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01.02.1999 08:11

Mittelmeerpflanzen in Dänemark?

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Geowissenschaften
    Der Tübinger Paläontologe Prof. Volker Mosbrugger erhält am 8. Februar 1999 den Leibniz-Preis für seine Arbeiten zur erdgeschichtlichen Klimaforschung. Mosbrugger untersucht das Erdklima vor 10 bis 20 Millionen Jahren, als die Erde deutlich wärmer war als heute. Der Geowissenschaftler will mit den Daten aus der Erdgeschichte auch Klimamodelle für die Zukunft bei einer weltweiten Erwärmung durch den Treibhauseffekt entwickeln.


    Mittelmeerpflanzen in Dänemark?
    Tübinger Paläontologe will Klima von morgen aus der Geschichte der Erde heraus verstehen

    Klimaforschung zu vergangenen Erdzeitaltern ist kein alter Hut. "Denn auch zukünftige Klimaänderungen durch die bevorstehende globale Erwärmung sind nur aus der Erdgeschichte heraus zu verstehen", erklärt Prof. Volker Mosbrugger vom Institut und Museum für Geologie und Paläontologie der Universität Tübingen. Für seine Arbeiten zur erdgeschichtlichen Umweltforschung erhält der vielseitige Wissenschaftler am 8. Februar 1999 den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis.
    Wie die Welt vor 10 oder 20 Millionen Jahren aussah, hat die Erde in Gesteinen und Sedimenten selbst dokumentiert. Die Paläoklimaforscher widmen sich der mühsamen Aufgabe, den stummen Zeugen wie zum Beispiel Resten urtümlicher Pflanzen möglichst viele dieser Informationen zu entlocken. Dabei lassen sich langfristige Veränderungen des Klimas erkennen. "Vor acht Millionen Jahren war das Erdklima deutlich wärmer als heute, die Verteilung der Kontinente zum Beispiel war aber durchaus vergleichbar. Daher lassen sich Rückschlüsse auf das zukünftige Klima bei weltweiter Erwärmung ziehen", erklärt Mosbrugger. Der Paläoklimaforscher gehört mit seiner Arbeitsgruppe zu den wenigen Wissenschaftlern, die das Klima auf dem Festland in einer erdgeschichtlichen Zeit erforschen, als die sogenannte Fieberkurve der Erde bei deutlich höheren Temperaturen lag als heute. Die meisten Paläoklimaforscher untersuchen dagegen die Veränderungen der Ozeane in der jüngsten, kälteren Erdzeit vor etwa zwei Millionen Jahren.
    Viele Meeresklimaforscher gehen auch davon aus, daß das Klima in unseren Breiten kälter wird bei globaler Erwärmung, weil dann der wärmebringende Golfstrom zusammenbricht. Doch geht Mosbrugger davon aus, daß sich langfristig über die Atmosphäre ein neuer Wärmetransport nach Europa etablieren kann. Denn wie schon im Tertiär verdunstet bei weltweit höheren Temperaturen mehr Wasser über den Ozeanen, das dabei Wärme aufnimmt. "Entsprechend könnten in Europa die durchschnittlichen Niederschlagsmengen stark zunehmen und vor allem die Winter in Mittel- und Nordeuropa durch die mitgebrachte Wärme eher milder werden", lautet die Prognose des Festlandforschers. Folglich könnten sich wie im Mittelmeerraum mehr immergrüne Pflanzenarten ansiedeln. Ganz sicher läßt sich jedoch nicht sagen, ob das Klima heute bei Erwärmung genauso funktioniert wie vor acht Millionen Jahren. "Ein Klimasystem kann mehrere stabile Zustände haben, die relativ schnell ineinander umklappen", weiß Mosbrugger. Seine Arbeitsgruppe ist dabei, die Daten zur erdgeschichtlichen Klimarekonstruktion zu verdichten und daraus genauere Klimamodelle zu errechnen.
    "Viele Forscher betrachten das Klima als einen rein physikalisch-chemischen Prozeß ohne Vorgeschichte. Ich halte das für einen Fehler, weil sich am momentanen Zustand nicht die langfristigen Mechanismen der Klimaveränderungen untersuchen lassen", bringt der engagierte Wissenschaftler seine Forschungen auf den Punkt. (3003 Zeichen)

    Die Erde als ihr eigenes Archiv

    Dokumentierte Klimageschichte wird von Tübinger Forschern für Zukunftsmodelle genutzt

