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25.02.1999 19:52

Heidelberger Mediziner gegen Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Prof. Dr. Wolfgang Kuschinsky im Forschungsmagazin "Ruperto Carola" der Universität Heidelberg: "Gefahr, daß Wissenschaftsbetrieb in der biomedizinischen Forschung vorübergehend lahmgelegt würde, ist offensichtlich" - Kuschinsky hofft auf Sperrminorität von Abgeordneten

    Im Forschungsmagazin "Ruperto Carola" der Universität Heidelberg wendet sich der Heidelberger Physiologe Prof. Dr. Wolfgang Kuschinsky vehement gegen die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz. "Für ein Staatsziel Tierschutz gibt es keine echten Argumente", schreibt der Wissenschaftler. Für die eigentlich problematischen Bereiche wie Nutztierhaltung oder Tierschlachtung existiere keine gesetzlich geregelte Genehmigungspflicht. Anders in der Forschung: "Die Gefahr, daß über einstweilige Verfügungen der Wissenschaftsbetrieb in der biomedizinischen Forschung vorübergehend lahmgelegt werden würde, ist offensichtlich." Kuschinsky hofft, daß wenigstens eine Sperrminorität von Abgeordneten "nicht den oberflächlichen Appellen an Emotionen nachgibt, sondern ihr Urteil an Argumenten ausrichtet".

    Hier der volle Wortlaut des Kuschinsky-Textes im Heidelberger Forschungsmagazin "Ruperto Carola": "Die Aufnahme einer Staatszielbestimmung "Tierschutz" in das Grundgesetz wird gegenwärtig von verschiedenen Parteien befürwortet. Aus guten Gründen wurde dasselbe Ziel im Jahr 1994 nicht erreicht. Alle diese Gründe sind heute noch ebenso gültig wie vor fünf Jahren. Für ein Staatsziel Tierschutz gibt es meines Erachtens keine echten Argumente. Die Diskussion darüber wird stattdessen von Emotionen bestimmt.

    In der Tat sind wir alle für den Tierschutz

    Vor allem drei Fragen möchte ich hierbei aufgreifen: Sind wir nicht alle für Tierschutz? - In der Tat sind wir alle für den Tierschutz. Das Staatsziel Tierschutz kann den Tierschutz jedoch nicht verbessern. Denn für die eigentlich problematischen Bereiche wie Nutztierhaltung oder Tierschlachtung existiert keine gesetzlich geregelte Genehmigungspflicht. Die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz würde hier keine einklagbaren Verbesserungen bringen.

    Ganz anders ist die Situation für die schon jetzt überregulierte biomedizinische Grundlagen- und angewandte Forschung. Ihr entstünden mit der Aufnahme des Staatsziels erhebliche Probleme. Ein Beispiel: Das geltende Tierschutzgesetz bestimmt, daß Untersuchungen an lebenden Wirbeltieren genehmigt werden müssen. Jede einzelne Genehmigung wird von einer ethischen Abwägung abhängig gemacht. Wegen dieser gesetzlich verankerten Genehmigungspflicht und dem Verweis auf ethische Abwägung kann die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in Verbindung mit dem Verbandsklagerecht dazu genutzt werden, bereits genehmigte Tierversuche oder geplante Neuanträge über den Klageweg anzufechten. Hierbei könnte der dann mögliche Verweis auf das Staatsziel Tierschutz richterliche Entscheidungen zu Ungunsten der Forschung beeinflussen. Es würde dann eines langen Instanzenweges bedürfen, bis die Forschung zu ihrem Recht kommt. Die Gefahr, daß über einstweilige Verfügungen der Wissenschaftsbetrieb in der biomedizinischen Forschung vorübergehend lahmgelegt werden würde, ist offensichtlich. Der Faktor Zeit ist aber von herausragender Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der Forschung. Schon geringfügige Verzögerungen können wichtige Forschungsvorhaben scheitern lassen.

    Zweitens: Ist der Tierschutz nicht schon in einigen Landesverfassungen fixiert? - Einige Landesverfassungen erhalten tatsächlich bereits das Staatsziel Tierschutz. Da das Tierschutzgesetz Bundesrecht ist, können zu dessen Auslegung landesverfassungsrechtliche Bestimmung nicht herangezogen werden. Landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen können Eingriffe in das Bundesrecht nicht rechtfertigen. Im Klartext: Die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz in die Landesverfassungen hat keine praktischen Konsequenzen. Anders wäre dies bei der Aufnahme ins Grundgesetz. Deshalb wird dies zur Zeit auch wieder versucht.

    Kriegsähnliche Auseinandersetzung inszeniert

    Drittens: Muß nicht "Waffengleichheit" in Auseinandersetzungen zwischen Forschungsfreiheit (Verfassungsrecht) und Tierschutz (einfaches Recht) hergestellt werden? - Mit dem Begriff "Waffengleichheit" wird von den Befürwortern des Staatsziels Tierschutz eine kriegsähnliche Auseinandersetzung inszeniert. Das hat für die Befürworter den Vorteil, daß Vernunftargumente nicht mehr zählen, sobald dieser Zustand öffentlich anerkannt worden ist.

    Öffentlichkeit weitgehend uninformiert

    Vielen Politikern fällt es leicht, alle drei Fragen mit einem sofortigen "Ja" zu beantworten. Ohne weitere Überlegung plädieren sie für das Staatsziel Tierschutz, zumal Umfrageergebnisse eine klare Mehrheit einer Öffentlichkeit anzeigen, die sich bei genauerer Betrachtung als weitgehend uninformiert erweist.

    Für die Ablehnung des Staatsziels Tierschutz sprechen zahlreiche Gründe. Die wichtigsten hat vor wenigen Jahren die gemeinsame Verfassungskommission erläutert. Der Tierschutz werde am besten durch den einfachen Gesetzgeber gewährleistet. Das breit akzeptierte Tierschutzgesetz verfolge die konkreten Ziele des Tierschutzes in einer sachkundigen Abwägung mit den jeweils definierten anderen Rechtsgütern, zum Beispiel der Forschungsfreiheit. Ein uneingeschränktes Staatsziel Tierschutz würde die Balance innerhalb der Werteordnung des bisher ausschließlich auf den Menschen bezogenen Grundgesetzes verändern und könne zu Kollisionen führen, die weit über die mit einer Staatszielbestimmung Tierschutz verfolgten Anliegen hinausreichten.

    Gelten diese Argumente schon nach wenigen Jahren nicht mehr? Wollen wir wirklich das Fernziel einer Gleichrangigkeit von Mensch und Tier verfolgen - mit weitreichenden Folgen bis hin zu Vorschriften zur vegetarischen Ernährung? Es bleibt zu hoffen, daß wenigstens eine Sperrminorität von Abgeordneten nicht den oberflächlichen Appellen an Emotionen nachgibt, sondern ihr Urteil an Argumenten ausrichtet."

    Rückfragen bitte an:
    Prof. Dr. Wolfgang Kuschinsky, I. Physiologisches Institut der Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 326, 69120 Heidelberg, Telefon (06221) 544032 oder -33, Fax 544038 und 544561

    oder:
    Dr. Michael Schwarz, Pressesprecher der Universität Heidelberg, Tel. 06221 542310, Fax 542317, michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Politik, Recht
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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