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11.03.1999 15:49

Tagung "Risikobewältigung im gesellschaftlichen Umbruch"

Ingrid Godenrath Stabsstelle Zentrale Kommunikation
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Der gesellschaftliche Transformationsprozeß hat die Lebenslagen der Menschen in Ostdeutschland tiefgreifend verändert.
    Neben erweiterten Wahlmöglichkeiten und Freiheiten sind neuartige Risiken und Notlagen getreten - die die betroffenen Menschen jedoch, wie neuere Forschungen zeigen, keineswegs passiv hinnehmen, sondern überwiegend aktiv bewältigen.

    Die viel diskutierten Strategien und Interventionsformen "Aktivierender Sozialpolitik" knüpfen hier an. Sie stellen nicht mehr die überkommenen Prinzipien "Schutz" und "Fürsorge" in den Vordergrund, sondern bemühen sich darum, die gesellschaftliche Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger durch deren Aktivierung, Befähigung und Ermutigung zur Selbsthilfe zu verbessern.
    Vor diesem Hintergrund veranstaltet der Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Pädagogik, am 17./18. März 1999 in den Franckeschen Stiftungen zu Halle, Franckeplatz 1, eine Fachtagung unter dem Gesamtthema "Risikobewältigung im gesellschaftlichen Umbruch. Perspektiven aktivierender Sozialpolitik". Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Prof. Dr. Thomas Olk (Universität Halle).

    Die zweitägige Konferenz, die am 17. März 1999, 9:30 Uhr, im Freylinghausen-Saal (Hauptgebäude) eröffnet wird, steht unter der Schirmherrschaft der Ministerin für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt, Gerlinde Kuppe, und wird von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Das breit gefächerte Programm beinhaltet unter anderem Vorträge namhafter Fachexperten sowie eine öffentliche Podiumsdiskussion zu Chancen und Grenzen 'aktivierender' Sozialpolitik am 18. März, 9:30 Uhr, im Freylinghausen-Saal. Eingeladen sind prominente Vertreter aus Politik und Kirche, wie Prof. Dr. Dieter Schimanke, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Jürgen Weißbach vom DGB-Landesverband Sachsen-Anhalt und als Vertreter des Diakonischen Werkes der Kirchenprovinz Sachsen e. V., Prof. Dr. Reinhard Turre. Es moderiert Prof. Dr. Thomas Olk.

    Der Ausgangspunkt für diese Konferenz ist ein international vergleichend angelegtes Forschungsprojekt mit dem Titel "Social Strategies in Risk Societies (SOSTRIS)". Das Projekt läuft unter dem Forschungsschwerpunkt "Target Socio-Economic Research" der Europäischen Union und wird in Deutschland zusätzlich vom Bundesland Sachsen-Anhalt unterstützt.

    Ziel der Tagung ist es, Perspektiven und Grenzen aktivierender Sozialpolitik im gesellschaftlichen Transformationsprozeß näher zu bestimmen. Dabei geht es neben der Klärung konzeptioneller Fragen nach Merkmalen und Zielen aktivierender Sozialpolitik insbesondere auch darum, anhand von "vorbildhaften Modellen" und gelungenen Praxisbeispielen aus fünf exemplarischen Bereichen (Jugendliche beim Übergang in Ausbildung und Beruf, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, Migranten, Ältere Arbeitslose und Vorruheständler) konkrete Handlungsansätze, Organisationsformen und Vorgehensweisen aktivierender Sozialpolitik zu bestimmen und in ihren Möglichkeiten und Grenzen zu diskutieren. Was bedeuten soziale Sicherheit und Gerechtigkeit vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels, Globalisierung, leerer öffentlicher Kassen und unübersehbarer Effektivitäts- und Effizienzdefizite herkömmlicher sozialstaatlicher Institutionen? Wieviel Sicherheit und Schutz sind nötig und wieviel Aktivierung und Förderung sind möglich, um die betroffenen Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Problemlagen besser bewältigen und ihre Lebenslagen eigenständiger gestalten zu können? Diese Fragen sollen sowohl gruppen- und bereichsübergreifend als auch im Hinblick auf die genannten Problemgruppen bzw. Risikolagen erörtert werden.

