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18.10.2004 11:15

Die "Geistliche Anleitung" der Attentäter des 11. September 2001

Stefanie Hahn Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Islamwissenschaftler der Universität Jena gibt Buch mit Übersetzung und erstmaliger wissenschaftlicher Analyse des arabischen Originaltextes aus dem Gepäck der Attentäter heraus.

    Jena (18.10.04) Bei allen Bemühungen, die Motive und Hintergründe der Ereignisse des 11. September 2001 zu verstehen, spielte bis heute der handschriftliche Text, der als einziger den Tätern zuzuordnen ist, keine nennenswerte Rolle. Das Schriftstück aus dem Gepäck von Mohamed Atta, der an jenem Tag eine Maschine in den Nordturm des World Trade Centers flog, kursierte in mehreren Übersetzungsvarianten in den Medien. Eine genaue wissenschaftliche Analyse war jedoch bisher unterblieben, u. a. weil die Echtheit des Dokumentes angezweifelt worden war. Die Publikation "Terror im Dienste Gottes. Die "Geistliche Anleitung" der Attentäter des 11. September 2001", die der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Tilman Seidensticker von der Universität Jena und sein Bremer Kollege Hans G. Kippenberg herausgegeben haben, zeigt nun erstmals die religiöse Fundierung der Anschläge auf. "Wir möchten die Diskussion auf eine solide Basis stellen. Dies ist umso wichtiger, als es inzwischen eine Bestätigung der Echtheit des Textes durch einen Jazeera-Journalisten gibt", erklärt Seidensticker den Entschluss, das umstrittene Dokument zu edieren und als kommentierte Übersetzung öffentlich zugänglich zu machen.

    Neben dem arabischen Original und einer deutschen Übersetzung bietet der 120-seitige Band auch Interpretationen aus islam- und religionswissenschaftlicher Perspektive. Fünf Autoren, die zwei Herausgeber eingeschlossen, ermöglichen Einblicke in die Rituale und Denkmuster, mit denen die Attentäter ihre Gewalt inszenierten. "Tatsächlich ist die Bezeichnung ,geistliche Anleitung' außerordentlich zutreffend, da etwa 90 % des Textes auf innerliche religiöse Motivierung abzielen", nennt Seidensticker das Ergebnis seiner einleitenden quantitativen und qualitativen Textanalyse. "Die Täter werden aufgefordert, bestimmte Gebete oder Koranpassagen für sich zu rezitieren, sich ihres Glaubenskampfes bewusst zu werden. Mehr als zwölfmal wird ihnen versichert, dass sie als Märtyrer ins Paradies eingehen werden", illustriert der Islamwissenschaftler von der Uni Jena. "Dass es sich um einen gerechten Kampf handelt, wird in dem Text stillschweigend vorausgesetzt."

    Seidensticker wertet das Dokument als religiös verbrämte Beschäftigungsstrategie, damit die Selbstmordattentäter nicht in letzter Minute die Nerven verlieren. "Spirituelle und mentale Ablenkung sind die Hauptzielstellungen des Dokuments", hat der Jenaer Autor herausgearbeitet. Er verweist auch auf Prophetentraditionen, in der speziell Glaubenskriegern litaneihafte Gebete anempfohlen werden. Unklar bleibe, ob der Text die Überzeugungen des unbekannten Verfassers widerspiegelt oder ob er seine Konzepte und Strategien eher am religiösen und intellektuellen Horizont der Adressaten orientiert.

    Seidenstickers Ausführungen folgt eine Stellungnahme des Religionshistorikers Bruce Lincoln, der bereits 2002 die Zerlegung der Welt in eine des Glaubens und des Unglaubens thematisiert hatte. Albrecht Fuess behandelt "Die Islamische Schlachtrede" als eines der literarischen Vorbilder für die "Geistliche Anleitung". Kippenberg untersucht, inwieweit man dem Dokument Gründe und Deutungsmuster für die Anschläge entnehmen kann, während Thomas Scheffler seinen Blick auf "Bin Ladins Gegenwartsdiagnose" richtet. Eine ausführliche Behandlung der Begriffe Glaubenskrieg (gihad), Martyrium, Selbstmord und Tötung von Nichtkombattanten und eine Geschichte des Selbstmordattentats in der islamischen Welt und vergleichbare Strömungen in der nichtislamischen Welt beschließen den neuen Band.

    Bibliographische Angaben:
    Hans G. Kippenberg & Tilman Seidensticker (Hg.) "Terror im Dienste Gottes. Die "Geistliche Anleitung" der Attentäter des 11. September 2001", Campus Verlag (Frankfurt/M./New York) 2004, 120 S., 12,90 Euro, ISBN 3-593-37527-3.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Tilman Seidensticker
    Institut für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients der Universität Jena
    Tel.: 03641 / 944850 oder 944865
    E-Mail: tilman.seidensticker@uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie / Ethik, Politik, Psychologie, Recht, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     


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