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08.02.1999 14:05

Innovative Schweineleberperfusion erstmals erfolgreich beim Menschen eingesetzt

Dr. med. Silvia Schattenfroh GB Unternehmenskommunikation
Charité-Universitätsmedizin Berlin

    Durchbruch in der Behandlung des akuten Leberversagens an der Charité

    AUS DER MEDIZIN FÜR DIE MEDIEN Nr. 2 1999

    Ein 38-Jahre alter Mann aus Litauen, der als LKW-Fahrer auf einer Raststätte zusammengebrochen und bewußtlos in eine auswärtige Klinik gebracht worden war, wurde im Zustand des akuten Leberversagens am Mittwoch, dem 3.1. 99 in die Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie der Charité verlegt. Der Mann befand sich in einem akut lebensbedrohlichen Zustand : Sein Kreislauf war zusammengebrochen, er mußte künstlich beatmet werden, außer seiner Leber hatten auch beide Nieren ihre Funktion eingestellt. Obendrein litt er an einem schweren Herzfehler. An eine Lebertransplantation, die in Fällen des akuten Leberversagens möglich gewesen wäre, war also nicht zu denken: Der Mann hätte die Operation nicht überlebt.

    In dieser Situation wurde erstmals eine neue von der Ethikkommision der Klinik freigegebene Behandlung angewandt, die sogenannte "normotherme extrakorporale (xenogene) Leberperfusion". Das Konzept beruht auf wissenschaftlichen Vorarbeiten des Klinikchefs Professor Peter Neuhaus, die von seinem Assistenten Michael Schön seit 1992 weiterentwickelt worden sind. Das Verfahren steht an der Charité seit letztem Dezember zur Anwendung am Menschen bereit. Es beruht auf der Vorstellung, dass eine Schweineleber, die auch vor 2 Jahrzehnten schon stundenweise zur Entgiftung von Patienten mit Leberversagen eingesetzt worden war, länger und erfolgreicher arbeiten müsste, wenn man dem Tierorgan seine Arbeit durch optimale Bedingungen so weit wie möglich erleichtern würde. Das hat zu einem Verfahren geführt, das im Tierversuch perfekt funktioniert hat und nun zum ersten Mal am Menschen erprobt wurde. Dabei wird die Funktion der ausgefallenen menschlichen Leber durch den Einsatz einer kompletten Schweineleber übernommen. Sie stammt von eigens auf dem Klinikgelände dafür pathogenfrei, d.h. ohne krankmachende Keime aufgezogenen Tieren.
    Um der Leber die Entgiftung des menschlichen Blutes zu erleichtern, werden der Durchflutung der Schweineleber mit Patientenblut sowohl ein Reinigungsschritt wie ein Verfahren zur Anreicherung mit Sauerstoff vorgeschaltet: Bei dieser Dreifach-Perfusion durchläuft das Blut des Patienten zunächst eine künstliche Niere. Während dieser Dialyse werden bereits zahlreiche giftige Stoffe entfernt. Das so vorgereinigte Blut wird alsdann in einer Art "künstlichen Lunge", einem Gerät zur Anreicherung des Blutes mit Sauerstoff ("Membran-Oxygenator"), geschleust und erreicht erst dann die Schweineleber.Sie liegt auf keiner Unterlage auf, sondern schwimmt, eingehüllt in einen Plastikbeutel, in einer mit sterilem Wasser gefüllten Wanne ("Neuhaus-Kammer"). Auf dieses Wasserbad und damit auf das Tierorgan wird von außen rythmisch ein gewisser Druck ausgeübt, der dazu dient, alle Teile der Leber, auch die am weitesten peripher gelegenen, gleichmäßig gut zu durchbluten. Neuhaus hatte schon vor vielen Jahren dieses System entwickelt, mit dem Ziel, die natürlichen Gegebenheiten im Körper des Menschen nachzuahmen, wo die Leber auch ständig dem Druck der Bauchorgane ausgesetzt ist. Tatsächlich bekommt der Schweineleber diese Druckbehandlung so gut, dass sie sehr viel Galle produziert, was ein sicheres Zeichen dafür ist, dass sie zu Syntheseleistungen imstande ist. Wenn das Blut die Schweineleber durchlaufen hat, wird es dem Kreislauf des Patienten erneut zugeführt und der Perfusionsvorgang startet von neuem.
    Die Dreifach-Perfusion wurde bei dem LKW-Fahrer zunächst mit einer ersten Leber 24 Stunden lang, und mit einer zweiten anschließend während 36 Stunden durchgeführt. Danach ging es dem Patienten am Samstag abend so gut, daß man auf weitere Perfusionen verzichtete. Seine Nieren begonnen haben, wieder selbständig zu arbeiten. Noch wird er beatmet, aber man hofft, dass er in Kürze wieder eigenständig wird atmen können.
    Die Ärzte sind mit dem ersten Einsatz ihres neuen Verfahrens sehr zufrieden. Noch niemals war es bisher gelungen, eine Schweineleber extrakorporal mit Menschenblut länger als 6 Stunden zu perfundieren. Danach setzt normalerweise eine totale Verstopfung aller Gefäße ein. Bei dem Patienten aus Litauen trat ein derartige Abwehrreaktion nicht auf. Die Leber arbeitete zuverlässig und produzierte auch ausreichend Galle. Für den Austausch der ersten durch eine zweite Leber waren praktische Gründe maßgebend gewesen, nicht etwa ein Funktionsverlust des Organs. Es steht also bisher nicht fest, nach wieviel Stunden oder Tagen eine Schweineleber funktionsuntüchtig wird beim Einsatz am Menschen.
    Und schließlich ist noch etwa Bemerkenswertes geschehen. Der Patient hat, weil bei Perfusionen Blutkörperchen zerstört werden, zahlreiche Blutkonserven erhalten. Wenn aber Blutkörperchen in größeren Mengen platzen, reichert sich ihr Farbstoff und dessen Abbauprodukt in Form von Bilirubin im Blut an. Bei dem Litauer blieb das aus und ist ein weiterer Hinweis auf die gute Stoffwechselleistung der Schweinleeber,die das Bilirubin hat abbauen können.
    Das Verfahren des "temporären extrakorporalen (xenogenen) Leberersatzes", dessen Entwicklung durch Zuwendeungen der Sonnenfeld Stiftung in Berlin erleichtert wurde, ist ohne Zweifel ein Durchbruch in der Therapie des akuten Leberversagens. Vor allem scheint sich mit diesem Verfahren eine Leberersatzbehandlung über Tage hinweg aufrecht erhalten zu lassen. Da sich eine menschliche Leber bereits innerhalb von etwa einer Woche soweit erholen kann, daß der Mensch überlebt, könnte das innovative Leberperfusionsverfahren bei all jenen Patienten eingesetzt werden, bei denen die Leber regenerationsfähig ist, also nach Vergiftungen und nach akuten, fulminant verlaufenden Virusinfektionen. Die Regeneration der Leber solcher Kranken könnte einfach abgewartet werden. Einer Organtransplantation bedürfte es nicht mehr.
    Silvia Schattenfroh

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    Charité
    Medizinische Fakultät der
    Humboldt Universität zu Berlin

    Dekanat
    Pressereferat-Forschung
    Dr. med. Silvia Schattenfroh
    Schumannstraße 20/21
    10117 Berlin

    FON: (030) 2802-2223
    FAX: (030) 2802-3625
    e-mail: silvia.schattenfroh@charite.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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