14. Juli 1997
116 Patienten mit Nervenverletzungen operiert
Ulmer Hilfe für bosnische Kriegsopfer
Seit Februar 1993 bis zum Ende des Krieges im ehemaligen Jugoslawien hat die Neurochirurgische Klinik der Universität Ulm in Günzburg (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Hans-Peter Richter) 237 Kriegsopfer aus Bosnien untersucht und 116 von ihnen operiert. Nach Auskunft aus dem bosnischen Gesundheitsministerium sind dies mehr Patienten, als in den Ländern England, Holland und Dänemark zusammen operiert wurden. Das Unternehmen war Ergebnis eines Hilferufs des Leiters der Neurologischen Universitätsklinik in Tuzla, Prof. Dr. Osman Sinanovic, an Prof. Dr. Reinhardt Rüdel, Leiter der Abteilung Allgemeine Physiologie der Universität Ulm. Gesucht wurde eine Klinik, an der Kriegsopfer mit Nervenverletzungen chirurgisch behandelt werden konnten. Sinanovic ist jetzt auch Gesundheitsminister des Distrikts Tuzla. Er war in der Vergangenheit Gastprofessor an der Universität Ulm und hat die erste und letzte Gruppe von jeweils 40 Patienten nach Ulm begleitet.
Neben der Neurochirurgie beteiligten sich die Ulmer Abteilungen Unfall-, Extremitäten-, plastische und Wiederherstellungschirurgie (Prof. Dr. Lothar Kinzl), Thorax- und Gefäßchirurgie (Prof. Dr. Ludger Sunder-Plassmann) und Orthopädie (Prof. Dr. Wolfgang Puhl) an der Versorgung der Patienten. Deren - jeweils nur dreitägiger - stationärer Aufenthalt in der Neurochirurgie wurde aus verschiedenen Quellen finanziert, so vom Islamischen Konzil Deutschland, von der katholischen Kirchgemeinde Finningen, von Bürgern der Ulmer/Neu-Ulmer Region sowie durch Benefizkonzerte und andere Benefizveranstaltungen und schließlich durch das bosnische Generalkonsulat in München. Für die Medizinische Fakultät in Tuzla wurden von der Ulmer Firma Ratiopharm größere Mengen an Medikamenten gespendet.
Das Universitätsklinikum in Tuzla war während des Krieges ausschließlich mit der Versorgung von Kriegsopfern beschäftigt. Der Lehrbetrieb wurde so gut es ging fortgeführt. Die Medizinstudenten erhielten zwischen ihren Aufenthalten an der Front regelmäßig Blockunterricht. 1996 legten 10 Studenten ihr medizinisches Staatsexamen an. Im gleichen Jahr begannen 200 Studenten ihr Medizinstudium. Schon bald nach dem Ende der Kampfhandlungen wurden in Tuzla eine "Sommeruniversität" organisiert und dazu eine Vielzahl ausländischer Referenten eingeladen, um neue Verbindungen zur akademischen Außenwelt aufzubauen. Der Einladung nach Tuzla, in der sich auch der Wunsch nach einer Zusammenarbeit mit der Universität Ulm auszudrückte, folgten die Professoren Richter und Rüdel im Juni und Oktober 1996.
Das Universitätsklinikum in Tuzla hat im Krieg äußerlich keinen Schaden genommen. Die Stadt selbst war kaum zerstört, ganz anders als z.B. Sarajevo. Nach allen Bildern, die man aus dem Krieg gesehen hat, erscheint Tuzla unwirklich intakt. Zumal in der Klinik wird aber auch jetzt noch unter höchst unzulänglichen Umständen gearbeitet. Dies betrifft nicht nur die materielle Ausstattung, sondern auch die personelle Situation. Viele Professoren haben das Land während des Krieges verlassen. Die Neurochirurgie wird z.B. von einem Arzt geleitet, der gerade Feldarzt geworden war. Die Ärzte sind meist noch jünger und noch keine Fachärzte. Während des Krieges pendelten sie zwischen Tuzla und verschiedenen Feldlazaretten. Einige von ihnen waren im Rahmen französischer und amerikanischer Programme als Gastärzte für ein Jahr in Toulouse bzw. Buffalo. Der dringendste Wunsch richtet sich darauf, wieder Anschluß an die wissenschaftliche Welt zu finden. Deshalb gehört ein Wissenschaftleraustausch mit Ulm zu den vorrangigen Interessen der Partner inTuzla. Auch wird dort der Mangel an Fachliteratur lebhaft beklagt.
Prof. Richter hatte in Tuzla Gelegenheit, sechs Patienten zu sehen, die von ihm mehr als drei Jahre zuvor operiert worden waren. Unter ihnen Aida, ein damals acht Jahre altes Mädchen. Granatsplitter hatten ihre beiden Oberarme durchschlagen und mehrere Nerven durchtrennt. Der linke Arm war dadurch praktisch funktionslos geworden, der rechte zu kräftigen Tätigkeiten nicht mehr geeignet. Die Nervendefekte wurden damals durch autologe Transplantate überbrückt. Drei Jahre nach der Operation kann das Mädchen beide Arme und Hände uneingeschränkt gebrauchen. Es gibt aus den jugoslawischen Kriegsgebieten nur wenige Berichte über Patienten mit kriegsbedingten Verletzungen peripherer Nerven, die unter zivilen Bedingungen operiert worden sind, d.h. nicht notfallmäßig, sondern mit der nötigen Geduld und mit Hilfe des Operationsmikroskops.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
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Deutsch
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