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29.09.2004 09:54

Jeder Dritte mit chronischem Schmerz

S. Nicole Bongard Kommunikation und Medien
Klinikum der Universität München

    Thema 'Schmerz' beim 6. Süddeutschen Pflegetag und weltweiten Schmerztag - Die europäische Schmerzstudie (Oktober 2003) hat gezeigt, dass jeder dritte deutsche Erwachsene chronische Schmerzen hat: 17 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung sind davon betroffen. Deutschland liegt damit im europäischen Mittelfeld (die wenigsten Schmerzkranken leben mit 11 Prozent in Spanien, die meisten mit 27 Prozent in Polen). Frauen sind häufiger von chronischem Schmerz betroffen als Männer. Die meisten Schmerzpatienten sind zwischen 40 und 70 Jahre alt.

    Rückenschmerz und Kopfschmerz führen die Liste der häufigsten Schmerzerkrankungen an, gefolgt von Nervenschmerz und Tumorschmerz. Während der akute Schmerz, der bei einer Verletzung des Gewebes auftritt, eine Warn- und Schutzfunktion für den Körper hat, ist der chronische Schmerz physiologisch sinnlos: Schmerzen, die über sechs Monate anhalten, sind eine Krankheit für sich. Chronische Schmerzen kosten in Deutschland rund 25 Milliarden Euro pro Jahr - größtenteils verursacht durch Arbeitsunfähigkeit und Verrentungen.
    Im Krankenhaus beschreibt unabhängig von der Schmerzform fast jeder zweite Patient starke bis stärkste Schmerzen.
    Grund genug, den Schmerz thematisch in den Mittelpunkt des 6. Süddeutschen Pflegetages zu stellen. Die Veranstaltung findet am 30. September im Klinikum der Universität am Standort Großhadern statt (Leitung Pflegedirektor Peter Jacobs - weitere Infos unter http://pflege.klinikum-grosshadern.de/veranstalt.html.). Referenten wie Dr. Marianne Koch, Dr. Antje Beyer oder Professor Jürgen Osterbrink beleuchten dabei die Schmerzproblematik in der Klinik von allen Seiten.

    Schon jetzt ist klar, dass vielen Patienten Schmerzen erspart bleiben könnten, wenn die Erkenntnisse der modernen Schmerztherapie konsequent umgesetzt würden. Mangelndes Wissen und falsche Überzeugungen seitens der Pflegenden, Ärzte und Patienten behindern den adäquaten Umgang mit Schmerz. Ein weiterer Grund für ein inadäquates Schmerzmanagement ist, dass eine systematische Einschätzung der Schmerzintensität mittels Schmerzskalen zur genauen Bedarfsermittlung und Erfolgskontrolle selten praktiziert wird.

    Mit Schmerz beschäftigen sich aber nicht nur Pflegekräfte, sondern auch der "Global Day of Pain" (Welt-Schmerztag) am 11.10.2004. In Deutschland will dabei die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes die Menschen für das Thema sensibilisieren.

    VIELFÄLTIGE URSACHEN
    Für Schmerz gibt es viele Ursachen: Nach ihrer Einschätzung der Gründe für die Schmerzkrankheit befragt, geben 26 Prozent der Patienten eine Krankheit an, 19 Prozent seelische Belastungen. Weitere Ursachen sind Unfälle (12 Prozent), der Beruf (11 Prozent), Operationen (8 Prozent), Verschleiß (7 Prozent) und Kriegsverletzungen (2 Prozent). Chronische Schmerzen wirken sich auf das gesamte Leben des Patienten aus: Fast drei Viertel (73 Prozent) der Betroffenen klagen über Bewegungseinschränkungen, zwei Drittel (65 Prozent) können nicht mehr außer Haus arbeiten, 19 Prozent müssen ihren Arbeitsplatz wechseln. 64 Prozent haben Schlafstörungen. Ein Viertel der Patienten kann seine Freundschaften nicht mehr pflegen und gerät in soziale Isolierung, 52 Prozent sehen ihre sexuellen Beziehungen eingeschränkt. 20 Prozent der Schmerzpatienten entwickeln Depressionen. Die Suizidgefahr ist bei Schmerzpatienten erhöht.
    Die Behandlung chronischer Schmerzpatienten ist in Deutschland in vielerlei Hinsicht unzureichend. So werden Patienten, die mit Rückenschmerzen in eine Schmerzklinik eingewiesen werden, vorher von durchschnittlich mehr als sieben Ärzten erfolglos behandelt. Ihre Suche nach Hilfe dauert durchschnittlich über elf Jahre. Migränepatienten suchen im Durchschnitt mehr als 19 Jahre nach Linderung und werden von elf Ärzten behandelt, selbst Tumorschmerzpatienten durchlaufen in durchschnittlich zwei Jahren fünf Ärzte, bis sie in die Klinik eingewiesen werden.
    Diese Zahlen weisen darauf hin, dass die Schmerztherapiekenntnisse der behandelnden Ärzte in der Primärversorgung unzureichend sind. Mitschuld an diesem Missstand hat die Ausbildungsordnung für Ärzte. In der neuesten Fassung der Approbationsordnung vom Oktober 2003 kommen die Begriffe Schmerztherapie und Palliativmedizin nicht vor. Damit hat sich die Ausbildungssituation gegenüber der zuvor gültigen Approbationsordnung, in der die Schmerztherapie Pflichtfach war, weiter verschlechtert.

    FEHLENDE SCHMERZTHERAPEUTEN
    Auch die Zahl der ausgebildeten Schmerzspezialisten ist in Deutschland unzureichend: Nach der europäischen Schmerzstudie sind etwa 13 Millionen Menschen (17 Prozent der Bevölkerung). Wenn nur 10 Prozent von ihnen komplizierte Fälle sind, brauchen etwa 800.000 bis 1.000.000 Patienten eine Behandlung durch hochqualifizierte Spezialisten. Demgegenüber stehen etwas über 1.000 Schmerzspezialisten, die in Deutschland bisher ausgebildet wurden.
    Den Kosten der Schmerzerkrankungen von etwa 25 Milliarden Euro pro Jahr stehen in Deutschland etwa 8 Millionen Euro Fördermittel für die Schmerzforschung entgegen. Das entspricht 0,03 Prozent.
    Gegen den allgemeinen Trend hat am Klinikum der Universität München die Therapie von chronischen Schmerzen seit vielen Jahren einen festen Platz. Bayern liegt mit 16 Einrichtungen, die Intensiv- bzw. Gruppenprogramme anbieten, in der Bundesrepublik ohnehin weit an der Spitze. Seit sechs Monaten gibt es hier auch die ASTIB, die Arbeitsgemeinschaft schmerztherapeutischer Einrichtungen in Bayern.
    An der LMU wurde 1980 die erste interdisziplinäre Schmerzambulanz Deutschlands gegründet, außerdem existieren hier zwei interdisziplinäre, umfassende Programme für chronische Schmerzpatienten: das Münchner Rückenintensivprogramm für Männer und Frauen mit Rückenschmerzen und das prämierte Münchner naturheilkundliche Schmerzintensivprogramm, bei dem unter anderem Methoden wie Akupunktur zum Zuge kommen.

    Weitere Informationen zum Pflegetag und zur Schmerztherapie bei Dr. Antje Beyer, Telefon 7095-4464 oder eMail antje.beyer@med.uni-muenchen.de.


    Weitere Informationen:

    http://www.klinikum.uni-muenchen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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