    Mit der Erwärmung der Erde durch den Treibhauseffekt erwarten Wissenschaftler auch eine durchgreifende Änderung des Klimas. Ob wir aber hier in den bisher gemäßigten Breiten unter einer neuen Eiszeit stöhnen oder in tropischer Hitze schwitzen werden, da sind sich die Klimaforscher mit ihren unterschiedlichen Rechenmodellen nicht einig. "Das zukünftige Klima läßt sich nicht allein mit heutigen Daten berechnen, sondern nur aus der Erdgeschichte heraus verstehen", erläutert der Paläontologe und Biologe Prof. Volker Mosbrugger vom Tübinger Institut und Museum für Geologie und Paläontologie seinen Forschungsansatz. Der vielseitige Wissenschaftler wird für seine Arbeiten zur erdgeschichtlichen Umweltforschung am 8. Februar 1999 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis, dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, ausgezeichnet.

    Um die zukünftigen Veränderungen unserer Umwelt abzuschätzen, geht Prof. Volker Mosbrugger erstmal 10 bis 20 Millionen Jahre in der Erdgeschichte zurück, in die Zeit des Tertiärs. Damals lag die durchschnittliche Jahrestemperatur in Mitteleuropa bei etwa 16 Grad Celsius und damit sechs bis sieben Grad über den heutigen Temperaturen. Wie sah die Umwelt unter diesen Bedingungen aus? "Die Erde dokumentiert ihre Geschichte selbst, sie ist ihr eigenes Archiv. Die früheren Zustände werden durch die Gesteine und Sedimente überraschend gut festgehalten", sagt Mosbrugger. Aufgabe der Paläoklimaforscher ist es, den stummen Zeugen wie etwa Resten urtümlicher Pflanzen möglichst zahlreiche Informationen über die damalige Lebenswelt zu entlocken. "Aus einer zehn Zentimeter dicken Sedimentschicht, die in zehn Millionen Jahren entstanden ist, lassen sich natürlich keine Rückschlüsse auf den Tagesrhythmus der Temperaturen ziehen", erklärt Mosbrugger die Grenzen der Methode. Dagegen sind langfristige Prozesse meßbar, die der Wissenschaftler bei der Klimaforschung für entscheidend hält und die sich durch alleinige Betrachtung der heutigen Lage seiner Meinung nach nicht erkennen lassen.
    Mosbrugger gehört mit seiner Arbeitsgruppe zu den wenigen Wissenschaftlern weltweit, die ihren Forschungsschwerpunkt auf die Rekonstruktion erdgeschichtlicher Klimasysteme auf dem Land gelegt haben. Vor allem in Europa, Ostasien und Nordamerika hat er zwischen Äquator und Pol zahlreiche Daten zur Bodenzusammensetzung und Vegetationsbedeckung im Tertiär erhoben und versucht, das damalige Klima mit heutigen Computermodellen zu simulieren. "Mit den verfügbaren Klimamodellen ist es bisher nicht möglich, die früheren Klimaverhältnisse richtig darzustellen. Das sollte auch für die Klimavorhersagen der Zukunft skeptisch machen", meint der Forscher. Er vermutet, daß nicht nur die lückenhafte Datenlage zu falschen Ergebnissen führt, sondern daß es sich um gänzlich andere Systeme handelte. "In den modernen Modellen geht man von Extremen aus: Die Pole sind kalt und die Tropen heiß, sie können die heutige Zeit abbilden. Vor acht Millionen Jahren war es aber an den Polen wärmer und gemäßigt, zum Beispiel war Vegetation bis in wesentlich höhere Breiten zu finden", sagt Mosbrugger.
    Das hatte auch zur Folge, daß die mittleren Jahrestemperaturen der griechischen Insel Kreta nur um etwa zwei bis drei Grad Celsius höher lagen als die von Amsterdam. "Kreta lag früher wie heute bei etwa 18 Grad, Amsterdam früher bei 15, heute nur noch bei etwa 10 Grad", erklärt Mosbrugger. Die Temperaturunterschiede in Europa waren folglich früher viel geringer. Durch global wärmere Temperaturen gab es damals in Mitteleuropa und im Mittelmeerraum außerdem viel höhere durchschnittliche Niederschläge von etwa 1000 Millimetern im Jahr, heute sind es nur etwa 500 bis 600 Millimeter.
    Vor einigen Millionen Jahren waren die Gebirge, wie zum Beispiel die Alpen, flacher und die Nordhalbkugel weitgehend eisfrei. Doch die Verteilung der Kontinente war bereits ähnlich wie heute. "Wenn es heute wieder global wärmer wird, würde ich erwarten, daß sich wiederum etwa Norddeutschland und Dänemark stärker erwärmen als der Mittelmeerraum", wagt Mosbrugger eine Prognose.
