6. Frankfurter Sonderkolloquium der Frankfurter Wissenschaftlichen Gesellschaften DECHEMA, DVS, VDI und Physikalischer Verein
Lassen Sie Ihr Auto ruhig im Regen stehen - ein kräftiger Regenguß läßt das Gefährt wieder richtig erstrahlen. Gebäudefassaden, die Regen und Tau ausgesetzt sind, bleiben strahlend sauber. Verglasungen, Dächer, Sonnenreflektoren, selbst Gartenmöbel - das alles bedarf keiner besonderen Pflege mehr. Alles nur Illusion, nicht mehr als eine - zwar faszinierende - Vorstellung? Keinesfalls, das alles wird in kurzer Zeit äußerst praktische Realität sein. Diese Meinung vertritt Prof. Dr. Wilhelm Barthlott, Bonn, in seinem Vortrag auf dem Sonderkolloquium Bio-nik/Biotechnik im DECHEMA-Haus, Frankfurt.
Nach dem Vorbild der in mindestens 50 Millonen Jahren durch Versuch und Irrtum der Evolution entstandenen Lotus-Oberfläche, können wir heute erste "bioimetische", also die Natur nachahmende und sich selbstorganisierende Werkstoffe produzieren. Einige von ihnen übertreffen das natürliche Muster - sie haben vollkommen ultraphobe Eigen-schaften. Das heißt: nicht nur Wasser, sondern auch Öl rollt von der Oberfläche ab, jede Verschmutzung - selbst Dieselruß - kann durch Regen oder einfaches Besprühen mit Wasser abgewaschen werden.
Dieses Prinzip, ursprünglich der Selbstreinigungsmechanismus vieler Pflanzen und Tiere, wurde von dem kürzlich mit dem Philip-Morris-Forschungspreis ausgezeichneten Wissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Barthlott, nach seiner Entdeckung "Lotus-Effekt" genannt. Bereits in den siebziger Jahren ist es einer Arbeitsgruppe am Botanischen Institut der Universität Bonn aufgefallen, daß bestimmte Pflanzenoberflächen (z.B. Kohlblätter, Kapuzinerkresse, oder optimal bei der Indischen Lotusblume) nicht nur extrem unbenetzbar mit Wasser, sondern auch noch vollkommen schmutzabweisend sind.
Für die Botanik war dies neu - aber erst durch intensive Beschäftigung mit der Funktion biologischer Grenzflächen zeichnete es sich seit 1990 ab, daß sich dahinter ein bislang unbekannter physikalischer Effekt verbarg: Durch ihre "Mikrorauhigkeit" in elektronenmikroskopischer Dimension ist die Kontaktfläche mit den Schmutzpartikeln so gering, daß selbst an sich vollkommen wasserabweisende Substanzen durch Wassertropfen abgewaschen werden können.
Pflanzenoberflächen erweisen sich strukturell als außerordentlich kom-pliziert und - vergleichbar molekularen Daten - hervorragend geeignet, Verwandtschaftsbeziehungen zu rekonstruieren. Biodiversität, Systematik und Evolution von Blütenpflanzen waren für Prof. Barthlott die Arbeitsschwerpunkte in den Anfängen der Forschungsarbeit. Dabei hat sich gezeigt, daß die unglaublich komplizierten regelmäßigen Mikrostrukturen sich als einfache selbstorganisierende Systeme darstellen. Daraus leiteten die Forscher die Frage ab, ob sich das Ganze nicht auch selbstorganisierend industriell herstellen und damit für den Alltag nutzbar gemacht werden könnte. Es erwies sich als technisch prinzipiell möglich: und die Vision Lotusblume und Autolacke rückte in greifbare Nähe.
Nach Einreichung eines Patentierungsverfahrens wurden 1995 die ersten Industriekooperationen vereinbart. Kooperationspartner in den Anwendungsbereichen Speziallacke, feste Polymere Gebäudefassaden und Dachziegeln arbeiten inzwischen mit hohen Personal- und Sachmittelkapazitäten an der Umsetzung der Forschungsergebnisse.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Informationstechnik, Maschinenbau, Werkstoffwissenschaften
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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