    Wegbrechende Wirtschaftsbranchen, ein anhaltend hohes Niveau der Arbeitslosigkeit, die Verschlechterung der Arbeitsmarktchancen von Frauen, die Ausbildungs- und Berufsnot junger Menschen sowie nicht zuletzt steigende Zahlen von Sozialhilfeempfängern, verweisen eindringlich auf neue Risikolagen und Problemkonstellationen. Angesichts dieser Situation wird in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit die Befürchtung geäußert, daß sich in Ostdeutschland eine soziale Schicht von dauerhaft ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen herausbilde, die ihre prekäre Lage mit anhaltender Dauer überwiegend resignativ hinnehme und passiv erleide. Im Gegensatz dazu verweist die neuere Arbeitslosigkeits- und Armutsforschung darauf, daß Langzeitarbeitslosigkeit und Langzeitarmut auch in Ostdeutschland in ihrem Umfang bislang noch eng begrenzt geblieben sind. Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug erweisen sich vielmehr mehrheitlich als zeitlich begrenzte (Übergangs-) Phasen, die grundsätzlich als überwindbar erscheinen.

    Darüber hinaus zeigen neuere Forschungen, daß die betroffenen Menschen Ausgrenzungserfahrungen keineswegs passiv hinnehmen sondern aktiv bewältigen. Auch das eingangs genannte vergleichend angelegte Forschungsprojekt "SOSTRIS" hat nachgewiesen, daß junge Menschen, die einen Ausbildungs- bzw. Erstarbeitsplatz suchen, Alleinerziehende, die die Anforderungen von Erwerbs- und Erziehungsarbeit vereinbaren müssen, Langzeitarbeitslose, die in Erwerbsarbeit zurückkehren möchten, Migranten, die sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden müssen und ältere Menschen, die als Langzeitarbeitslose oder Vorruheständler neue Lebensperspektiven entwickeln müssen, durchaus über Handlungsressourcen und Planungskompetenzen verfügen, die ihnen aktive Formen der Bewältigung solcher Risikolagen eröffnen. Dabei werden die unterschiedlichen individuellen Muster der Problembewältigung nachhaltig durch biographische Erfahrungen geprägt. Lebensgeschichtliche Erfahrungen beeinflussen die Bedeutungen, die die Betroffenen bestimmten Risiken und Problemlagen beimessen und sie greifen bei deren Bewältigung auf in der Vergangenheit etablierte Handlungsweisen zurück, die sich je nach gesellschaftlicher Situation als aktive Bewältigungsressourcen oder aber als Hindernisse für erfolgreiche Lösungen erweisen können.

    An diesen biographisch erworbenen Handlungsressourcen und Bewältigungskompetenzen knüpfen solche Interventionsformen und Handlungsstrategien an, die seit einiger Zeit unter der Bezeichnung "Aktivierende Sozialpolitik" diskutiert werden. War das sozialstaatliche Sicherungssystem bislang vor allem daran ausgerichtet, Schutz und Fürsorge vor den Standardrisiken der Lohnarbeiterexistenz (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Erwerbsunfähigkeit) zu organisieren, so geht es nun zunehmend darum, die gesellschaftliche Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger durch deren Aktivierung, Befähigung und Ermutigung zur Selbsthilfe zu verbessern. Der Grundgedanke der Aktivierung von Individuen, sozialen Netzwerken (wie Nachbarschaften, Familien) und Organisationen (wie Vereinen, Projekten und Verbänden) wird immer mehr zu einem Qualitätskriterium staatlicher Interventionen und Hilfeleistungen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die neue Politik Tony Blairs in Großbritannien gegenüber Sozialhilfeempfängern, die unter dem Etikett "Workfare" zentral auf die Eigenaktivität der Betroffenen setzt und international hohe Aufmerksamkeit hervorgerufen hat. In der politischen Diskussion in Deutschland ist die Grundidee aktivierender Sozialpolitik jüngst in die anschauliche Metapher des "Trampolins" übertragen worden: Während das herkömmliche, am Schutzgedanken orientierte soziale Sicherungssystem eher wie ein "soziales Netz" funktioniert, in das sich die von sozialen Problemlagen betroffenen Menschen vorübergehend oder auf Dauer zurückfallen lassen können, so läßt sich ein am Gedanken der Aktivierung orientiertes soziales Sicherungssystem dagegen als ein "Trampolin" versinnbildlichen, das den von einem sozialen Risiko betroffenen Mitgliedern der Gesellschaft die Möglichkeit eröffnet, durch "eigenes Springen", also durch aktives Handeln, der Problemlage weitgehend selbsttätig wieder zu entkommen.



    Ansprechpartner:
    Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
    Institut für Pädagogik
    06099 Halle/Saale
    Prof. Dr. Thomas Olk
    Tel.: (0345) 55 238 01
    e-mail: olk@paedagogik.uni-halle.de

    Dipl.-Soz. Roswitha Breckner
    Dipl.-Soz. William Hungerbühler
    Tel.: 0345/55 238 25
    Fax: 0345/55 270 62
    e-mail: sostris@paedagogik.uni-halle.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Recht
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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