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23.03.1999 12:35

Wissenschaftliches Symposium zur 25-Jahrfeier der Rheinischen Kliniken Essen

Monika Roegge Pressestelle Standort Essen
Universität Essen (bis 31.12.2002)

    75/99
    23. März 1999

    Aus Anlaß ihres 25-jährigen Bestehens veranstalteten die Rheinischen Kliniken Essen am Dienstag, 23. März, im Auditorium Maximum des Universitätsklinikums Essen ein wissenschaftliches Symposium zum Thema "Aspekte der Sucht aus Sicht der Psychiatrie, Psychosomatik, Forensik und Psychotherapie". Die Betrachtung dieser unterschiedlichen Aspekte steht in Beziehung zum Aufbau der Rheinischen Kliniken: Hierzu zählen nämlich die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik sowie das Institut für Forensische Psychiatrie (Gerichtspsychiatrie). Das Symposium wurde bestritten von jeweils einem Vertreter der genannten Kliniken bzw. des forensischen Instituts sowie vier Gastrednern.

    Im Einleitungsvortrag befaßt sich Professor Dr. Hinderk M. Emrich, Medizinische Hochschule Hannover, mit den Entstehungsmechanismen von Abhängigkeit. Insbesondere für die Entstehung substanzgebundener Süchte werden aktuell multidimensionale Erklärungen bevorzugt. Die biologische Forschung der letzten Jahre hat wertvolle Einsichten zur Wirkung von Suchtmitteln auf das Gehirn erbracht. Von einem genetischen Risiko als Teilfaktor in der Suchtentstehung ist auszugehen. Psychische Störungen und soziale Bedingungen sind jedoch ebenfalls von Bedeutung. In multidimensionalen Konzepten wird der Versuch gemacht, die unterschiedlichen Einflußgrößen in ihrer gegenseitigen Bedingtheit und ungünstigen Ergänzung bei der Entstehung süchtigen Verhaltens darzustellen.

    Professor Dr. Christian Eggers, Universitätsklinikum Essen, betonte aus der Sicht des Kindes- und Jugendpsychiaters entwicklungspsychologische und tiefenpsychologische Aspekte der Suchtentstehung. Demnach entwickelt sich süchtiger Konsum im Zusammenhang mit intrafamiliären Risikofaktoren wie Verwöhnung, inkonsistenter Erziehung, körperlicher Mißhandlung und sexuellem Mißbrauch. Diese Traumatisierungen führen zu behandlungsbedürftigen psychischen Störungen. Der Suchtmittelkonsum ist letztlich ein fehlgeleiteter Versuch der Betroffenen, Gefühle von tiefster Verzweiflung, Hilflosigkeit und Angst abzuwehren.

    Dr. Sigrid Schuler, Ärztin für Neurologie und Psychiatrie in Weggis, Schweiz, befaßte sich vor allem mit der "Früherkennung und Prävention" von Substanzmißbrauch und -abhängigkeit. Bei der Prävention sind Eltern, Pädagogen und Ärzte in der Verantwortung. Zu den ärztlichen Aufgaben gehört die Aufklärung über die Folgen des Suchtmittelkonsums. Die Aufklärung hat sich hierbei auf die negativen Soforteffekte in der aktuellen Lebenssituation des Jugendlichen zu konzentrieren. Ist die Abhängigkeit eingetreten, fürchten insbesondere Opiatabhängige unangenehme Entzugssymptome bei Absetzen des Suchtmittels.

    Dr. Norbert Scherbaum, Universitätsklinikum Essen, berichtete über ein Forschungsprojekt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, zur sogenannten Ultra-Kurz-Entgiftung Opiatabhängiger, auch "Narkose"- oder "Turbo"-Entgiftung genannt. In Zusammenarbeit mit der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Essener Klinikum wurde diese zeitweilig in den Medien enthusiastisch gelobte Methode geprüft. Nach den Essener Erfahrungen ermöglicht die Ultra-Kurz-Entgiftung vor allem Patienten in Methadonsubstitution einen in der Regel deutlich verkürzten Entzug. Das verheißene Wunder des beschwerdefreien Aufwachens aus der Narkose findet jedoch nicht statt. Eine andere in Essen erprobte Methode, die sogenannte Buprenorphin gestützte Entgiftung, eröffnet die Perspektive auf ambulante Opiatentgiftungen.

    Insbesondere Abhängige von illegalen Substanzen werden oft im Zusammenhang mit ihrer Suchtproblematik straffällig. Solche Straftäter können nach § 64 StGB in einer Klinik zur Behandlung ihrer Sucht zeitlich befristet untergebracht werden. Hierfür stehen allerdings zu wenige Behandlungsplätze zur Verfügung. Angesichts dieses Mangels ist die Erarbeitung von Kriterien für eine solche Unterbringung notwendig. Eine Untersuchung der Essener Forensik, die von Dr. Norbert Schalast vorgestellt wurde, belegt, daß nach § 64 untergebrachte Abhängige entgegen einem öffentlichen Vorurteil durchaus zur Therapie motiviert waren. Behandlungsprobleme resultierten nicht aus einem Mangel an Motivation, sondern aus von die Sucht begleitenden gravierenden Persönlichkeitsstörungen.

    Nach Professor Dr. Hans-Ludwig Kröber, Freie Universität Berlin, galt Spielsucht aus der Sicht einer strengen bürgerlichen Arbeitsmoral als ein Delikt, da sie durch die Möglichkeit des Vermögenserwerbs ohne Gegenleistung die Arbeitsscheu fördere. In heutiger Sicht sind vor allem Eigentumsdelikte bei Beschaffungskriminalität Spielsüchtiger von forensischer Bedeutung.

    In der Psychotherapie und Psychosomatik zeigt sich vor allem im Kontext von Eßstörungen süchtiges Verhalten. Nach Professor Dr. Wolfgang Herzog, Universität Heidelberg, verbergen sich hinter dem vordergründigen Krankheitsbewußtsein Magersüchtiger oft Stolz und Befriedigung über die Leistung der selbstinduzierten Gewichtsabnahme. Diese Gewichtsabnahme steht in engen Zusammenhang mit einer Körperschemastörung: Trotz zum Teil massiven Untergewichts überschätzen viele Magersüchtige ihren Körperumfang und halten sich für zu dick. Patienten mit massivem Übergewicht leiden zum Teil unter sogenannten Heißhungerattacken. Wie Dr. Stephan Herpertz, Universitätsklinikum Essen, zur sogenannten "Binge-Eating-Störung" ausführte, ähneln diese Eßanfälle denjenigen von Patienten mit Bulimia nervosa; allerdings kommt es nach solchen Attacken nicht zu gewichtsreduzierenden Maßnahmen. Wahrscheinlich häufen sich bei den massiv übergewichtigen Patienten mit zunehmendem Gewicht auch die Heißhungerattacken. Psychodynamisch gilt der Eßanfall als Folge ausgeprägten Kontrollverhaltens und dessen Zusammenbruch.

    Redaktion: Monika Rögge, Telefon (02 01) 1 83-20 85
    Weitere Informationen: Dr. Norbert Scherbaum, Telefon (02 01) 72 27-467


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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