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14.10.2004 14:29

Die Haut - Spiegel der Seele

S. Nicole Bongard Kommunikation und Medien
Klinikum der Universität München

    14. Münchner Kinder- und Jugendpsychiatrisches Herbstsymposium

    Zwischen Hautveränderungen und seelischem Erleben bestehen enge Wechselwirkungen. Über die Haut nehmen wir unsere Umgebung wahr - Berührungen, Hitze, Kälte, Schmerz. Die glatte Haut eines Säuglings, die Pickel in der Pubertät und die Angst, fehlgestaltet zu sein, die makellose Haut junger Menschen und die faltige Haut im Alter beschreiben einen Entwicklungs- und Alterungsprozess. Hautveränderungen vermitteln wortlose Botschaften. Schwitzen, Erbleichen oder Erröten zeigen Emotionen an. Erkrankungen und Verletzungen des großen Organs "Haut" verändern und verfremden das Erscheinungsbild einer Person.

    Haut - Krankheit - Psyche ist auch das Thema beim 14. Münchner Kinder- und Jugend-psychiatrischen Herbstsymposium am 16. Oktober 2004 (9.15 bis 16 Uhr, Großer Hörsaal der Psychiatrischen Klinik, Nussbaumstraße 7). 160 Kinderärzte, Dermatologen, Psychiater und Psychotherapeuten erfahren dabei die neuesten Erkenntnisse über körperliche, psychische und soziale Auswirkungen von angeborenen und erworbenen Hautveränderungen. Die Leitung hat Prof. Dr. Reiner Frank.

    Die wichtigsten Themen sind:
    Neurodermitits
    Zahlreiche äußere Ursachen können bei Kindern mit empfindlicher Haut Irritationen auslösen, welche letztlich die Entstehung und den Unterhalt von Hautveränderungen im Sinne einer atopischen Dermatitis zur Folge haben. Dies gilt vor allem für Kinder im 1. - 3. Lebensjahr, da in diesem Alter die Hautbarriere ohnedies noch nicht voll ausgereift ist. Eine irritierte Haut neigt zu mikrobiellen Infektionen. Außerdem begünstigt eine Beeinträchtigung der Hautbarriere das Eindringen von Allergenen und den Transport aktiver Langerhanszellen in die Epidermis und erleichtert dadurch Reaktionen mit potentiellen Allergenen (z.B. Hausstaubmilben, Staphylokokken). Eine dabei erfolgende Freisetzung von Botenstoffen (Zytokinen) aktiviert wiederum Entzündungsprozesse, welche ihrerseits die Barrierefunktion beeinträchtigen. Am Ende dieses Prozesses steht dann schließlich die manifeste Neurodermitis. Es erscheint daher wichtig, bei Kindern mit genetisch bedingt empfindlicher Haut alle vermeidbaren Hautirritationen zu unterbinden.
    In der aktuellen Diskussion der Entstehung und Aufrechterhaltung der Neurodermitis wird auch ein bio-psycho-soziales Modell vertreten, das neben genetischen Faktoren den Umgang mit der Erkrankung hervorhebt. Im Rahmen von bio-psycho-sozialen Modellen erweisen sich das Kratzverhalten, das Juckreizerleben, die Compliance im Umgang mit den Behandlungsanforderungen (wie Eincremen, Allergenzkarenz), aber auch der Umgang mit sekundären psychosozialen Belastungen als zentrale Weichensteller für den weiteren Krankheitsverlauf und damit Ansatzpunkte für die Behandlung.

    Machen blaue Flecken krank? - Bedeutung von Hautbefunden bei Kindesmisshandlungen
    Hautveränderungen aufgrund von Kindesmisshandlungen finden sich bei der Mehrzahl körperlich misshandelter Kinder und Jugendlicher. Neben dem nicht immer einfachen "diagnostischen Auftrag" an den wahrnehmenden Arzt implizieren sie eine komplexe Kette nachfolgender Anforderungen an das medizinische System. Dies erfordert neben der diagnostischen und psychosozialen Kompetenz einen hohen zeitlichen und emotionalen Einsatz. Körperliche Verletzungen sind die unmittelbarsten und konkretesten "Botschaften", die ein Kind seiner Umwelt über die erlittene körperliche Gewalt mitteilt. Wenngleich dies weder gewollt noch freiwillig geschieht, bieten diese "Botschaften" ein einzigartiges Potential einer konkreten somatisch orientierten Kontaktaufnahme mit dem misshandelten Kind und seinen Eltern. Sie ermöglichen den Zugang über eine zunächst nur auf das nur physische Wohlbefinden (heilen, lindern, gesund machen) ausgerichtete Interaktion.
    Im Sinne der Diagnosefindung sind körperliche Befunde, die auf Misshandlung hinweisen oder sie nahe legen, einer der "härtesten" und im soziolegalen System best angesehenen Parameter. Auf diese Art hat die Medizin ein großes Potenzial "einfacher" körperlicher Symptome als Stellvertreter bzw. Symbole zu "übersetzen" und in ihnen die komplexe Botschaft einer hochpathologischen Familiendynamik mit massiver Gefährdung der leiblichen und seelischen Gesundheit eines Kindes sichtbar und damit erst intervenierbar zu machen.
    Daneben enthalten Hämatome und Verbrennungen vielfältige weitere Bedeutungsebenen, so einen sprichwörtlichen Symbolcharakter: Verletzungen der Ohren ("...lang ziehen") wegen "Nichthörens", Verletzungen im Mundbereich bei Fütterschwierigkeiten und Verletzungen im Anogenitalbereich bei Sauberkeitsstörungen. Für betroffene Kinder und Jugendliche sind die sichtbaren Folgen von Schmerz und Kränkung Scham behaftet und zwingen eher zu Vertuschung und Lüge als zu Offenbarung und Schutz.

