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16.03.1999 17:46

Gespräch mit DGB und DAG über das Bildungs- und Beschäftigungssystem in Deutschland

Burghard Kraft Pressestelle
Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung

    7/1999

    Gespräch mit DGB und DAG über
    das Bildungs- und Beschäftigungssystem in Deutschland

    Frau Dr. Regina Görner, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes des DGB, hat gestern ein Gespräch mit den in der BLK vertretenen Ministern, über die Anforderungen an das Beschäftigungs- und Bildungssystem in Deutschland geführt. Damit setzt die BLK den Gedankenaustausch mit den Sozialpartnern fort, der am 16.11.98 seinen Auftakt in der Diskussion mit Arbeitgeberpräsident Dr. Hundt hatte.

    Frau Görner verlangt in Ihrem Appell, daß gemeinsam mit den Sozialpartnern sehr schnell nach Lösungen gesucht werde, mit denen auf die einschneidenden Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren sei. Es dürfe nicht bei der bisher propagierten Politik der sanften Anreize und des Abbaus von angeblichen Ausbildungshemmnissen verbleiben.

    Große wie kleine Unternehmen antworteten auf die Herausforderung des Wettbewerbs heute damit, daß sie sich nur auf Kernaufgaben konzentrieren und alles ausgliedern, was nicht hierzu gehöre. Die Hochspezialisierung der Klein- und Mittelbetriebe, reduziere die Vielfalt der beruflichen Aufgaben.
    Dies führe dazu, daß die bisherige breit angelegte Berufsausbildung gefährdet sei.

    Die Entwicklung der Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft verändere die Anforderungsprofile. Die Unternehmen erwarteten von ihren Mitarbeitern mehr Selbständigkeit und Eigeninitiative. Gefragt sei daher eine permanente Weiterbildungsbereitschaft.

    Unternehmen setzten auf hochflexible, hochqualifizierte Kernbelegschaften, die nur bei Auftragsspitzen durch Beschäftigte ergänzt werden.
    Für die "floatenden" Mitarbeiter wollten die Unternehmen möglichst wenig Qualifikationskosten auf sich nehmen. Nach ihrem Kalkül seien nur Schmalspurausbildungen mit möglichst geringer Verwertbarkeit benötigt.
    Dies laufe faktisch auf eine Zweiklassen-Berufsbildung hinaus.

    Deshalb mahnte Regina Görner notwendige Veränderungen im Bildungs- und Ausbildungssystem an:

    - Das allgemeinbildende Schulwesen müsse sich auf die Veränderungen einstellen; alle Jugendlichen müßten die Chancen erhalten, in dem veränderten Beschäftigungssystem ihren Platz zu finden. Schulen müßten auf ein Leben in Patchworkbiographien vorbereiten. Das gelte genauso für die Arbeitsebene, die für die große Mehrheit der jungen Menschen heute nicht bestehe wie früher.
    - Die Sekundarstufe I sei zu überprüfen, ob die Curricula noch den gewandelten Anforderungen entsprächen.

    - Das Bild der Arbeitswelt, das in der Schule vermittelt werde, gehöre auf den Prüfstand.
    - Die Berufsvorbereitung sei von den Schulen verstärkt zu leisten.Dem müsse auch die Weiterbildung von Lehrern entsprechen. Die Schulen seien keine Inseln, sie müßten sich der Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitswelt öffnen. Die Schule habe sich bisher mit einem bestimmten Prozentsatz von "Drop outs" zufriedengegeben, dem nur eine unqualifizierte Tätigkeit offen stände. Das sei für die Zukunft nicht mehr hinnehmbar. Die Hauptschulen müßten die Zahl der Jugendlichen, die ohne Abschluß abgehen, innerhalb von 5 Jahren halbieren. Die Potentiale seien voll auszuschöpfen.
    - In Deutschland gebe es keinerlei wissenschaftliche Forschung über Lehren und Lernen bei Menschen mit Benachteiligungen. Entsprechend seien daher Benachteiligtenprogramme wissenschaftlich zu evaluieren.
    - Der Staat müsse im Bildungswesen die nationalen und internationalen Standards festlegen, damit Transparenz, Vergleichbarkeit und Qualitätssicherung gewährleistet seien.
    - Die Mobilität der Gesellschaft verlange mehr Weiterbildung und dafür bundeseinheitlich festgelegte Rahmensetzungen.

    Die Zukunft könne nicht den immer enger und spezialisierter konstruierten Aus- und Weiterbildungsgängen gehören. Sie forderte, daß die Berufsbilder breiter anzulegen seien, die hohe Verwertbarkeit garantieren, rasche, unkomplizierte Weiterbildung ermöglichen und Umschulungsaufwände reduzieren. Das Zusammenwirken von Ausbildungsbetrieb und Berufsschule müsse auf eine neue Basis gestellt werden.

