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20.01.2005 12:00

"Die Russen kommen" - Erinnerungen an sowjetische Soldaten

Stefanie Hahn Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Historikerin der Universität Jena befragte Thüringer über ihr Verhältnis zu den ehemaligen Besatzern. Neue Publikation jetzt bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen erschienen.

    Jena (20.01.05) Von Mitte der Fünfzigerjahre an hielten sich durchgängig etwa eine halbe Million sowjetische Soldaten, Zivilpersonen und Familienangehörige in der DDR auf. Sie waren eine Folgerscheinung des Zweiten Weltkriegs. Neben Wohnhäusern und Kasernen unterhielten die sowjetischen Streitkräfte eigene Kaufhäuser, Restaurants, Sportanlagen, Friedhöfe und zahlreiche Kulturhäuser an sechzig Haupt- und zahlreichen Nebenstandorten z. B. in Jena, Weimar und Ohrdruf. Als weitgehend autonomes Gebilde existierten sie oft inmitten des Alltags der ostdeutschen Bevölkerung. Die Freundschaft mit den "sowjetischen Waffenbrüdern" war einerseits offiziell gewollt und z. B. durch die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft (DSF) institutionalisiert, inoffiziell wurden Kontakte jedoch oft verhindert. Dr. Silke Satjukow von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat Bürgerinnen und Bürger aus Thüringen nach ihren Erinnerungen an die offiziell propagierten aber abgeschotteten "Freunde" befragt. Der von ihr herausgegeben Band ",Die Russen kommen!' Erinnerungen an sowjetische Soldaten 1945-1992" ist jetzt bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen erschienen und wird am 27. Januar (20.00 Uhr) in der Diele des Jenaer Rathauses vorgestellt.

    Das Buch, das mit Hilfe von Studierenden im Rahmen einer Lehrveranstaltung am Historischen Institut entstand, will die persönlichen Erinnerungen an die fast fünf Jahrzehnte andauernde Nachbarschaft einem größeren Publikum zugänglich machen. Durch die Befragung von Zeitzeugen ist es der Jenaer Historikerin gelungen, Teile des DDR-Alltags festzuhalten, die sich in anderen Quellen so kaum wieder finden. In bester "Oral History"-Manier hat sie ihre Interviewpartner zu konkreten Äußerungen bewegt. So stehen in dem Band Erinnerungen an die Einquartierung, an unglückliche Liebesaffären, an erfolgreiche Tauschgeschäfte und konkrete Hilfe bei der Ernte oder in der Produktion nebeneinander. "Obwohl es zu keinem Zeitpunkt den Sowjetrussen und den Ostdeutschen gelungen war wirklich die offiziell erwünschte Völkerfreundschaft miteinander zu schließen, gab es viele, die persönliche Beziehungen miteinander pflegten, die befreundet waren, die sich liebten", fasst Silke Satjukow zusammen.

    Als eigentliche Herausforderung stellte sich die Auswertung der Interviews dar. "Was die Menschen erzählen ist keine objektive Wahrheit, sondern ihre Erzählung ist eine Identitätskonstruktion." Denn mit dem Untergang der DDR sei auch ein Stück des eigenen Selbstbildes verloren gegangen, zu dem eben auch die sowjetischen Besatzer gehörten. "Die differenzierten Erinnerungen in der Publikation helfen, sich der wahren Geschichte anzunähern", so Satjukow.

    Zeitzeugeninterviews sind - neben offiziellen Dokumenten, wie den Fotos aus Archiven und Privatbesitz, die den Band illustrieren oder Zeitungsberichten - eine wichtige Quelle, um die jüngste Vergangenheit wissenschaftlich zu erschließen. Dr. Satjukow wertet die große Resonanz auf die Suche nach Gesprächpartnern als Indiz dafür, dass die Ostdeutschen "das Russische" und "die Russen" gerade heute wieder als Teil einer verlorenen Vergangenheit verstehen. Ein zwar nicht uneingeschränkt positiver Teil, wie einige der Geschichten belegen, aber dennoch ein wichtiger. "Es ist, als hätten die Ostdeutschen mit den Russen ein besonderes Welt- und Selbstverständnis gemein: schließlich teilte man über vierzig Jahre lang die Erfahrungen und Erwartungen desselben Gesellschaftssystems und deshalb auch so manche Alltagspraktiken und Alltagsprobleme", deutet die Historikerin ihre Ergebnisse.

    Eine weitere Buchvorstellung findet am 3. Februar um 19.00 Uhr im Bürgerhaus in Nohra statt.

    Kontakt:
    Dr. Silke Satjukow
    Historisches Institut der Universität Jena
    Fürstengraben 13, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944450 oder 944454
    E-Mail: satjukow@t-online.de

    Bibliographische Angaben:
    Silke Satjukow (Hg.): "Die Russen kommen!" Erinnerungen an sowjetische Soldaten 1945-1992, 231 S., zahlreiche Abbildungen, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt (2005) ISBN 3-931426-92-0.

    Gegen Einsendung einer 85-Cent-Briefmarke für das Rückporto ist das Buch kostenfrei bei der Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen, Regierungsstraße 73, 99084 Erfurt, erhältlich.


    Weitere Informationen:

    http://www.thueringen.de/de/lzt


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     


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