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05.01.2005 09:26

HU-Forscher entschlüsseln Hörprozesse mit bisher unerreichter zeitlicher Präzision

Heike Zappe Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement
Humboldt-Universität zu Berlin

    Wer gut hören will, muss schnelle Ohren haben. Nur Bruchteile einer Sekunde stehen zur Verfügung, um aus einem Schallsignal die entscheidenden Informationen zu gewinnen, damit die Bedeutung eines Wortes erkannt oder die Richtung eines Geräusches bestimmt werden kann. Zwei Forscher, Dr. Tim Gollisch und Prof. Dr. Andreas Herz von der Humboldt-Universität zu Berlin, haben nun ein neuartiges Verfahren entwickelt, mit dem sich die einzelnen Vorgänge, die dabei im Ohr stattfinden, gleichzeitig und ohne Verletzung des Ohres beobachten lassen.

    Am Beispiel des Heuschreckenohres konnten sie zeigen, dass die Umwandlung von Schall in Nervensignale durch eine Kette von vier fundamentalen Schritten vermittelt wird, die jeweils nicht länger als eine Tausendstel Sekunde dauern. Die einzelnen Schritte konnten dabei mit einer zeitlichen Präzision im Bereich von Millionstel Sekunden bestimmt werden. Die Forscher erwarten, dass das Verfahren auch bei vielen anderen biologischen Systemen zum Entschlüsseln schneller Signalketten beitragen wird.

    In einer Arbeit, die demnächst in der "Public Library of Science" im Druck erscheint, zeigen die beiden Wissenschaftler, dass es möglich ist, feinste Details der Schallverarbeitung im Ohr aufzudecken, indem man untersucht, wie Hörsinneszellen auf kurze "Klick-Geräusche" reagieren. Dazu spielten sie einer Heuschrecke unterschiedliche Kombinationen solcher Klicks vor und maßen gleichzeitig die elektrische Aktivität in den Hörsinneszellen. War das Geräusch stark genug, so signalisierte die Nervenzelle dies durch eine elektrische Entladung, ansonsten blieb sie inaktiv.

    Der entscheidende "Trick" bei den Experimenten bestand nun darin, solche Kombinationen von Klicks zu suchen, auf die eine Nervenzelle mit gleicher Stärke antwortete. Standen die Klicks beispielsweise im richtigen zeitlichen Abstand zueinander, konnten sie sehr leise vorgespielt werden, war ihr Abstand ungünstig, musste ihre Lautstärke erhöht werden. Durch ihre Vorliebe für bestimmte Kombinationen von Klicks verrieten die Nervenzellen, welchen Zeitverlauf die Prozesse im Ohr haben, die zur elektrischen Entladung führen. Mit Hilfe eines mathematischen Modells zeigte sich dann, dass das durch einen Klick angeregte Trommelfell nur zwei- bis dreimal schwingt, bevor es wieder zur Ruhe kommt. Dies geschieht schon nach weniger als einer Tausendstel Sekunde. Ähnlich schnell entsorgt die Nervenzelle alte Signale, indem sie elektrisch geladene Teilchen mit hoher Geschwindigkeit aus ihrem Inneren herauslässt. Sie verdrängt damit quasi "Erinnerungen" an frühere Geräusche. Dieses kurze Gedächtnis führt dazu, dass die Sinneszelle immer wieder unvoreingenommen auf neue Ereignisse reagieren und so besonders viel Information über ein Schallsignal weitergeben kann. Mit dem neuen Verfahren kann der exakte Zeitverlauf der einzelnen Schritte nun erstmals mit einer Genauigkeit gemessen werden, die nur durch die Präzision begrenzt wird, mit der das Schallsignal dargeboten wird. In den Untersuchungen von Gollisch und Herz konnte damit die zeitliche Auflösung gegenüber bisher verwendeten Methoden um mehr als das Hundertfache verbessert werden, mit Hochpräzisions-Lautsprechern wären noch weitere Steigerungen möglich.

    Signalketten findet man nicht nur im Ohr und anderen Sinnesorganen, sondern auch in vielen weiteren biologischen Systemen, zum Beispiel beim Ablesen des genetischen Codes oder der Regulation von zellulären Prozessen. Die Forscher gehen daher davon aus, dass sich mit der neu entwickelten Methode auch dort bisher verdeckte Verarbeitungsschritte entschlüsseln und mit hoher Genauigkeit messen lassen. Die "Public Library of Science", in der die Studie am 4.1.05 in einer vorgezogenen Online-Ausgabe erschienen ist - siehe www.plosbiology.org -, ist ein neuartiges Wissenschaftsjournal, das die freie Zugänglichkeit (über das Internet) und Weiterverwertung der Forschungsergebnisse erlaubt. Damit unterscheidet sich dieses Journal, das seit seinem Start im Oktober 2003 rasch weltweite Anerkennung gefunden hat, von den meisten älteren, etablierten wissenschaftlichen Zeitschriften, deren Verfügbarkeit bei den Universitätsbibliotheken hohe Kosten verursachen.

    Informationen Prof. Dr. Andreas Herz, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät I, Institut für Biologie, Theorie neuronaler Systeme, und Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin
    Dr. Tim Gollisch, Department of Molecular and Cellular Biology, Harvard University, Cambridge, MA, USA
    Telefon Prof. Dr. Herz: [030] 2093-9103; Dr. Gollisch: 001-617-496-8302
    e-mail a.herz@biologie.hu-berlin.de und t.gollisch@biologie.hu-berlin.de


    Weitere Informationen:

    http://biology.plosjournals.org/plosonline/?request=get-document&doi=10.1371...
    http://www.bccn-berlin.de
    http://www.plosbiology.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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