    Einige Ozeanographen sagen für Mittel- und Nordeuropa ganz im Gegenteil ein kälteres Klima voraus, wenn weltweit die Temperaturen ansteigen. Die Meeresklimaforscher gehen davon aus, daß dann der Golfstrom zusammenbricht, der bisher für den Wärmetransport in unsere Breiten sorgt. "Grob gesagt funktioniert der Golfstrom so, daß im Nordatlantik ständig kaltes und daher schwereres Wasser in die Tiefe sinkt und dadurch warmes Wasser nachsaugt. Das Oberflächenwasser stammt aus dem Süden von Nordamerika und zieht ein mildes Klima nach sich", erklärt Mosbrugger.
    Wenn es global wärmer wird, kühlt sich das Wasser im Nordatlantik nicht mehr so stark ab und kann nicht mehr absinken, außerdem wird das Meerwasser in hohen Breiten vom leichteren Süßwasser des abschmelzenden Eises überschichtet. Der Golfstrom ändert sich und zieht kein warmes Wasser mehr in unsere Breiten. "Es mag richtig sein, daß der Golfstrom als Wärmelieferant ausfällt, über die Atmosphäre könnte sich dann jedoch ein anderer Wärmestrom etablieren", sagt der Festlandforscher. Denn bei global wärmeren Temperaturen verdunstet mehr Wasser aus den Ozeanen, das dabei Wärme aufnimmt und Verdunstungskälte zurückläßt. Die Wärme wird dann mit dem Regen nach Nord- und Mitteleuropa transportiert und dort beim Abregnen als Kondensationswärme wieder freigesetzt. "Dieser Kreislauf wird bei Erwärmung angekurbelt und höhere Niederschläge bedeuten auch ein milderes Klima", faßt Mosbrugger zusammen. Dieser Aspekt findet seiner Meinung nach meistens zu wenig Beachtung bei der Berechnung des künftigen Klimas. "In Modellen wird außerdem häufig nicht berücksichtigt, daß Klimasysteme mehrere stabile Zustände haben, die relativ schnell ineinander umklappen können", kritisiert der Forscher.
    Früher ging man davon aus, daß es Tausende von Jahren dauern kann, bis das Klima sich ändert. Inzwischen sind Beispiele aus dem Meeresmilieu bekannt, bei denen eine Klimänderung um sieben Grad Celsius nur mehrere Jahrzehnte gedauert hat. "Für eine Volkswirtschaft wäre das eine sehr kurze Zeit", gibt Mosbrugger zu bedenken. Er will zusammen mit seiner Arbeitsgruppe zukünftig die gesammelten Daten in den mittleren Breiten der Erde verdichten, um noch zuverlässigere Zahlen zur Rekonstruktion des Paläoklimas und für Klimaszenarien der Zukunft zu bekommen.
    Als Paläontologen und Biologen, der zahlreiche Arbeiten zur Evolution der Pflanzen angefertigt hat, interessiert Mosbrugger auch, welche Auswirkungen eine globale Erwärmung auf die hiesige Pflanzenwelt hätte. "Vermutlich nimmt die Saisonalität ab, vor allem die Winter werden milder. Es ist zu erwarten, daß hier dann weniger laubwerfende, aber mehr immergrüne Arten vorkommen werden", sagt der Forscher. Mosbrugger hält es für wahrscheinlicher, daß diese Pflanzenarten etwa aus dem Mittelmeerraum einwandern werden als daß sich ansässige Arten schnell genug ans veränderte Klima anpassen. "In meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir in Zusammenarbeit mit Molekularbiologen die Evolutionsgeschwindigkeit von Pflanzen, die einem häufigen Klimawechsel unterlagen. Generell war die Evolution offenbar relativ langsam. Klar ist, daß sie selbst bei einem ähnlichen Klima wie früher nicht rückwärts gehen kann", sagt Mosbrugger. Außerdem habe sich gezeigt, daß sich einem bestimmten Klimatyp nicht nach einem einfachen Schema ein bestimmter Vegetationstyp zuordnen ließ. "Die erdgeschichtlichen Daten werden auch hier noch viel zu wenig genutzt", kommentiert er diese Erkenntnisse mit Blick auf die heutige Klimaforschung. (7633 Zeichen)

    Nähere Informationen:

    Prof. Volker Mosbrugger
    Institut und Museum für Geologie und Paläontologie
    Sigwartstraße 10
    72076 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 69 88
    Fax 0 70 71/29 57 27
    E-mail: volker.mosbrugger@uni-tuebingen.de

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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