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12.11.2004 10:00

Symposium: Wege zu besserer Versorgung von Kindern mit Arzneimitteln

Dr. Rolf Hömke, Paul-Martini-Stiftung Wissenschaftspresse
Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V.

    "Mit dem zunehmenden Bewusstsein für eine 'evidence based medicine' wächst allseits die Bereitschaft, die Probleme der pädiatrischen Pharmakotherapie konsequent anzugehen", betonte der Mainzer Pädiater und Sprecher des PAED-Net Prof. Dr. Fred Zepp auf dem Symposium Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen - Probleme und Perspektiven in Berlin. Es müsse Ziel der gemeinsamen Anstrengung von Ärzten, Gesundheitspolitikern, pharmazeutischer Industrie und auch Kostenträgern sein, zügig wesentlich mehr geprüfte und zugelassene Medikamente für Kinder und Jugendliche bereitzustellen. Beim Symposium der Paul-Martini-Stiftung am 12. und 13. November 2004 in Berlin, das in Verbindung mit der Akademie Leopoldina veranstaltet wurde, diskutierten Pädiater, Sachverständige von Behörden, forschenden Arzneimittelherstellern und Krankenkassen sowie Mitglieder des Bundestages und des europäischen Parlaments über Verbesserungsmöglichkeiten bei der Arzneimitteltherapie von Kindern. Professor Zepp teilte sich die Leitung des Seminars mit dem wissenschaftlichen Berater der PMS, Prof. Dr. Peter C. Scriba.

