Bei etwa 15 Prozent der Dialysepatienten hätte sich das Nierenversagen nicht entwickeln müssen - davon ist Professor Dr. med. Manfred Weber, Chefarzt der Medizinischen Klinik I, Kliniken der Stadt Köln, überzeugt. Bei weiteren 30 bis 40 Prozent hätte sich die Blutwäsche noch Jahre bis Jahrzehnte hinauszögern lassen, wenn die Nierenerkrankung rechtzeitig erkannt und konsequent behandelt worden wäre. Mit flächendeckenden Früherkennungsprogrammen könnte die Zahl zukünftiger Dialysepatienten drastisch gesenkt und viel menschliches Leid vermieden werden, sagt Professor Weber, der vor kurzem den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) übernommen hat und Präsident des Internistenkongresses 2005 ist.
In Deutschland leben derzeit rund 60.000 Dialysepatienten, ihre Zahl nimmt von Jahr zu Jahr zu. Weil die Nieren den Dienst als Klärwerke des Körpers versagen, müssen Betroffene ihren Körper regelmäßig mit Hilfe der Dialyse von Giftstoffen befreien lassen. Seine Amtszeit nutzt der DGIM-Präsident dazu, die Aufmerksamkeit von Ärzten und Öffentlichkeit stärker auf die Nierenerkrankungen zu lenken. Das spiegelt sich auch im Programm des Internistenkongresses 2005 wieder: Im Symposium "Frühdiagnostik von Nierenerkrankungen" stellen Experten eine neue Studie aus dem Bereich Versorgungsforschung vor, die belegt, dass Patienten den Nierenspezialisten zu spät vorgestellt werden - in einem hohen Prozentsatz erst wenn die Dialyse direkt bevorsteht. "Der Nephrologe ist jedoch nicht in erster Linie Dialysearzt - im Gegenteil: er ist derjenige, der durch eine Spezialisierung die Dialyse vermeiden oder zumindest verzögern kann", betont Professor Weber.
Nierenerkrankungen verursachen über lange Zeit hinweg keine Beschwerden. Viele Patienten suchen häufig erst dann einen Arzt auf, wenn sie bereits einen Großteil ihrer Nierenfunktion eingebüßt haben. Fast alle Nierenerkrankungen, die letztlich zur Dialysepflichtigkeit führen, lassen sich jedoch bereits in einem frühen Stadium nachweisen: durch einen einfachen Urintest auf Eiweiß. "Kaum eine andere Erkrankung belastet die Betroffenen und das Gesundheitswesen so sehr und ist gleichzeitig so einfach zu erkennen", so Professor Weber. Irreversible Schäden sind in vielen Fällen vermeidbar - etwa wenn Blutdruck und Blutzuckerspiegel konsequent im Normbereich gehalten werden.
Denn neben genetischen und immunologischen Faktoren sind es vor allem hohe Blutdruck- und Blutzuckerwerte, welche die Nieren schädigen. Entsprechend zählen Hochdruckpatienten und Zuckerkranke zu den Risikogruppen, die am stärksten von Nierenerkrankungen betroffen sind. Viele Hochdruckpatienten und ein beträchtlicher Teil der Menschen mit Alterdiabetes wissen jedoch nichts von ihrer Krankheit und werden folglich auch nicht behandelt. Auch wird ein bereits diagnostizierter Bluthochdruck von den Betroffenen oft auf die leichte Schulter genommen. "Viele Hochdruckpatienten sind bei der konsequenten Blutdruckeinstellung zu nachlässig", beobachtet Professor Weber.
Der DGIM-Präsident muss jedoch nicht nur in der Bevölkerung Überzeugungsarbeit leisten. Auch Ärzte nehmen die Nierenschäden häufig nicht ernst genug: Selbst wenn eine Routineuntersuchung des Urins einen auffälligen Eiweißwert ergibt, werden hieraus nicht immer Konsequenzen gezogen. Da der Nachweis von Eiweiß im Urin auch ein Indikator für ein erhöhtes kardio-vaskuläres Risiko ist, wäre dies jedoch doppelt wichtig.
Ein effektives Früherkennungsprogramm wäre nach Ansicht Professor Webers einfach zu organisieren. Dabei sei es durchaus denkbar, neben den Ärzten auch die Apotheken in das Programm mit einzubeziehen. "Im Idealfall könnten die Patienten einen Eiweißtest samt Aufklärungsbroschüre in der Apotheke kaufen und ihren Urin zu Hause selbst untersuchen", so Professor Weber. Teststreifen auf Eiweiß, die kurz in den Urin getaucht werden und schon nach wenigen Minuten ein Ergebnis liefern, gibt es bereits für zwei Euro je Untersuchungsstick. Dies sollte für jeden erschwinglich sein.
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