    Verbrennungen bei Kindern
    Nach wie vor stellen Verbrennungen und Verbrühungen eine häufige Verletzungsursache bei Kindern und Jugendlichen dar. Je nach Tiefe und Ausdehnung besteht Lebensgefahr durch den Flüssigkeitsverlust, die Beteiligung lebenswichtiger Strukturen oder die durch den Verlust der Schutzfunktion der Haut bedingte Infektionsneigung.
    Das größte Körperorgan bedeutet für jeden Menschen nicht nur Integrität, physischen wie psychischen Schutz, sondern auch einen Teil seiner Ich-Identität, seiner Selbstsicherheit, seiner Abgrenzung von der Umwelt.
    Spezifische Unfallursache und je tiefer die Körperoberfläche funktionell, emotional und an sozial bedeutsamen Köperregionen von thermischen Verletzungen tangiert ist, je länger Rehabilitationsmaßnahmen andauern, desto tiefer geht neben der körperlichen Stigmatisierung auch die seelische Verwundung des Kindes oder Jugendlichen. Hinzu tritt negativ verstärkend oder unterstützend die Haltung von Eltern und Geschwistern, deren Gefühle und Reaktionen in einer den gesamten Familienverbund grundsätzlich tangierenden Situation. Mögliche posttraumatische Belastungssyndrome vermögen die Situation ebenso zu verschärfen wie behandlungsbedingte Belastungen inklusive Schmerzsymptomatik.
    Die eigentliche psychosoziale Problematik des brandverletzten Kindes und Jugendlichen wird häufig erst nach Verlegung auf die Normalstation und in der Vorbereitung der ersten Entlassung manifest. Kontakte zur Umwelt und deren Reaktionen, Konfrontation mit dem veränderten Aussehen, eine ungewohnte Körperwahrnehmung, ein lädiertes Selbstbewusstsein und Körperbild werden unvermeidbar. Das stufenweise Umgehen mit Funktionseinschränkungen, Juckreiz, die Entwicklung von Alternativen für die weitere Lebensführung bilden einen wesentlichen Baustein zur Wiedergewinnung der persönlichen Identität. Der Weg zurück nach dem thermischen Trauma ist für Kinder und Jugendliche sowie deren soziales Umfeld ein gleichermaßen mühsam.

    Das geht unter die Haut - Selbstverletzendes Verhalten
    Selbstverletzendes Verhalten - sich mit scharfen Gegenständen wie Scherben oder Messern selbst zu schneiden, die Haut zu verbrennen oder zu verbrühen - wirkt zunächst bizarr und unverständlich. Betroffene bemühen sich, "so etwas" heimlich zu tun und schämen sich dafür. Selbstverletzendes Verhalten tritt als Symptom bei einer Reihe von psychischen Störungen auf. Selbstverletzendes Verhalten kann als ein Bewältigungsversuch angesehen werden. Seine Funktion besteht darin, Spannungen abzubauen und Kontrolle über die Situation und die eigene Person zu behalten, indem dem eigenen Körper Schmerz zugefügt wird. Zu Grunde liegen sehr oft traumatische Erfahrungen. Es fehlt die Möglichkeit, sich durch Worte und Gesten verlässlich zu verständigen.
    Intensive negative und zwiespältige Gefühle quälen die Betroffenen. Blutige Botschaften bringen stumm dies Lebensgefühl zum Ausdruck. Narben sprechen eine beredte Sprache.

    Eine akzeptierende therapeutische Haltung bemüht sich, Abläufe in ihren Zusammenhängen von Irritation, innerer Leere, Spannungsaufbau, Spannungsabfuhr und Schuldgefühlen zu verstehen, negative Gefühle der Betroffenen zu benennen und zu ertragen und die Stärken der Person ausfindig zu machen und zu unterstützen. Nähe und Distanz sind schwer zu regeln. Die Verläufe sind langwierig.

    Weitere Informationen zum Symposium bei Prof. Dr. med. Reiner Frank, Institut und Polikli-nik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Telefon 089/ 5160 5155 oder e-Mail reiner.frank@med.uni-muenchen.de.


    Weitere Informationen:

    http://www.klinikum.uni-muenchen.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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