    Bei Kindern würden Arzneimittel durchschnittlich zu 50 Prozent außerhalb ihres zugelassenen Altersbereiches oder Indikationsgebietes eingesetzt, konstatierte der Marburger Pädiater Prof. Dr. Hannsjörg W. Seyberth. Je jünger und je kränker Kinder seien, desto höher sei der Anteil von "off label" oder "unlicensed" durchgeführten Arzneimittelanwendungen. Auf der neonatologischen Intensivstation liege dieser bei 90 Prozent. Das führe im Vergleich mit zugelassenen Anwendungen doppelt so häufig zu schweren Nebenwirkungen.
    Die Ursachen für das Defizit, so machten verschiedene Referenten klar, sind multifaktoriell: Ethische und rechtliche Probleme bei Arzneimittelstudien mit Kindern spielten eine Rolle, aber mehr noch Marktgegebenheiten, die eingeschränkte Bereitschaft von Eltern, ihre Kinder mitwirken zu lassen, und der enorme Aufwand, für fünf Altersgruppen (Frühgeborene, Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder, Kindergarten- und Schulkinder sowie Jugendliche) jeweils eigene Studienreihen durchführen zu müssen.
    Dr. Siegfried Throm vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller, Berlin, betonte, dass die Arzneimittelhersteller schon jetzt dabei seien, diesem Defizit zu begegnen und pro Jahr 15 bis 20 Medikamente für Kinder und Jugendliche zur Zulassung brächten; darunter auch solche für seltene pädiatrische Erkrankungen. "Insgesamt jedoch schaffen die Regeln des Marktes alleine keinen ausreichenden Anreiz für eine umfassende pädiatrische klinische Forschung", so Dr. Klaus Rose von Novartis Pharma, Basel, Schweiz. Deshalb sei hier die Politik auf Europäischer Ebene gefragt, um für günstigere Rahmenbedingungen zu sorgen.
    Mehrere Referenten erörterten, wie diese aussehen sollten. Dr. Throm nahm dabei Bezug auf schriftlichen Beitrag des Europaabgeordneten Dr. Peter Liese. Demzufolge habe die Europäische Kommission die Absicht, eine Kombination von 'Zuckerbrot' und 'Peitsche' einzuführen. So solle die pharmazeutische Industrie verpflichtet werden, neue Arzneimittel, die auch für Kinder von Nutzen sein könnten, auch in Hinblick auf eine Verwendung bei Kindern zu untersuchen. Grundsätzlich müsse dann jedes neue Medikament auch für Kinder zugelassen werden - es könne nur einzelne Ausnahmen geben, etwa bei Therapeutika gegen explizite Alterskrankheiten wie Alzheimer. Ein Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur Arzneimittelentwicklung für Kinder sei am 29.09.04 vorgestellt und Ende Oktober offiziell dem Europäischen Parlament vorgelegt worden. Wie schnell dieses darüber befinde und welche Lösung es für die noch offenen Detailfragen finde, sei noch nicht absehbar. Liese geht von einer raschen Bearbeitung aus. Wie Throm erläuterte, sehe der Entwurf vor, dass eine Verlängerung der Marktexklusivität eines Medikaments um ein halbes Jahr gewährt werde, wenn für dieses Ergebnisse von Kinderstudien ein- bzw. nachgereicht werden.
    Dr. Hans-Joachim Weber vom Pharmaunternehmen Lilly Deutschland betonte, dass eine Verpflichtung zu Kinderstudien nicht dazu führen dürfe, dass sich künftig die Einführung neuer Medikamenten für erwachsene Patienten verzögert. Häufig sei es der einzig ethisch vertretbare Weg, mit Kinderstudien zu einem Medikament erst zu beginnen, wenn die Entwicklung für Erwachsene schon mit positiven Ergebnissen abgeschlossen sei. Behörden dürften in diesen Fällen keinesfalls mit der Zulassung für Erwachsene warten, sondern von den Unternehmen nur verlangen, die Kinderdaten nachzureichen.
    Für die gesetzlichen Krankenkassen schloss Wolfgang Kaesbach vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen eine finanzielle Beteiligung an Kinderstudien (wie auch an anderen Arzneimittelstudien) aus.
    Unterstützung komme jedoch aus der deutschen Politik, betonten die Bundesabgeordneten Marlies Volkmer (SPD) und Helge Braun (CDU). So hätte die Förderung des "Pädiatrischen Netzwerks zur Arzneimittelentwicklung und -prüfung bei Kindern und Jugendlichen" (PAED-Net) durch das Bundesforschungsministerium zumindest die Durchführung von zulassungsrelevanten Studien mit neuen Arzneimitteln in Deutschland deutlich erleichtert. Auch habe man durch Änderung des deutschen Arzneimittelgesetzes im August 2004 wichtige Hürden aus dem Weg geräumt, die bisher vielen Studien mit Kindern im Wege standen. Die formalen Anforderungen an Therapieoptimierungsstudien, die gerade für Kinder große Bedeutung haben, wurden wesentlich verschärft. Hintergrund hierfür ist das europäische Recht, nach dem Therapieoptimierungsstudien denselben Qualitätsstandards entsprechen müssen wie andere klinische Studien auch.
    Auch für das sensible Problem der Zustimmung der minderjährigen Patienten zur Studienteilnahme habe man inzwischen international praktikable Lösungen erarbeitet, betonte der Ulmer Kinderpsychiater Dr. Michael Kölch. Zwar könnten sie als juristisch Nichteinwilligungsfähige keinen "in-formed consent" leisten, hätten aber über die Gewährung oder Verweigerung eines "assents", einer billigenden Zustimmung, ein Vetorecht, was ihre Teilnahme betrifft. Kinder besäßen ab einem bestimmten Alter durchaus die Fähigkeit, bei kindgerechter Aufklärung Studienabläufe zu verstehen und kompetente Entscheidungen zu treffen. Die Autonomie dieser Entscheidungen - ein Grundkriterium für den "informed consent" - sei aber nicht immer gegeben. Denn der minderjährige Patient befinde sich immer in einem Beziehungsdreieck mit dem Arzt einerseits und den Sorgeberechtigten andererseits. Die Einstellung der letzteren hätte starkes Gewicht.
    Übereinstimmend sahen Experten unterschiedlicher Fachgebiete die praktischen Probleme bei der Gewinnung von aussagekräftigen Daten in Kinderstudien als schwierig, aber lösbar an. Der häufig geringen Fallzahl könne man in der Kinderonkologie zum einen durch internationale Vernetzung von Kliniken, zum anderen durch Etablierung von in-vitro-Vortests für neue Wirkstoffe begegnen, berichtete etwa Prof. Dr. Joachim Boos, pädiatrischer Hämatologe/Onkologe und Pharmazeut aus Münster. Die beschränkte Möglichkeit zu Probenahmen bei Kindern zur Bestimmung der Pharmakokinetik habe zur Entwicklung von Analysetechniken geführt, die oft mit lediglich 50 Mikrolitern Blut auskämen, wo bei Erwachsenen bislang mehrere Milliliter erforderlich seien. Trotzdem, so betonte Professor Zepp, sei die Weiterentwicklung alternativer pharmakokinetischer Messmethoden - etwa auf der Basis von Speichel oder Atemanalysen - im Sinne einer möglichst geringen Belastung der Kinder dringend geboten.
    Mehrere Vorträge konnten konkrete Therapiefortschritte dokumentieren. So berichtete der Mainzer Pädiater Prof. Dr. Michael Beck von großen Fortschritten bei der Behandlung angeborener Enzymmangelkrankheiten durch Substitution mit gentechnisch hergestellten Enzymen aus den Labors forschender Arzneimittelhersteller. Auch bei der Mukoviszidose, so Prof. Dr. Dietrich Reinhardt von der Universität München, gebe es endlich Aussichten auf eine kausale Therapie durch Medikamente.

    Ihr Kontakt:
    Dr. Rolf Hömke
    Paul-Martini-Stiftung
    Tel.: +49 30 20604-204
    Fax: +49 30 20604-209
    Mail: rolf.hoemke@paul-martini-stiftung.de


    Weitere Informationen:

    http://www.paul-martini-stiftung.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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