    Der DGB setze nach wie vor auf die duale Berufsausbildung, da diese den Vorteil habe, die Ausbildung im Ernstfall zu ermöglichen. Vollzeitschulische Bildungsgänge blieben demgegenüber immer virtuell.
    Anreize für betriebliche Ausbildung seien nicht vom Staat zu finanzieren. Wenn denn das Duale System nicht mehr zu realisieren sei, sei der Weg zu einem strukturierten Angebot schulischer Berufsausbildung mit betrieblichen Praktikumsphasen zu beschreiten.
    Wenn es also nicht gelinge, die duale Berufsausbildung durch einen Lastenausgleich zu stabilisieren, müsse dringend ein Konzept für das Zusammenwirken von betrieblichen und außerbetrieblichen Einrichtungen in der Berufsausbildung auf den Weg gebracht werden.

    Wenn dies nicht machbar sei, sei die letzte zwar nicht wünschenswerte Konsequenz das staatliche Berufsbildungssystem.

    Der Staat stehe in der Pflicht, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger zu fördern. Je stärker sich Betriebe aus der Verantwortung zurückzögen, desto mehr sei der Staat gefordert.

    Herr Vojta, Vertreter der DAG, betont in seinem Statement, die Notwendigkeit neuer Konzepte für die Vorbereitung von Jugendlichen auf die Arbeitswelt durch die Schulen. Dabei sollten auch die berufsvorbereitenden Maßnahmen so gestaltet sein, damit die dortigen Abschlüsse insbesondere für Benachteiligte ausbildungsverwertbar sind. Lernortkooperationen sollten durch überarbeitete Rahmenlehrpläne und Ausbildungsordnungen gefördert werden.

    Die staatliche Seite weist mit Nachdruck darauf hin, daß sie bei aller notwendigen Modernisierung und einer Neudefinition von Schlüsselqualifikationen an der Berufsbildbezogenheit der Ausbildung festhalten wird. Denn dies sei auch der zukunftsorientierte Vorteil des dualen Systems. Die Entwicklung neuer Berufsbilder im Informations- und Kommunikationsbereich haben für die Modernisierung und Flexibilisierung neue Wege aufgezeigt. Bundesministerin Bulmahn teilt die Einschätzung von Frau Görner, wonach der Anteil der Kernbeschäftigten in Zukunft zurückgehen werde. Dennoch vertritt sie ebenso wie ihre Länderkollegen die Position, die Jugendlichen auch künftig für eine Kernbeschäftigung auszubilden seien. Das wachsende Potential an wechselnden Beschäftigungen aber machte für Leistungsstarke wie für Leistungsschwächere ein regional übergreifendes und transparentes Zertifizierungssystem unverzichtbar. Dies sei Aufgabe des Staates, auch im Hinblick auf einen stärker europäisch orientierten Ausbildungsmarkt und den enstprechenden Qualifikationsanforderungen. Maßnahmen zur Modularisierung und Zertifizierungen von Teilleistungen seien zu überprüfen und anzupassen.

    Die Länderseite begrüßt die Zustimmung der Gewerkschaften zu ihren Konzepten der Modernisierung der beruflichen Bildung. Sie sieht aber zunehmende Probleme, den Rückgang der betrieblichen Ausbildungsplätze durch vollzeitschulische Angebote zu kompensieren. Hier komme es zu einer Kostenverlagerung der Wirtschaft auf den Staat. Es müsse möglich sein, vollzeitschulische Angebote zusammen mit der Wirtschaft zu organisieren und den Betrieben Verantwortung zuzuweisen. Dies umsomehr, als in einigen neuen Ländern aufgrund der Ausbildungsplatzsituation und des teilweisen Verlustes von Industriestandorten, einige Ausbildungsberufe nur in vollzeitschulischer Form angeboten werden können.

    Einvernehmen bestand darin, daß das Berufsbildprinzip auch weiterhin Bestand haben soll. Der von der Wirtschaft eingeforderte ökonomischen Anteil in der schulischen Bildung sollte in einem ersten Schritt durch eine intensivere Vermittlung des Bildes der Arbeitswelt in den Schulen erreicht werden. Die Theorielastigkeit und auch die Prüfungsanforderungen vieler Ausbildungsberufe sollten andererseits aber gerade für spezielle Problemgruppen abgebaut werden.

    Das Konzept des lebenslangen Lernens wird von allen Beteiligten als unverzichtbar angesehen - jedoch wird auch eingefordert, daß mehr Qualitätssicherung bei einem differenzierten Angebot im Sinne von Akkreditierung und Zertifizierung zu gewährleisten ist.

    Gewerkschaften und staatliche Seite begüßen diese Form des Meinungsaustausches und vereinbaren - wie auch schon am 16. November 1998 mit den Arbeitsgebern - eine Fortsetzung der Gespräche in der BLK.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Organisatorisches, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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