungs- und Expertise-Forschung hat sich bislang nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, wie sich Menschen entwickelt haben, die tatsächlich – später im Höchstleistungsalter – die Weltspitze in ihrer jeweiligen Disziplin darstellen“, fasst Arne Güllich zusammen. Seine Forschungsintention im aktuellen Review ist es daher, die Entwicklung eben dieser Top-Performer zu untersuchen. Dafür hat sich ein internationales, interdisziplinäres Forschungsteam um Arne Güllich zusammengetan: Dazu zählen Brooke N. Macnamara, Professorin für Psychologie an der Purdue University, D. Zach Hambrick, Professor für Psychologie an der Michigan State University, und Michael Barth, Assistenz-Professor für Sportökonomie und Sportepidemiologie an der Universität Innsbruck. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen zusammengeführt
Für das Review hat das Forschungsteam umfangreiche Daten aus vielen Originalstudien neu analysiert. Untersucht wurde die Entwicklung von insgesamt 34.839 internationalen Höchstleistenden. Dazu zählen Nobelpreis-Gewinner und -Gewinnerinnen in den Wissenschaften, Medaillengewinner und -gewinnerinnen bei Olympischen Spielen, die weltweit besten Schachspieler und die angesehensten klassischen Komponisten und Komponistinnen. Auf diese Weise wurde erstmals die Entwicklung der Weltklasse in verschiedenen Disziplinen zusammengeführt.
Die Besten in jungen Jahren sind später nicht die Besten
Eine zentrale Erkenntnis: Top-Performer durchlaufen eine andere Entwicklung, als es die Forschung bislang annahm. „Und über die verschiedenen Disziplinen hinweg zeigt sich ein gemeinsames Muster“, betont Arne Güllich, der vor allem drei entscheidende Erkenntnisse ausmacht. Erkenntnis eins: Die Besten in jungem Alter und die späteren Besten im Höchstleistungsalter sind nicht dieselben Personen, sondern überwiegend verschiedene Menschen. Zweitens: Diejenigen, die die Weltklasse erreichen, zeigten in ihren frühen Jahren eine eher allmähliche Leistungsentwicklung und gehörten noch nicht zu den Besten ihres Alters. Und die dritte Erkenntnis: Spätere Höchstleistende haben sich nicht früh auf eine Disziplin spezialisiert, sondern haben sich zunächst in verschiedenen Disziplinen engagiert (z. B. verschiedene Studienfächer, Genres in der Musik, Sportarten, Arbeit in verschiedenen Berufen).
Mehr Kompetenzen – weniger Risiko
Wie lassen sich die Ergebnisse erklären, die deutlich von dem abweichen, was bislang die gängige Meinung ist? „Wir stellen drei Hypothesen zur Diskussion“, sagt Güllich: Die Search-and-Match Hypothesis, die Enhanced-Learning-Capital Hypothesis und die Limited-Risks Hypothesis. Zusammenfassend besagen diese Hypothesen, dass man durch die Erfahrungen in verschiedenen Disziplinen bessere Chancen hat, im Laufe der Jahre eine optimale Disziplin für sich zu finden. Gleichzeitig werden durch die unterschiedlichen Lernerfahrungen in verschiedenen Disziplinen Lernkompetenzen ausgebaut, die das spätere fortlaufende Lernen auf höchstem Niveau in einer Disziplin verbessern. Und – so die Limited-Risks Hypothesis – das multidisziplinäre Engagement dämpft die Risiken entwicklungshindernder Faktoren – etwa ein Motivationstief, Burn-out oder in motorischen Disziplinen (Sport, Musik) Verletzungen. Arne Güllich: „Wer eine optimale Disziplin für sich findet, die besten Lernkompetenzen entwickelt und verminderte Risiken von entwicklungshindernden Faktoren hat, zeigt verbesserte Chancen, Weltklasse-Leistungen zu entwickeln.“
Nicht nur in einer Disziplin fördern
Mit Blick auf die aktuellen Erkenntnisse – was kann Arne Güllich bereits heute empfehlen? Wie sollte eine Gesellschaft junge, begabte Menschen fördern – um zukünftige Top-Performer hervorbringen? „Nicht zu früh auf eine Disziplin spezialisieren. Junge Menschen ermuntern, verschiedenen Interessensgebieten nachzugehen. Und sie durchaus in zwei bis drei Disziplinen fördern.“ Das könnten Disziplinen sein, die nicht unmittelbar etwas miteinander zu tun haben: Sprache und Mathematik beispielsweise oder Geografie und Philosophie. Oder man denke nur an Albert Einstein und seine Geige – einer der bedeutendsten Physiker, der sich leidenschaftlich von Kindesbeinen an auch der Musik zuwendete.
Angesichts der neuen Erkenntnisse seien Politik und Programm-Manager gefragt, ein verändertes, evidenz-basiertes Handeln zu fördern, resümiert Arne Güllich: „So kann die Entwicklung von mehr Weltklasse-Leistungen gefördert werden – in der Wissenschaft, im Sport, in der Musik und in anderen Feldern.“
Prof. Dr. Arne Güllich
Fachgebiet Sportwissenschaft
RPTU Kaiserslautern-Landau
E-Mail: guellich[@]rptu.de
Recent discoveries on the acquisition of the highest levels of human performance doi/10.1126/science.adt7790; Arne Güllich, Michael Barth, David Z. Hambrick & Brooke N. Macnamara
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie, Sportwissenschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch

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