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01.11.2004 10:50

Neue Wirkstoffe aus heimischen Wäldern

Dipl.Biol. Sylvia Pieplow Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Pflanzenbiochemie

    Wissenschaftler des Leibniz-Institutes für Pflanzenbiochemie (IPB) haben eine Substanz in Pilzen entdeckt, die in Zukunft als Leitstruktur für neue Antibiotika dienen könnte. Die Produzenten des Wirkstoffes, die sogenannten Schnecklinge, sind in heimischen Wäldern, wie zum Beispiel dem Harz, häufig zu finden. Sie gehören zur Gattung Hygrophorus. Die aus ihnen isolierten Hygrophorone wirken stark antibiotisch gegen Eitererreger (Staphylococcus aureus). Deshalb könnte diese Stoffgruppe interessant werden für die Entwicklung neuer Medikamente zur Bekämpfung multiresistenter Bakterienstämme in Krankenhäusern. Die Wirkstoffgruppe wurde im Frühjahr diesen Jahres zum Patent angemeldet.

    Jeden Herbst zieht es Norbert Arnold, Wissenschaftler am IPB, aufs Neue in die heimischen Wälder. Der promovierte Biologe erforscht Pilze und ihre Inhaltsstoffe. "Bei Pilzen nach biologisch aktiven Wirkstoffen zu suchen, ist immer lohnenswert", erklärt Arnold, "denn diese Organismen sind für ihre enorme Produktion an Giftstoffen bekannt". Die Ursache liegt möglicherweise an der großen Empfindlichkeit des Pilzgewebes. Pflanzen wehren sich gegen Fraßfeinde, indem sie Schutzschichten, wie z.B. die Rinde oder eine feste Cuticula an den Blattoberflächen ausbilden. Bei Pilzen sind diese mechanischen Barrieren gegen hungrige Invasoren kaum vorhanden. Deshalb wehren sie sich oft auf chemischem Wege, indem sie Stoffe produzieren, die den arglosen Essern nicht schmecken, oder sogar giftig sind. Auch für den Menschen ungiftige Pilze enthalten oft wirksame Substanzen gegen Bakterien und andere Pilze.

    Einen solchen Vertreter der Gattung Hygrophorus hat der 45-Jährige jetzt genauer unter die Lupe genommen. "Während meiner vielen Pilzexkursionen ist mir aufgefallen, dass diese sogenannte Schnecklinge fast nie von Schnecken angefressen werden", erzählt Arnold. Auch Krankheitserreger und Parasiten schienen diesen Pilz zu meiden. Deshalb hat der Wissenschaftler vor vier Jahren angefangen, Schnecklinge zu sammeln und deren Inhaltsstoffe zu isolieren. "Das Ergebnis hat uns freudig überrascht", konstatiert Arnold. Denn die Biotests ergaben, dass Schnecklinge sowohl Substanzen gegen parasitische Pilze, als auch Stoffe gegen Bakterien produzieren. Vor allem gegen den Eitererreger, mit dem die Krankenhäuser so sehr kämpfen, waren die Hygrophorone sehr aktiv.

    Deshalb ist diese Stoffgruppe für die Entwicklung neuer Medikamente zur Bekämpfung multiresistenter Bakterienstämme besonders interessant.
    "Viele der synthetisch hergestellten Antibiotika sind nur Modifizierungen bereits vorhandener Stoffe", weiß Arnold. Für die besonders mutationsfreudigen multiresistenten Bakterienstämme sind diese Gifte oft schon bekannt und stellen keine große Hürde mehr dar. Meist entwickeln diese Stämme innerhalb von kurzer Zeit neue Resistenzen gegen das neue Antibiotikum. Deshalb wird es immer lohnenswerter in der Natur nach Wirkstoffen zu suchen, die sich in ihrer Struktur grundlegend von bereits eingesetzten Antibiotika unterscheiden. "Und unsere Hygrophorone sind gute Kandidaten dafür".

    "Jetzt haben wir den Stoff und damit die Basis für den Patentschutz", erklärt der gebürtige Bamberger, "aber bis man einen Wirkstoff zu einem marktreifen Medikament entwickelt hat, vergehen im Schnitt zehn Jahre und die Kosten belaufen sich auf mindestens 500 Millionen Euro". Viele Wirkstoffkandiaten bleiben unterwegs auf der Strecke, weil sie zu starke Nebenwirkungen haben oder vom Organismus nicht richtig aufgenommen werden. "Und die Räder der Evolution drehen sich natürlich weiter. Falls es tatsächlich dazu kommt, dass man die Hygrophorone einmal als Medikament einsetzt, werden aggressive Bakterienstämme nach einiger Zeit Resistenzen dagegen entwickeln". Dann forscht Norbert Arnold vielleicht schon am nächsten Wirkstoff.

    Interessantes zu Pilzen
    Die allseits bekannten Hutpilze unserer Wälder stellen nur eine kleine Gruppe der etwa 70.000 bekannten Pilzarten. Ein Großteil der Pilze besteht aus mikroskopisch kleinen Zellfäden. Viele Krankheitserreger, wie zum Beispiel der Fußpilz oder bestimmte Hautflechten sind pilzlichen Ursprungs. Andere Pilze leben in Symbiose mit Algen (Flechten) oder Pflanzen (Mykorrhizapilze). Der gefährliche Brotschimmel gehört ebenso zur Gruppe der Pilze, wie die Bäcker- und Bierhefen. Schätzungen zufolge soll es bis über eine Millionen weitere Pilzarten geben, die noch nicht bekannt sind.

    Der Botaniker zählt die Pilze übrigens nicht zu den Pflanzen, da ihre Lebensweise sich grundlegend von der der Pflanzen unterscheidet. Pflanzen beziehen ihre Energie aus Licht. Mit Hilfe der Photosynthese und dem Kohlendioxid aus der Luft sind sie in der Lage Biomasse zu produzieren, also ihre eigenen Blätter, Blüten, Stamm und Wurzel aufzubauen. Der Ort der Photosynthese sind die grünen Chloroplasten in den Blättern. Pilze haben keine Chloroplasten und können deshalb auch keine Photosynthese machen. Sie beziehen ihre Energie nicht aus Licht und Luft, sondern aus der Zersetzung anderer Organismen, also aus bereits vorhandenen organischen Strukturen.

    Der größte Teil der Pilze, die wir im Wald finden, lebt für uns unsichtbar unter der Erde. Dort bildet der Pilz ein weit verzweigtes Geflecht kleiner Zellfäden, das sogenannte Myzel aus. Erst nach der Verschmelzung zweier Myzelfäden entwickelt sich daraus der Fruchtkörper, also der "Pilz", den wir sehen und sammeln. Unter dem Hut des Pilzes bilden sich die Sporen, die nach der Reifezeit auf den Boden fallen und ein neues Myzel bilden. Aus diesem und auch aus dem alten Myzel entwickeln sich dann im folgenden Spätsommer erneut die begehrten Fruchtkörper. Deshalb lohnt es sich auch, ergiebige Stellen im nächsten Jahr wieder aufzusuchen.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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